Am vergangenen Donnerstag fand eine Großdemo gegen die geplante Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in München statt. Die geplante Umsetzung sorgt schon seit längerem für Unruhe in ganz Bayern. Florian Ritter, SPD-Abgeordneter des bayrischen Landtags, hatte die Großdemo angemeldet. Ein breites Bündnis an Parteien, Verbänden, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Fußballfans hatte zu dem Protest aufgerufen. Der Gesetzesentwurf spaltet die Meinungen – die einen erhoffen sich mehr Sicherheit, die anderen haben Angst um ihre Grundrechte.
Tausende Menschen kamen in der Münchener Innenstadt am Marienplatz zu der groß angelegten Kundgebung gegen das Gesetz um 13 Uhr zusammen, welche allerdings wegen Platzmangels ausfiel. Die Veranstalter rechneten ursprünglich mit rund 10 000 Teilnehmern, tatsächlich nahmen über 30 000 Menschen an der Demonstration teil. Auch in Passau trafen sich um zehn Uhr morgens viele junge Menschen am Hauptbahnhof, um gemeinsam nach München zu fahren. Bereits letzte Woche hatte hier eine Kundgebung am Ludwigsplatz stattgefunden.
Mit Musik, Plakaten, Flaggen, Megafonen, Instrumenten, Geschrei und Gesängen zogen die Menschen durch die Stadt, um friedlich gegen das PAG zu protestieren. Der Protestzug bewegte sich anfänglich nur langsam vorwärts, da sich der Marienplatz mehr und mehr füllte. Nach eigenen Angaben sind 95 zivilgesellschaftliche Organisationen Teil des vor etwa vier Wochen gegründeten Bündnisses „No Pag“, darunter die Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke, die Gewerkschaft Verdi und das Münchner Umweltinstitut. Die gesamte Demonstration verlief friedlich, es kam zu keinen Ausschreitungen und Gewalttaten, wie die Polizei bestätigte. Schon zuvor hatte das Bündnis „noPAG – Nein! Zum neuen Polizeiaufgabengesetz“ aufgerufen, „laut, aber friedlich“ zu protestieren. Um die gewaltige Menschenmasse zu überblicken hatte die Polizei bereits im Voraus einige Teile der Stadt abgesperrt und ein Polizeihubschrauber umkreiste den gesamten Protestzug.
Die Demonstration bewegte sich über den Marienplatz, den Isartorplatz, den Thomas-Wimmer-Ring, den Karl-Scharnagl-Ring, den Franz-Josef-Strauß-Ring, die von-der-Tann-Straße bis zum Odeonsplatz. Kurz vor 15 Uhr begann die Abschlusskundgebung am Odeonsplatz etwas früher als geplant, da durch die nicht stattgefundene Einführungskundgebung noch einiges aufzuholen war. Die Stimmung unter den Demonstranten war sehr gut, etliche zeigten sich mit kreativen und ausgefallenen Sprüchen. Parolen wie: „Wer heute noch lacht, wird morgen überwacht“, „Frei statt Bayern“, „Freiheit stirbt mit Sicherheit“, „Passwort vergessen? 110“, „Markus, ruf mich an! Meine Kontaktdaten hast Du ja schon“, „Big Söder is watching you“, „Verhaften first, Bedenken second“ oder schlicht und einfach „Ernsthaft, CSU?!“ waren überall zu lesen und zu hören. Auch Verkleidungen waren hier und da zu sehen, Buh-Rufe, Pfiffe und Lieder schallten durch die Straßen.
Nach der Demonstration kam es zu insgesamt 14 Festnahmen, bei denen es sich hauptsächlich um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz handelte. Die Polizei betonte, dass diese fast alle nach der eigentlichen Großdemonstration stattfanden. Während der Demonstration war es am Sendlinger Tor, wo sich der Protestzug nicht entlang bewegt hatte, zu einer vorläufigen Festnahme gekommen, weil ein Teilnehmer den Hitlergruß zeigte.
Marcus da Gloria Martins von der Münchener Polizei sagte im Anschluss der Demo: „Wenn eine Veranstaltung in dieser Vielfalt und Menge so friedlich verläuft sind wir absolut zufrieden.“
Aber wogegen wurde überhaupt demonstriert?
Im vergangenen Sommer hatte die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag ein neues Polizeiaufgabengesetz beschlossen. Auf fast 200 Seiten stellt die Partei vor, wie sie die Befugnisse der Polizei extrem ausweiten möchte. Aufgrund massiver Kritik hatte die CSU-Fraktion Ende April einige umstrittene Neuerungen entschärft, wie zum Beispiel keine Gesichtserkennung mehr bei der intelligenten Videoüberwachung. Auch das Erkennen bestimmter Verhaltensmuster soll nicht mehr erfasst werden. Nur Gegenstände wie Waffen oder große Taschen dürfen von einer speziellen Computer-Software identifiziert werden.
Außerdem müssen seit der Erneuerung Polizisten bei Einsätzen in privaten Wohnungen die Voraufzeichnungsfunktion an ihren Bodycams ausschalten. Die Bodycams dürfen nur noch 30 Sekunden statt wie ursprünglich geplant drei Minuten aufzeichnen, sollen aber generell bei Einsätzen eingesetzt werden. Der Einsatz von Bodycams ansich ist aber auch in Wohnungen weiterhin möglich. Drohnen dürfen zur Überwachung eingesetzt werden, allerdings unbewaffnet. Im alten Gesetzentwurf wären mit Reizgas bewaffnete Drohnen als „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ einsetzbar gewesen.
Die Kritik des #noPAG-Bündnisses richtet sich allerdings gegen eine ganze Reihe an Neuerungen: ein großer Kritikpunkt ist der schwammige Begriff der „drohenden Gefahr“, welcher Grundlage für einschneidende polizeiliche Maßnahmen sein soll und ausreicht, um gezielte Überwachungsmethoden gegen Verdächtige anzuwenden. Diesen Begriff hatten die Verfassungsrichter laut Kritikern des PAG nur für den Bereich des Terrorismus vorgesehen. Bei „drohender Gefahr“ dürfen nun aber bayerische Polizisten, auch wenn keine konkreten Tatpläne vorliegen, viele Maßnahmen ergreifen, wodurch die Polizei mehr oder weniger die Aufgabe von Geheimdiensten übernehmen würde, weil sie schon im Gefahrenvorfeld aktiv werden dürfte. Sie müssten also nicht begründen, warum sie jemanden bewachen. Zu diesen Maßnahmen gehören verdeckte Ermittlungen, das Abhören von Telefonen oder Onlinedurchsuchungen, was jedoch vorab von einem Richter genehmigt werden müsste. Auch das Durchsuchen, Speichern, Löschen und Verändern von persönlichen Daten gehört dazu. Kritiker bemängeln, das Gesetz sei nicht präzise genug formuliert, die Voraussetzungen, wann die Polizei weitreichend in Grundrechte eingreifen darf, nicht ausreichend definiert. Gewerkschaften befürchten, dass selbst Streiks oder deren Vorbereitungen zu einer „drohenden Gefahr“ erklärt und somit verhindert werden können. Auch die Regelungen zu Begleitpersonen – Personen, die mit einem „Gefährder“ im Kontakt stehen, wurden entschärft. Somit dürfen sie aber trotzdem noch außerhalb ihrer Wohnung überwacht werden, wenn sie „mit der Gefahrenlage in Zusammenhang stehen“.
Gegenwärtig darf die Polizei Anrufdaten, SMS und Internetchats nur anzapfen, wenn eine konkrete Gefahr besteht, das heißt, wenn es belastbare Hinweise oder Informationen darüber gibt, dass eine bestimmte Person beispielsweise einen Anschlag plant. Durch die Änderung sollen künftig auch Briefe und Pakete schon bei „drohender Gefahr“ geöffnet werden dürfen, zwar nur mit richterlichem Beschluss, aber ohne, dass es der Betroffene erfährt.
Eine weitere wichtige Änderung betrifft das Thema DNA-Analyse: DNA Spuren dürfen zur Identifizierung einer Person genutzt werden und zur Fahndung analysiert werden. Diese Identifizierung beinhaltet nicht nur die Bestimmung des Geschlechts, sondern auch die der Augen-, Haar- oder Hautfarbe, des Alters oder der Herkunft.
Wie reagiert die CSU darauf?
Fraktionschef Thomas Kreuzer hält die Befürchtungen der PAG-Gegner für unbegründet, schließlich wolle man die Menschen vor neuen Gefahren schützen und könne durch frühes Einschreiten der Polizei Leben retten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betont, dass der Freistaat Bayern lediglich mit der Gesetzeslage auf Bundesebene gleichziehe, da Bundespolizei- und Bundeskriminalgesetz wegen der Bedrohung durch Terroranschläge bereits verschärft wurden. Außerdem müsse Bayern das Polizeirecht bis zum 25. Mai auf eine neue EU-Datenschutzrichtlinie hin anpassen.
Der Landtag will am 15. Mai im Plenum über die Erneuerung des Polizeiaufgabengesetzes beraten und mit Mehrheit der CSU wohl auch beschließen.
Der Entwurf des „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“
Bei der Demonstration ging es natürlich vorwiegend über das Polizeiaufgabengesetz, aber auch der Entwurf für ein „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ blieb nicht unkommentiert. Sowohl bei der Kundgebung als auch unter den Demonstranten wurde sich dagegen ausgesprochen. Dem Entwurf nach sollen psychisch kranke Menschen, ohne dass sie jemals eine Straftat begangen haben, in Krankenhäuser festgesetzt werden können, und das nach Regeln, wie sie bisher nur für Straftäter galten. Der Entwurf enthält vier Paragrafen, die sich mit „Hilfe“ für Kranke beschäftigen, und 35 über die „Unterbringung“ zu Zwecken der Gefahrenabwehr. Zwar soll ein flächendeckender psychiatrischer Krisendienst eingeführt werden, was durchaus auf Zustimmung in der Fachwelt trifft, so gut wie alle anderen Vorschriften orientieren sich aber am Strafrecht und am Maßregelvollzug für Straftäter. In dem neuen Gesetzesentwurf der CSU geht es um Zwangsunterbringung in Krankenhäusern, bei denen Besuche stark eingeschränkt und kontrolliert werden, Telefonate überwacht und die Kranken untersucht werden sollen.
Beitragsbild, Foto 1+2: Pia Senkel