Die EU hat Einfluss auf unser alltägliches Leben. Die Erasmussemester im Ausland, Telekommunikationsnormen oder die Größen unserer Pizzen werden durch die EU ermöglicht, bestimmt und reguliert. Ständig werden wir damit konfrontiert, registrieren es jedoch kaum. Liegt das an der Berichterstattung der Medien? Sollte die Politik transparenter kommunizieren? Und wie kann der Fokus auf die Europäische Union größer werden? Vergangenen Freitag haben Experten in einer Podiumsdiskussion an der Uni Passau mit interessierten Studenten darüber debattiert.
„Wir sind das Volk!“ Je lauter und öfter diese politische Parole in den vergangenen Monaten auf den Straßen Deutschlands gerufen wurde, desto unklarer wurde, was damit eigentlich gemeint ist. Ursprünglich haben Demonstranten in den Montagsdemonstrationen 1989/ 1990 diesen Ruf gegen die DDR-Regierung gerichtet, heute scheint es mehr der Ausdruck generellen Unmuts und der Ablehnung von Asylbewerbern zu sein. Doch wer ist „wir“? Und vor allem: Wer ist „das Volk“? Auf nationaler Ebene gab es darüber etliche Diskussionen, vielfältig gedeutete Begriffe wie Leitkultur, Nation und Identität sorgten für weitere Missverständnisse.
Wie sieht es aber aus, wenn man die nationale Ebene verlässt und sich auf eine transnationale, die europäische, begibt? Europäische Patrioten, die mit großen Pappschildern und hetzerischen Parolen durch die Städte marschieren, gehören in der EU definitiv nicht zu Alltagsproblemen. Zum Glück. Trotzdem könne das proeuropäische Denken etwas ausgeprägter sein, finden Mitglieder des AEGEE und der Jung European Federalists in Passau. Zusammen mit YVote haben sie eine Podiumsdiskussion organisiert. Die Kernfrage: „Do we need a european public sphere?“
Bei der Debatte um eine gemeinsame Öffentlichkeit in der EU spielen auch die Medien eine besondere Rolle. Dr. Stefan Skupien vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung definiert zu Beginn den Begriff der „european public sphere“ als „etwas zwischen uns und dem Staat“. Ein wenig konkreter wird es, als er die Funktionen aufzählt: „verbinden, übersetzen, kontrollieren und integrieren“. Immer noch mit dem abstrakten Begriff hadernd, ergänzt Dr. Skupien: „Denkt es im Plural.“ Es gebe nicht nur einen öffentlichen Raum in der EU, sondern viele Unterebenen und Themen.
Doch alleine schon einen gemeinsamen politischen Gegenstand zu finden sei nicht einfach, findet Thomas Eibl. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft und stellt fest: Jedes Land ist von EU-Maßnahmen unterschiedlich betroffen, daher werden vor allem wirtschaftliche Themen individuell auf nationaler Ebene diskutiert. Wie so ein Thema letztendlich aufgefasst wird hängt stark von den nationalen Medien ab, sagt Eibl. Ob „staatlich gefärbte Medien oder eher europäisch eingestellte Journalisten“ über einen EU-Vorschlag schrieben, beeinflusse die Meinung der Bevölkerung unterschiedlich.
Viola Bianchetti, Projektleiterin AEGEE Brüssel, setzt daher besonders auf die zivilgesellschaftliche Perspektive. Für sie ist der kulturelle Austausch die einzige Möglichkeit den Menschen europäische Identität bewusst zu machen. Obwohl es manchmal schwierig sei, nationale Grenzen zu überwinden, brauche die EU unbedingt den Austausch der Interpretationen aus verschiedenen Ländern.
EU-Bürger: Leere Worte auf dem Ausweis?
Wichtige Schritte für mehr Austausch sind laut Eibl vor allem Initiativen wie Erasmus und Interrail. „Wir haben bereits eine europäische Öffentlichkeit“, stellt er gegen Ende der Diskussion klar. „Wir müssen nur mehr Leben reinbringen.“ Es reiche nicht, Unionsbürgerschaft auf dem Personalausweis stehen zu haben. Nur wenige Bürger und Bürgerinnen nutzen das Informationsangebot der EU. Aber es läge auch in der Verantwortung der Medien, der Politiker und der nationalen Regierungen umfassend zu informieren, sagt Eibl.
„Die EU ist ein komplexes Spiel, genau wie die Wissenschaft. Sobald es zu kompliziert wird, gelangen nur wenige Details an die Öffentlichkeit“, sagt Dr. Skupien. Die Medien seien eher personenfixiert, komplexe politische Vorgänge fänden kaum Platz in den Publikumsmedien oder auf Sozialen Netzwerken. Die EU sei laut Bianchetti kaum bereit, auf eigene Schwachstellen hinzuweisen. Sie wirkt zum ersten Mal an dem Abend mehr enttäuscht als enthusiastisch: „Es geht nicht darum sich selbst als perfekt darzustellen, sondern darum möglichst viele Menschen anzusprechen und zu mobilisieren.“
Doch wieso gibt es bei der europäischen Öffentlichkeit überhaupt den Wunsch nach Mobilisation und europäischer Identität? Wenn sich in Deutschland Menschen mobilisieren, um sich für eine nationale Identität einzusetzen, schwingen nicht nur die Deutschlandflaggen. Es schwingt vielmehr der negative Beigeschmack von Isolationismus mit, meistens mit etwas Fremdenhass im Abgang. Europäische Identität soll in den Augen der Podiumsteilnehmer mehr ein Synonym für Integration werden. Europäische Öffentlichkeit sei wichtig, um die politischen Prozesse der EU zu legitimieren und um uns ihren Einfluss auf unseren Alltag bewusst zu machen. Daher bräuchte es laut Eibl auch transnationale europäische Medien.