Der Abend in der Buchhandlung Rupprecht beginnt mit Dunkelheit. Ein Stromausfall.
Jörg Armbruster lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Als langjähriger Nahost-Korrespondent der ARD ist er weitaus Schlimmeres gewohnt, berichtete der preisgekrönte Fernsehjournalist doch über ein Jahrzehnt aus dem krisengeschüttelten arabischen Raum.
Nach wenigen Sekunden funktioniert das Licht wieder und Armbruster beginnt sein neues Buch „Willkommen im gelobten Land?“ vorzustellen. Durch einen Artikel in der Stuttgarter Zeitung habe er über ein Altersheim für deutsche Holocaust-Überlebende in Haifa erfahren. Die Geschichten der deutschstämmigen Juden in Israel nach dem zweiten Weltkrieg interessierten ihn. Die Schicksale, die Erlebnisse, die Ankunft jener, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und sich ein neues Leben in einem fremden Land aufbauen mussten. So wagte sich Armbruster knapp vier Jahre nachdem er im März 2013 bei den Arbeiten zu einer Dokumentation in Aleppo angeschossen wurde erneut in den Nahen Osten. Dieses Mal nach Israel, wo er mit einigen deutschstämmigen Juden, unter anderem in jenem Altersheim, sprechen oder vielmehr ihnen zuhören möchte.
In der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre der Buchhandlung Rupprecht präsentiert Armbruster im kleinen Kreis von etwa 40 Zuhörenden sein Werk. Er liest sehr sachlich und ruhig. Seine Stimme klingt vertraut. Schließt man die Augen und lässt seine Stimme wie aus dem Off ertönen, könnte man meinen, man lausche dem Weltspiegel, den er von 2005 bis 2012 moderierte. Nur das Bewegtbild fehlt.
Armbruster behält dieselbe stoische Ruhe, als er von dem hochbegabten Musikstudenten berichtet, der 1939 nach Israel ausreisen musste, sich dort trotz des Studiums mit Gelegenheitstätigkeiten über Wasser hielt und seine Leidenschaft, die Musik, aufgeben musste. Er fährt mit derselben Sachlichkeit fort, erzählt die Geschichte zweier Schwestern, die sich im polnischen Ghetto über ein Jahr lang in einem dunklen Keller versteckten, denen in Israel aber niemand zuhören wollte. Ebenso routiniert, fast schon distanziert berichtet er das Schicksal einer deutschen Jüdin, die im Kindesalter ihrer Mutter im Konzentrationslager beim Sterben zusehen musste. Trotz des hochemotionalen Inhaltes spricht er mit denselben langen, beruhigenden Pausen zwischen den Sätzen, als ergänzten Bewegtbilder seinen Text. Der Inhalt steht im Fokus, die Bühne gehört den Opfern.
Armbruster schildert alles sehr detailreich, sachlich, aber trotzdem anschaulich genug, um dem Zuhörer das Grauen, die Angst und die Enttäuschung der Menschen spüren zu lassen. Er beherrscht die Kunst gleichsam zu fesselnd zu erzählen und authentische Beschreibungen, sowie Fakten über geschichtliche Hintergründe bereitzustellen. Zudem versorgt er die Leser mit unterhaltsamen Anekdoten, wie mit historischen Kontaktanzeigen des „Mitteilungsblattes“ der noch heute erscheinenden Zeitung deutschstämmiger Juden in Israel, wo schattige Cafés oder die Schäferhundzucht beworben wurden.
Das Leben der in Israel angekommenen Deutschen beschreibt Armbruster als Spießrutenlauf: Sowohl die zwangsausgewiesenen Juden als auch die Holocaust-Überlebenden wurden im neuen Land nicht mit offenen Armen empfangen. Ihre vorherige, zum Teil hochangesehene gesellschaftliche Stellung zählte nichts mehr. Stattdessen wurden sie als „Jeckes“ beschimpft und gerieten schnell in einen Sprachenstreit mit den Alteingesessenen, für die Deutsch vor allem die Sprache Hitlers und Goebbels war. Auch später taten die deutschstämmigen Juden sich schwer in Israel, da die Aufarbeitung und Therapie erst in den 70ern und damit für viele zu spät begannen.
Armbruster hat ein Buch über die Vergessenen, die Abgehängten, Menschen, deren Leid unter dem Nazi-Regimes noch weit über 1945 hinausging geschrieben. Menschen, die Ihre Heimat verlassen mussten, aber keine neue fanden. Auch die zweite Generation sei von diesem Konflikt betroffen. Zwar habe sie die hebräische Sprache erlernt, allerdings leide sie unter der Prägung der Elterngeneration, die die Vergangenheit nie vollständig aufarbeiten konnte. „Willkommen im gelobten Land?“ erzählt auch ihre Geschichte. Aber Armbruster tut dies bedacht, nicht reißerisch. Er lässt in seinem Buch die Opfer zu Wort kommen. In Anbetracht des Alters ein letztes Mal vielleicht.