Zwei Männer verschwinden. Die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein, und während der eine nach langer Zeit wieder auftaucht, wird der andere vielleicht für immer verschwunden bleiben. Sicher ist, dass beide danach nicht mehr die selben sind. Jeder auf seine Art und Weise.
Ihre Namen lauten Jean Paul Getty III und Kevin Spacey, und Alles Geld der Welt handelt von diesen Männern, auch wenn man nicht gerade behaupten kann, dass ihre Geschichten gleichberechtigt erzählt werden. Genauer gesagt: die Geschichte des Kevin Spaceys ist die eines totalen Verschwindens, eine Phantom-Geschichte hinter der eigentlichen Geschichte des Jean Paul Getty III, von dessen Entführung in den 1970er Jahren Alles Geld der Welt eigentlich handelt. Regie führte Hollywood-Legende Ridley Scott (Alien, Blade Runner), kein Mann für leichte Stoffe, und dass er sich nach größtenteils fiktionalen Science-Fiction-Filmen einem realen Stoff zuwandte, mag wohl daran liegen, dass Jean Paul Getty III niemand geringerer war als der Enkel des Öltycoons Jean Paul Getty, der im vergangenen Jahrhundert zum Milliardär und reichsten Menschen der Welt wurde (ob er wirklich der „reichste Mann in der Geschichte der Menschheit“ gewesen ist, wie es der Trailer reißerisch behauptet, kann bezweifelt werden). Dessen Rolle sollte eben jener Kevin Spacey übernehmen, was er auch tat, und der Film war bereits vollständig abgedreht, als die #meToo-Kampagne an Fahrt aufnahm und Spacey mit voller Wucht erwischte. Dutzende Zeugen meldeten sich in den nächsten Wochen und belegten das sexuell übergriffige Verhalten des Superstars an so ziemlich jedem Set, an dem er arbeitete. Scott fackelte nicht lange und schnitt Spacey konsequent aus dem Film heraus, der Film, so gab er nüchtern zu, dürfe kein finanzieller Flop werden. Spacey hat wohl diverse Personen belästigt, aber er ist nicht tragbar weil es teuer werden könnte. Eine Begründung, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt in Anbetracht dessen, worum es in Alles Geld der Welt geht, nämlich um, nun ja, um Geld. Spacey wurde rasch durch den Kanadier Christoph Plummer ersetzt und sämtliche seiner Szenen nachgedreht, und wer Spacey im auf YouTube nach wie vor verfügbaren Originaltrailer gesehen hat, wo er unter einer sehr großen Menge Schminke fast schon drollig aussieht, der mag sich fragen, ob das wirklich ein großer Verlust für den Film war, denn an Plummers Spiel ist definitiv nichts auszusetzen.
Der Film teilt sich auf in zwei Handlungsstränge, die etwa im Verhältnis 1:2 erzählt werden: den Jean Pauls und seiner Entführer sowie den seiner verzweifelten Mutter Gail Harris (Michelle Williams), die versucht, die geforderten 17 Millionen Dollar Lösegeld von ihrem Schwiegervater aufzutreiben. Erwartbar weigert sich Getty Senior, die geforderte Summe zu bezahlen, aus Geiz natürlich, aber auch aus dem Grunde heraus, dass jemand, der für einen gekidnappten Enkel siebzehn Millionen bezahlt, bald eine große Menge gekidnappter Enkel freikaufen muss. Stattdessen stellt er seiner Tochter seinen Sicherheitschef Fletcher Chase (Mark Wahlberg) zur Seite, einen Ex-CIA-Agenten und somit genau den richtigen Mann für knifflige Ermittlungs- und Verhandlungsarbeit. Daraus könnte man einen richtig spannenden Thriller machen, aber aus schwer verständlichen Gründen weigert sich der Film über die volle Länge einer zu werden. Woran liegt das? Vielleicht daran, dass er sich nicht darauf festlegen kann, auf welchen der beiden Handlungsstränge er die Schwerpunkte legen will: mal sehen wir ein bisschen von Paul, der in baufälligen Hütten irgendwo im sonnenverbrannten italienischen Süden um sein Leben fürchtet; mal sehen wir Fletcher und Gail, die sich mit – natürlich unfähigen – italienischen Ermittlern herumärgern, dann im nächsten Moment nach Surrey jetten, wo Großpapa Getty wie ein Drache auf seinen Kunstschätzen hockt und die Entführung seines Enkels wie einen lästigen Deal behandelt, den man möglichst verlustfrei hinter sich zu bringen hat. Der Film könnte eine Reflexion über Macht, Geld und Moral sein, oder aber ein atemloser Entführungs-Thriller, am Ende ist er nichts davon: Scott erzählt den Film zu behäbig, und er, der ohnehin als Ästhet kritisiert wird, dem eine gelungene Einstellung mehr wert sei als ein gelungener Dialog, scheint dieses Klischee zu bestätigen, als er jede Spannung unter Schichten von schweren Grün- und Brauntönen sowie Strömen von blendendem Gegenlicht begräbt. Wie der Film es als Genrestück tut, so stehen seine Hauptcharaktere als Figuren zwischen Tür und Angel, sowohl räumlich, als auch dramaturgisch: man mag gar nicht glauben, dass hier Top-Stars gecastet wurden, so unbeeindruckt wirkt Michelle Williams als angeblich besorgte Mutter, statt am Rande des Nervenzusammenbruchs bleibt sie distanziert und ohne viel Emotion. Auch wenn sie routiniert die Augen nach der nächsten Abfuhr durch ihren Schwiegervater schließt und aufseufzend auf den Boden sinkt, wenn sich eine weitere Hoffnung als vergebens entpuppt, bleibt da immer eine Distanz, die sie unpassend professionell wirken lässt – und die paradoxerweise viel besser zu ihrem Begleiter gepasst hätte. Aber Mark Wahlberg macht es nicht viel besser, tritt er meistens sowieso schon recht geleckt auf, verkommt er als aparter Anzugträger mit Dauerstirnrunzeln, welches ihn wohl tough wirken lassen sollen, eher zum leicht überforderten Abteilungsleiter in einem Textilunternehmen, der seiner Chefin hinterherdackelt, die sich mit dem bösartigsten Baumwoll-Boss der Stadt angelegt hat. Dann gibt’s noch ein bisschen hiervon und davon, wild knipsende Journalistenmeuten, eine durchaus eklige Verstümmelung, falsche Fährten und am Ende eine ziemlich unspektakuläre Verfolgungsjagd – soll ja ein Thriller sein –, und man hat sich an dieses Hin und Her der Story nach gut zwei Stunden schon so weit gewöhnt, dass man sich verblüfft die Augen reibt, als der entscheidende Coup tatsächlich die Entführung auflöst, anstatt die nächste Irrung in diesem Drama zu sein.
Ja, alles Geld der Welt ist dieser Film wohl definitiv nicht wert. Dafür agiert er zu hölzern, dafür ist das Drehbuch in seiner Unentschlossenheit zu statisch und dafür sagt er einfach nicht genau genug, was er denn jetzt eigentlich sein will. Und so bleibt die absolute Dringlichkeit, die eine Entführung durch italienische Gangster, hastig einberufene Pressekonferenzen und ein abmagernder Jean Paul Getty uns suggerieren wollen, eine reine Behauptung. Derartiges ist katastrophal für einen solchen Film. Die optische Opulenz, die Scott gekonnt auf die Leinwand zaubert, wie er es schon immer tat, retten dabei auch nichts mehr von der Spannung, die rapide verloren geht – im Gegenteil, die äußerlichen Stärken entblößen die inhaltlichen Schwächen nur um so gnadenloser.
„Nicht ist es wert,“ so belehrt uns Getty im Verlaufe des Films, „dass man den vollen Preis dafür bezahlt.“, und im Hinblick auf die gut zehn Euro, die man für diesen Film an der Kinokasse zu bezahlen hat, mag man sich fragen, ob er am Ende nicht vielleicht Recht hatte.