Ein betrunkener Mann liegt schlafend vor dem Bahnhof. Er wird vom surrealen Neonlicht der Eingangshalle angeleuchtet, aber es scheint ihn ebenso wenig zu stören, wie die sich hinter ihm immer wieder surrend öffnende elektrische Glastür. Johann Rebhahn und Rudolf Hofbauer kennen den Schlafenden. Hofbauer spricht ihn an, mürrisch bewegt sich der Mann, sein Mund formt unverständliche Worte.
„Der kann hier schlafen, man muss nur gucken, ob es ihm gut geht“, sagt Hofbauer. Dem Mann geht es wohl gut genug. Er kehrt zurück in sein wohliges Delirium, Rebhahn und Hofbauer betreten den Bahnhof.
Ganz in schwarz gekleidet verlassen Hofbauer (rechts im Bild) und Rebhahn (links im Bild) zwei Stunden zuvor die Polizeiinspektion Passau. Es ist acht Uhr abends, doch die Sonne steht noch erstaunlich hoch und brennt auf die eng bebaute Nibelungenstraße hinunter. Eine stickige Hitze staut sich zwischen den dichten Häuserreihen. Heute gibt es sicherlich angenehmere Dienstbekleidung als die lange dunkle Hose und das ebenso dunkle Polo-Shirt, immerhin kurzärmlig.
„Bunt gemischte Truppe“
„SICHERHEITSWACHT“ steht in weißen Lettern auf der Rückseite der Hemden. Das erinnert optisch an ein Security-Unternehmen, ist es aber nicht: Die Sicherheitswacht, der Hofbauer und Rebhahn ehrenamtlich angehören, ist eine Art Untereinheit der Polizei. Es gibt sie in fünf Bundesländern, in Bayern seit 1996. Im ganzen Freistaat sind etwa 800 Ehrenamtliche im Einsatz, davon 17 in Passau.
„Eine bunt gemischte Truppe“, sagt Polizeihauptkommissarin Alexandra Lachhammer. Die Pressesprecherin der Polizeiinspektion Passau mit sympathischen Lachfalten um die Augen fährt fort: „Derzeit sind 11 Männer und 6 Frauen von Mitte 20 bis Mitte 60 im Einsatz.“
Es gibt zwar ein bayerisches Sicherheitswachtgesetz, doch die Polizei lässt den Ehrenamtlichen in der Praxis viele Freiheiten. Die einzige Vorschrift sei die dreistündige Dauer des Rundgangs, sagt Lachhammer und lächelt. Ihre Route können sich die Ehrenamtlichen dabei ebenso frei aussuchen, wie die Arbeitszeit zwischen 7 und 23 Uhr. In Zweier-Teams durchstreifen sie dann die Stadt.
Beitrag zur Gesellschaft
Seit 3 Jahren engagiert sich Rudolf Hofbauer in dem Programm. Der 43-Jährige ist stämmig gebaut und hat durch seine einfache, rahmenlos Brille den wachsamen, aufmerksamen Blick eines Berufsbusfahrers und freiwilligen Feuerwehrmanns.
Johann Rebhahn, sein Kollege auf dem Rundgang, ist erst seit einem Jahr dabei. Er ist ein wenig größer und kräftiger als Hofbauer und strahlt mit seinem ruhigen Blick eine ungemeine Gelassenheit aus. Der 47-jährige spricht tiefes Niederbayrisch und ist hauptberuflich in der Nutzfahrzeugsbranche tätig. Bei beiden spannt das Hemd ein wenig, sie sehen gemütlich aus, haben sichtlich Freude bei der Sache.
Entspannten Schrittes geht es von der Polizeiinspektion in Richtung ZOB. Nur keine Hektik. Hofbauer hat sein Funkgerät vergessen, Rebhahn wartet auf halber Strecke und erzählt, er sei über einen Bekannten auf die Stelle aufmerksam geworden. Nur 40 Stunden dauert die Ausbildung der Sicherheitswacht, die zu großen Teilen aus allgemeiner Rechtslehre, aber auch aus einem Erste-Hilfe-Kurs besteht. Danach ging es dann direkt los. Rebhahn bereut es nicht. „Man trägt seinen Teil zur Gesellschaft bei“, sagt er nicht ohne Stolz, „außerdem ist man an der frischen Luft und bewegt sich.“.
Hofbauer stößt samt plärrendem Funkgerät wieder dazu und unter andauerndem metallischen Gesprächsfetzen geht es weiter. Auch er sei durch Kontakte zur Sicherheitswacht gekommen, auch ihm gefalle die Aufgabe. „Man tut etwas für das Zusammenleben und um ehrlich zu sein auch ein bisschen für sich selbst.“
Erste Etappe: ZOB
Am ZOB trifft Hofbauer einen Kollegen. Während er sich angeregt mit ihm unterhält, überblickt Rebhahn den Platz. Dieser gehöre neben Bahnhof, Innkai und dem Exerzierplatz zu den Hotspots der Passauer Kriminellen-Szene. Doch es ist ein ruhiger Freitagabend. Keine Schlägereien, keine der ansonsten häufigen Alkoholdelikte, nur eben viele Leute, die auf ihren Bus warten.
Generell seien die Passauer Straftäter eine bunte Mischung, natürlich gebe es altbekannte Täter, jedoch kristallisiere sich da keine Gruppe heraus. „Egal ob Student, Rentner oder Flüchtling, es gibt überall Rüpel!“ Nur manche Jurastudenten bereiten Rebhahn Kopfzerbrechen: „Auf der einen Seite Recht studieren, auf der anderen Gesetze brechen.“
Immer weiter hinunter geht es die im seichten Abendlicht pastellfarben schimmernde Fußgängerzone, immer mehr zur Altstadt hin. Aus einer gut gefüllten Eisdiele treffen die beiden Ehrenamtlichen viele Blicke. „Wenige wissen, was genau wir machen.“ sagt Hofbauer, dennoch sei das Feedback der Bevölkerung überwiegend positiv. „Außer von den Straftätern eben“, witzelt er. Gerade ältere Menschen und Frauen, die nachts alleine unterwegs sind, fühlen sich durch die Sicherheitswacht sicherer.
Zweite Etappe: Rathaus
Am Rathaus ist die erste Stunde vorbei, ohne Zwischenfälle. Die Sonne geht unter und taucht den Donaukai in goldenes Licht. Glitzernd strömt der Fluss gen Ortsspitze, nur das gelegentliche Plärren des Funkgeräts stört die Idylle.
Die beiden nehmen sich einen Augenblick Zeit und entdecken mehrere Feuerwehrautos, die das gegenüberliegende Ufer säumen. Schon kommen die ersten Neugierigen und fragen Hofbauer, was drüben geschehen sei. Er weiß ebenso wenig Bescheid, vermutlich ist jemand in die Donau gefallen.
„Wir sind ein bisschen das Mädchen für alles“, sagt Rebhahn dazu, manchmal sei man Stadtführer für Touristen, manchmal helfe man ihnen den Weg zum Hotel zurückzufinden, sogar einen brennenden Mülleimer löschte Hofbauer einmal in der Fußgängerzone.
„Die Sicherheitswacht stellt nicht dieselbe Autorität dar wie die Polizei. Da ist die Hemmschwelle der Bürger geringer“, erklärt Alexandra Lachhammer.
Dritte Etappe: Bahnhof
So auch am Bahnhof, dem nächsten Etappenziel. Eine ältere Dame sitzt verloren an einer dunklen Bushaltestelle. Sie hat ihr Ruftaxi verpasst und bittet verzweifelt um Hilfe.
Eine Aufgabe für Hofbauer: Mit Rat und Tat und Google steht er bereit und sucht nach einer Verbindung. Beinahe fünf Minuten blickt er angestrengt auf seinen Handybildschirm, telefoniert beschäftigt umher. Erst als die Weiterfahrt der dankbaren Dame geregelt ist, wird der Rundgang fortgesetzt.
Am schlafenden Mann vorbei geht es ins Bahnhofsinnere. Auf Gleis eins hat es sich eine kleine Gruppe Jugendlicher inmitten einer üppigen Traube aus Bierflaschen gemütlich gemacht. Alles legal, dennoch erstarren ihre Blicke, als sie Rebhahn und Hofbauer sehen. Als die Ehrenamtlichen nach etwa zehn Minuten erneut am Treffpunkt vorbeikommen sind die Jugendlichen verschwunden, mit ihnen der Flaschenforst. Manche Probleme lösen sich von alleine; Rebhahn lacht schelmisch. „Es geht darum, Präsenz zu zeigen, irgendwo ist man ja doch uniformiert.“
Hilfssheriffs?
Aber die Dienstkleidung hat auch eine Schattenseiten: Manchmal werden die Ehrenamtlichen als „Hilfssheriffs“ beschimpft. Eine Bezeichnung, mit der man sie reizen kann. „Wir sind das Bindeglied zwischen Polizei und Gesellschaft“, definiert Rebhahn. „Wir helfen der Polizei die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.“ Klingt ein bisschen nach einem auswendig gelernten Broschüretext, aber im Grunde genommen trifft es zu. Sie seien keine Blockwarte, keine Denunzianten, viel zu oft werde man auf die reine Maßregelung reduziert. In Wirklichkeit helfe man zumeist, schlichte und sei vor allem eben auch darum bemüht, die Polizei herauszuhalten. Das sei ja auch im Sinne der Bürger. „Wir haben die Zeit zu reden“, erklärt Rebhahn und fügt hinzu, „die hat die Polizei oft nicht.“.
„Wir zeigen keine Falschparker an“, sagt er weiter. „Das würden Hilfssheriffs tun“, ergänzt Hofbauer. Man merkt, das Thema geht ihnen nahe, ihre zuvor noch abgeklärte, ruhige Ausstrahlung erhitzt sich ein wenig.
Beide Ehrenamtliche kommen nicht aus Passau, ein Großteil der Aufwandsentschädigung von 8,50 Euro pro Stunde gehe für die Anfahrt drauf. Sie opfern ihre Zeit. Obwohl sie sich gerne engagieren, tun die Beschimpfungen weh. „Die meisten Beleidigungen richten sich gegen die Uniform“, wiegelt Rebhahn ab, das nehme man nicht persönlich. Aber manchmal wünscht man sich ein bisschen mehr Wertschätzung.“
Polizeihauptkommissarin Lachhammer sieht die Sicherheitswacht ebenso wenig als Hilfspolizisten. „Die Sicherheitswacht unterstützt uns mit ihrer Wahrnehmung.“ Das sei ihre primäre Aufgabe, der eigentliche Sinn und Zweck der Einheit aus polizeilicher Sicht. Zudem verfüge sie auch nur über die Jedermannsrechte, einzig die Identitätsfeststellung sei ihr vorbehalten.
Vierte Etappe: Ein friedlicher Abend
Vom Bahnhof geht es zurück zum ZOB. Es ist dunkel, der Rundgang fast vorbei. Vorfälle gab es heute keine. Auf dem kleinen Exerzierplatz werden die Wasserfontänen bunt angeleuchtet. Rebhahn und Hofbauer nehmen sich einen Augenblick Zeit, um eine dort ansässige Rattenfamilie zu beobachten. Hastig pendeln die kleinen Nagetiere zwischen einem der quadratischen Blumenkästen und dem überfüllten Mülleimer am oberen Wasserbecken umher.
Es ist ein friedlicher Freitagabend, sicherlich auch dank der Sicherheitswacht.
Die Sicherheitswacht soll in Passau, wie in ganz Bayern, vergrößert werden. Die Polizei richtet sich dabei auch an Studenten, wobei die zeitliche Flexibilität natürlich sehr von Vorteil ist. Auf einen Aufruf im Uni-Blog vom Oktober 2016 gab es laut Polizeihauptkommissarin Alexandra Lachhammer bisher keine Rückmeldung.