21. Türchen: Unterwegs – eine Kurzgeschichte

Unterwegs

Ich hätte einen Platz im Ruhebereich reservieren sollen. Das war ihr erster Gedanke, als der Hund in der Transportbox und das Kind in der Reihe nebenan ein Duett aus Gebell und Geschrei anstimmten. Der Zug war bis auf den letzten Platz besetzt, hinter den Glastüren am Ende des Wagens sah sie einige Fahrgäste auf dem Boden sitzen zwischen Koffern und Taschen. Die Schaffnerin hatte größte Not den Überblick zu behalten, wer neu zugestiegen war, geschweige denn überhaupt bis zu allen durchzukommen. Es herrschte Aufbruchstimmung. Draußen zogen vereinzelte kleine Dörfer vorbei. Der Himmel war trostlos. Keine Spur von weißen Weihnachten. Stattdessen alles grau und dunkel. Und trotzdem hatte sie sich ihre Stimmung nicht verhageln lassen, als sie sich mit vom Nieselregen nassen Haaren gemeinsam mit gefühlt tausend anderen Personen um die letzten Sitzplätze im viel zu spät gekommenen Zug gestritten hatte. Sie fuhr nach Hause. Dieses Jahr war sie spät dran, bis Heiligabend waren es nur noch zwei Tage. Aber früher hatte sie es nicht geschafft in all der Hektik im vorweihnachtlichen Unialltag. Wie jedes Jahr war sie nicht die Einzige, die über Weihnachten für ein paar Tage ihr Zuhause wieder in der Heimat aufschlug. Es war dieses Gefühl, das eine Zugfahrt vor Weihnachten von jeder anderen Reise unterschied. Dieses Gefühl, dass alle an verschiedenen Orten ankommen wollten und doch das gleiche Ziel hatten. 

„Ja, ich weiß, dir ist langweilig. Aber bald haben wir’s geschafft. Was ist, spielen wir noch eine Runde UNO?“ Und weg war er wieder. Er wusste, dass der kleine Mann am Ende seiner Disziplin angekommen war. Nach guten fünf Stunden Zugfahrt war das auch kein Wunder. Er warf dem älteren Ehepaar gegenüber einen entschuldigenden Blick zu, als sein Sohn im Vorbeigehen die Zeitung vom Klapptisch abräumte. Er lehnte sich etwas zur Seite, um ihn im Auge behalten zu können. Der Kleine plapperte munter vor sich hin. Mit wem war ihm ganz egal. Immer wieder sah man eine genervte, nach oben gezogene Augenbraue in den Reihen. Der Junge aber ließ sich davon nicht beirren. Seufzend lehnte sich sein Vater wieder in seinem Sitz zurück. Er freute sich jetzt schon drauf, über die Feiertage ein wenig Hilfe von seinen Eltern zu bekommen. Für einen allein war die Erziehung eines Fünfjährigen doch eine ganze Menge Arbeit. Schöne Arbeit, aber eben auch anstrengend. An Weihnachten aber waren Oma und Opa sowieso immer die Nummer eins. 

„Ich bin ja wirklich froh, dass unsere Enkelkinder wissen, wie sie sich verhalten müssen, wenn andere Menschen um sie herum sind“, sagte sie zu ihrem Ehemann, der ihr gegenübersaß und stirnrunzelnd die Zeitung aufhob, die sich gerade vom Tisch verabschiedet hatte. Auf den entschuldigenden Blick des Vaters des Kindes reagierte sie nicht. Seit sechs Stationen saß der Vater mit seinem Sohn auf der anderen Seite des Ganges. Man mochte sich fragen, wo denn die Mutter abgeblieben war, dachte sie. Die hätte das Kind mit Sicherheit im Griff. So war jedenfalls die Entspannung, die sie aus dem kurzen Wellnessurlaub mitgenommen hatten, schnell wieder verflogen. Eigentlich hatte sie gehofft, die noch etwas zu behalten, zumindest über die Feiertage, wenn die ganze Familie wieder bei ihnen sein würde. Bei drei Kindern, allesamt bereits erwachsen und mit eigenen Kindern, war das Haus jedes Jahr voll. Auf einmal schallte wieder ein Bellen durch den Wagen. Laut und schrill. Der konnte nicht groß sein, dachte sie. Auf die Nerven ging er ihr aber allemal. „Kann der sich denn nicht endlich beruhigen?“, stimmte ihr Mann mit ein.

„Pst, schon gut.“ Gerade einmal einen Finger bekam sie durch das Gitter an der Transportbox gesteckt. Sie spürte eine kalte Nase an ihrem Zeigefinger und hörte ein Schnauben, ehe das Gebell ganz verstummte. Zumindest für den Moment. Sie hatte zwar keine Ahnung gehabt, worauf sie sich bei einer Zugfahrt mit ihrer Adoptiv-Fellnase auf Zeit einstellen musste, aber jetzt verstand sie dafür die genervten Blicke der Passagiere um sie herum umso besser. Immerhin hatten sie jetzt nur noch eine Stunde Fahrt vor sich, bis sie den Kleinen seinen neuen Besitzern übergeben konnte. Der ganze Trubel um sie herum machte ihn wahrscheinlich nur noch nervöser, als er sowieso schon war. Ständig lief ein kleiner Junge an ihnen vorbei. Einmal war er sogar direkt vor der Transportbox stehen geblieben und wollte durch das Gitter greifen. Das hatte sie gerade noch so verhindern können. Jetzt behielt sie die Box lieber auf ihrem Schoß. Eine Ecke ragte aber offenbar in den Gang hinein, denn als der junge Mann auf der Suche nach einem Sitzplatz nun schon zum dritten Mal vorbeikam, rammte er die Box mit dem Cello-Koffer, den er auf dem Rücken schleppte. Mit Schwung. Sofort sprang der Hund wieder auf. Und sofort fing er wieder an zu bellen. Erschrocken drehte sich der junge Mann um und sah sie schuldbewusst an. Während er sich dann weiter seinen Weg den Gang entlang bahnte, beschwerten sich diejenigen ohne Fensterplatz über das Cello in ihrem Gesicht.

„Das gibt’s aber doch auch wirklich nicht“, murmelte er bei seiner nächsten Runde einmal quer durch den Zug. Er hatte vollkommen vergessen, einen Sitzplatz zu reservieren. Er fuhr eigentlich viel mit der Bahn – berufsbedingt. Als Berufsmusiker war die Bahn fast schon zu seinem zweiten Zuhause geworden. Aber es war das erste Mal, dass er so kurz vor Weihnachten noch unterwegs war. Unterwegs nach Hause zur Familie nach einem langen Jahr auf dem Sprung von Job zu Job. Heute hatte er sich darauf gefreut, das Cello irgendwo in die Ecke zu stellen und für ein paar Stunden nicht daran zu denken. Stattdessen hörte er jetzt schon wieder eine Frau meckern, als sein Instrumentenkoffer ihren Arm streifte. 

„Nein, ich meine doch nicht dich. Hier ist so ein Typ, der sein Gepäck nicht im Griff hat“, murmelte sie genervt. Sie telefonierte mit ihrem Mann, der zu Hause mit ihrer gemeinsamen Tochter auf sie wartete. Ungeduldig. Sie war zu spät losgefahren, weil ein Meeting sie noch aufgehalten hatte. Das führte nun dazu, dass sie seit zwanzig Minuten mit ihm darüber diskutierte, warum sie wieder etwas nicht einhalten konnte, was sie versprochen hatte. Lautstark. Sie spürte schon den Blick ihrer Sitznachbarin auf sich, die – wohl schon etwas verzweifelt – versuchte, etwas an ihrem Laptop zu erledigen. Aber sie konnte es auch nicht ändern. Es war nicht immer leicht, während der Arbeitswoche nicht am selben Ort wie die Familie zu wohnen und so viel von dem, was zu Hause, vor allem auch im Leben ihrer Tochter passierte, nicht mitzubekommen. Das war der Preis für ihre Karriere gewesen. Das wusste sie und sie bekam es besonders an Weihnachten zu spüren. 

Das mit dem Text, den sie für die Uni lesen musste, konnte sie jetzt wohl offiziell vergessen. Neben ihr stritt eine Frau mit der Person am anderen Ende ihrer Telefonleitung. Das Ehepaar im Vierersitz vor ihr war nun dazu übergegangen, über den bellenden Hund anstatt über das schreiende Kind zu schimpfen. Der Vater des Kindes sah dem kleinen Jungen verzweifelt hinterher, während er in den Reihen weiter vorne sein Unwesen trieb. Die Hundebesitzerin versuchte eher wenig erfolgreich und weniger leise, als sie wohl dachte, die aufgeregte Fellnase zu beruhigen. Und den Cellisten beobachtete sie gerade dabei, wie er sich genervt auf den Boden vor der Zugtoilette fallen ließ und die Nase rümpfte. War es nicht jedes Jahr das Gleiche? Man stieg ein paar Tage vor Weihnachten in einen Zug ein, nahm alle Anspannung, den ganzen vorweihnachtlichen Stress, der sich angesammelt hatte, einfach mit und suchte ein Ventil. Es war die stille Jahreszeit. Vor einem lagen die vermeintlich friedlichsten Tage des Jahres und eigentlich sollte auch schon hinter einem eine Zeit liegen, in der man zur Ruhe gekommen war. Stattdessen war der Zug das Ventil. Die Mitreisenden. Alle, die einem gerade im falschen Moment in die Quere kamen.

Sie spürte, wie auch ihr eigener Geduldsfaden dünner wurde. Überall Chaos und Lärm und Gewusel und Gemurmel. Dabei wollte sie das gar nicht. Dabei wusste sie, dass sie das Gemecker des Ehepaars eigentlich kalt lassen würde. Dass sie über den kleinen Jungen in erster Linie lachen könnte. Und dass ihr ihre genervte Sitznachbarin vor allem leidtun würde. Seufzend schaute sie aus dem Fenster. Sie waren gerade irgendwo im Nirgendwo. Die Welt draußen sah aus, als hätte jemand auf eine Stopp-Taste gedrückt. Keine Straße weit und breit, nur vereinzelt zogen Häuser vorbei. Die Schaffnerin kündigte gerade den nächsten Halt an. Ein Dorfbahnhof. Nur wenige Passagiere machten sich bereit zum Aussteigen. Ein paar Minuten später rollte der Zug langsam in den Bahnhof ein, einige Leute stiegen aus, der Cellist hechtete zum freigewordenen Platz neben dem älteren Ehepaar. Erleichterte nahm er endlich seine Mütze vom Kopf und stopfte sie in seinen Rucksack. Das Cello stellte er hinter seinem Sitz ab, ehe er sich setzte. Als er merkte, dass sie ihn durch die Sitze hindurch beobachtete, grinste er kurz. Dann setzte er dicke Kopfhörer auf und war weg, wieder in seiner eigenen Welt. 

Sie wunderte sich, dass der Zug dort so lange stehen blieb. Auch ihre Sitznachbarin hatte zwischenzeitlich ihr Telefonat beendet und sah prüfend auf die Uhr, als die Durchsage kam: „Wegen einer technischen Störung am Gleis verzögert sich die Weiterfahrt um unbestimmte Zeit.“ Ein kollektives Stöhnen ging durch die Reihen. „Papa, wann sind wir da?“, rief der Junge, der zwischenzeitlich wieder bei seinem Vater auf dem Schoß gelandet war. „Das ist eine sehr gute Frage“, lautete die Antwort. „Das kann doch nicht wahr sein“, schimpfte währenddessen die Frau mit Hund, was Letzteren offenbar dazu bewegte, ebenfalls knurrend seine Meinung kundzutun. „Wenn ich diesen Hund noch weitere zwei Stunden aushalten muss, steige ich aus und laufe die restlichen 200 Kilometer zu Fuß nach Hause“, fuhr der ältere Herr hinter seiner Zeitung fort. „Wissen Sie was, wenn er sie so nervt, suchen Sie sich doch einfach einen anderen Sitzplatz. Oder steigen Sie am besten wirklich aus“, kam daraufhin nun die Antwort der Frau, die beschwichtigend die Transportbox des Hundes umklammerte und deren Geduldsfaden jetzt offenbar mehr als überspannt war. „Und Sie lernen dann wohl endlich, Ihren Köter in den Griff zu bekommen?“, gab die Ehefrau zurück. Zwischendrin rief der Junge noch einmal: „Papa, ich will jetzt nach Hause!“, was alle drei Streithähne zu einem genervten Schnauben bewog.

Die Frau, die bis eben noch selbst mit ihrer Familie telefoniert hatte, wandte sich direkt an den Vater: „Würden Sie bitte dafür sorgen, dass Ihr Kind auf der restlichen Fahrt nicht mehr allen anderen Passagieren auf die Nerven geht?“ Der Angesprochene hob überrascht die Augenbrauen und entgegnete: „Ich wüsste nicht, dass mein Sohn Sie in irgendeiner Form eingeschränkt hätte in den letzten Minuten, in denen Sie lautstark mit Gott weiß wem telefoniert haben. Sie haben wohl keine Kinder, bespaßen Sie doch erstmal einen Fünfjährigen über fünfeinhalb Stunden lang alleine.“ Die Frau zuckte unwillkürlich zusammen bei seiner letzten Bemerkung. Kurz sah man sie überlegen, ob sie darauf antworten wollte, doch dann stürzte sie sich in eine Diskussion über Kindererziehung. Das Stimmengewirr wurde immer lauter. Jeder griff plötzlich jeden an, zwischendrin Hundegebell und ein wild-brabbelndes Kind. Die junge Frau am Fenster, die bis zu diesem Moment noch immer ihren Laptop vor sich geöffnet hatte in der Hoffnung, ihren Text noch fertig zu lesen, klappte ihn jetzt zu. Sie lehnte ihren Kopf an die Fensterscheibe, kniff die Augen zusammen und seufzte. Draußen am Bahnsteig standen die ersten Zugpassagiere und überbrückten die Wartezeit mit einer Zigarette. Sie lachten miteinander, während drinnen die Gemüter hochkochten. Die junge Frau linste wieder zwischen den Stühlen hindurch in die Richtung des Cellisten. 

Dieser nahm gerade, leicht verwirrt, seine Kopfhörer ab und schaute zwischen seinen diskutierenden Sitznachbarn hin und her. „Üben Sie doch erstmal eine Führungsposition in einem großen Unternehmen aus, bevor Sie es sich herausnehmen zu urteilen“, fiel da gerade der Vorwurf an den Vater, während auch der ältere Mann in seinem Viererplatz mit einem Monolog darüber mit einstimmte, wie gut seine Tochter ihren Sohn, seinen Enkel, doch erzogen hatte. Niemand hörte einander mehr zu. Der kleine Junge blickte nur noch aufgeregt von einem zum anderen, die Frau hatte es aufgegeben, ihren Hund zu beruhigen. Der Cellist ließ seinen Blick über die Zeitung wandern, die aufgeschlagen auf dem Tisch vor ihm lag. Der Mann hatte zuletzt das Feuilleton gelesen. Offen vor ihm lag ein Artikel über die zehn beliebtesten traditionellen Weihnachtslieder in Deutschland. Stille Nacht, O Du Fröhliche, O Tannenbaum. Als nächstes streifte sein Blick den der jungen Frau am Fensterplatz eine Reihe weiter. Sie schüttelte stumm den Kopf. Er nickte. Und grinste. „Lasst uns doch ein Weihnachtslied singen“, sagte er zu ihr. Ihr Kopfschütteln stoppte. Und mit ihm die Gespräche um sie herum. Ihre Sitznachbarin stand auf und schaute über die Sitzlehne hinweg zu ihm. Die Frau mit dem Hund drehte sich um. Das Ehepaar wandte sich von dem Vater ab und wieder ihm zu. Der Vater hob erneut die Augenbrauen. Das Kind rief: „Jaaa!“ Kurze Stille. Die junge Frau guckte immer noch durch den Spalt zwischen den beiden Sitzen. Und grinste. 

Sie sah ihm dabei zu, wie er wortlos aufstand und in den Spalt hinter seinem Sitz griff. Sie sah ihm dabei zu, wie er den Reißverschluss einmal um den Koffer zog, die eine Seite aufklappte, das große geschwungene Instrument hervorholte, einen Bogen aus der Seitentasche fischte und sich wieder setzte. Sie sah ihm dabei zu, wie er an den Saiten drehte, die Hände an den Hals des Instruments legte und den Bogen einmal über die Saiten streichen ließ. Ein tiefes C. Plötzlich fiel Stille über den ganzen Wagen. Auch in den Reihen hinter ihnen war nur noch Gemurmel zu hören. Er stimmte eine Melodie an und dann fing er an zu singen. „O du fröhliche, o du selige.“ Er traf nicht jeden Ton. Das Ehepaar warf sich ungläubige, noch immer genervte Blicke zu. Der kleine Junge wiederum stand einmal für einige Sekunden still und schaute gebannt dabei zu, wie der Cellist zwischen den Saiten hin und her glitt. Sie hörte ihre Sitznachbarin murmeln, etwas in die Richtung: „Warum eigentlich immer ich?“ Und weil sie sich dachte: „Warum eigentlich nicht?“, stimmte sie mit ein. „Freue, freue dich, o Christenheit.“ Auf einmal drehten sich alle Köpfe im Umkreis von zwei Sitzreihen zu ihr um. Der Cellist zwinkerte ihr zu. Da hörte sie auf einmal eine Stimme von der anderen Seite des Ganges. Die Frau mit dem Hund. Und dann noch eine. Der kleine Junge, voller Begeisterung und krumm und schief. Sein Vater legte ihm eine Hand an den Arm, offenbar bedacht darauf, nicht schon wieder einen Grund für eine Diskussion zu liefern. Stattdessen nickte die junge Frau dem Jungen bekräftigend zu, auch als Zeichen an den Vater, ihn einfach machen zu lassen. Ihre Sitznachbarin räusperte sich. Sie schaute zu ihr hinüber und sah den unschlüssigen Gesichtsausdruck. Als sich ihre Blicke trafen und sie auch ihr einmal zunickte, stimmte sie mit ein. „O du fröhliche, o du selige.“ 

Der Cellist gab, während er sang, der Frau neben sich einen sanften Schubs. Sie warf ihrem Mann einen immer noch leicht genervten Blick zu. Dieser jedoch zögerte. Und als die nächste Strophe begann, sang er mit, ganz leise. Er zuckte nur mit den Schultern und während seine Frau noch die Zeitung zusammenfaltete, um sich zu beschäftigen, fing sie leise an zu summen. Er spielte immer weiter und weiter, bis eigentlich niemand mehr den Text kannte und sie immer wieder und wieder die erste Strophe wiederholten. Je mehr Töne er spielte, desto gelöster sangen die anderen mit. So lange, bis er langsamer wurde und über die letzte Saite strich. Dann war es still. Dann hörte er vereinzeltes Klatschen aus den hinteren Reihen. Und dann brachen sie alle in Gelächter aus, die Frau am Fenster, ihre Sitznachbarin, der Vater und sein Sohn, die Frau mit dem Hund und das Ehepaar. 

„Schau mal, Papa, wir fahren wieder“, rief da plötzlich der kleine Junge. Sie hatten alle nicht mitbekommen, dass sich der Zug wieder in Bewegung gesetzt hatte. Der Bahnhof war nicht einmal mehr in der Ferne zu sehen, sie hatten schon ein ganzes Stück hinter sich gebracht. Um sie herum setzten sich die Gespräche fort, jetzt aber mit einem deutlich ruhigeren Ton. Die Frau mit dem Hund erzählte jetzt, dass sie den Kleinen aus einem Tierheim abgeholt hatte und zu Freunden in ihre Heimat brachte, die ihn adoptiert hatten. Der kleine Junge stand mit ehrfürchtigem Abstand vor der Transportbox und überlegte, wie er es am besten anstellen konnte, den Hund noch zu streicheln. Sein Vater hatte ihn dabei fest im Blick. Die Frau, mit der er zuvor noch diskutiert hatte, erzählte, dass sich ihre Tochter nichts mehr wünschte als ein Haustier. Der Herr, der dem Cellisten gegenübersaß, verstaute seine Zeitung in der Tasche und eröffnete seiner Frau, dass er doch noch darüber nachdachte, dem Kirchenchor beizutreten. Der Cellist lachte, der Mann zwinkerte ihm zu. „Wohin fahren Sie eigentlich?“, fragte der Cellist, an niemanden direkt gerichtet. „Nach Hause“, erwiderte die Frau am Fenster. „Es ist Weihnachten.“