Big change is coming

Der größte Inselstaat der Erde erfreut sich über immer größerer Beliebtheit bei Touristen aus aller Welt. Doch gerade in letzter Zeit wurden die größeren Inseln rund um Bali, Lombok und Java von verschiedenen Umweltkatastrophen und Unglücken heimgesucht. Für die religiösen Einheimischen sind diese Vorfälle ein ganz klares Zeichen: Die Götter sind erzürnt über die folgenschweren Entwicklungen in der Tourismusbranche. Mit der steigenden Zahl der Toten sinkt zugleich die Zahl der Touristen, die jeden Monat auf den paradiesischen Inseln landen. Eine Entwicklung mit verhängnisvollen Folgen. Der Großteil der Bevölkerung hat gerade dank den Touristen ein gesichertes Grundeinkommen, welches sie vor der Armut bewahrt. Die zerstörte Infrastruktur auf vielen der Inseln wird nur schleppend wiederhergestellt. Die Regierung ist überfordert mit der Situation. Die Berichte über die Lage in den Krisenregionen wurden weniger, die Welt hat sich langsam wieder von Indonesien abgewandt. Denn übertriebene Panikmache ist das Letzte, was das aufstrebende Land im Pazifik nun gebrauchen kann. 

Trotz aller Warnschilder brach ich im März bereits zum dritten Mal gen Osten auf, um in den Alltag der Indonesier einzutauchen, sowie mich im Klingeln der Prozessionen und dem Duftrausch der Räucherstäbchen zu verlieren. Doch dieses mal wollte ich verstehen, warum sich Land und Leute scheinbar rücksichtslos dem Tourismus verschreiben. Was veranlasst die Einheimischen, ihre Insel in diesem Umfang zu verkaufen und zu verfremden? Ist ihnen der Profit wichtiger als ihre Kultur? Die Zeichen stehen auf grün, will man den erfolgreichen Absprung von Entwicklungsland zu Industrieland prognostizieren. Schließlich gehört Indonesien zu den so genannten Tigerstaaten. Diese Staatengemeinschaft ist charakterisiert durch ein sehr potentes ökonomisches Wachstum, das bald den Weltmarkt beeinflussen wird. Indonesien punktet hier neben der Attraktivität als Reiseziel vor allem mit Rohstoffen, Ölreserven, Holz und Palmöl.

Also ließ ich mich erneut für drei Wochen auf dieses aufstrebende Land und seine Menschen ein.  Wie ich den aktuellen Umbruch empfand und welche Stimmung ich vor Ort einfangen konnte, lest ihr hier:

Bali boomt. Obwohl das Ende der Regensaison erst noch bevorsteht und offensichtlich Nebensaison ist, werden die Orte vor allem im Süden von Touristen dominiert. Nach dem Vulkanausbruch Ende 2017 musste sich die Insel der Götter erst wieder von ihrem Image der tickenden Zeitbombe befreien. Zurecht – das Thema wurde in den Medien übertrieben hochgespielt. Und dies nur, weil Bali mit die beliebteste Insel der 17. 508 Inseln darstellt. Dass täglich ein Erdbeben oder ein Vulkanausbruch eine dieser tausenden anderen Inseln heimsucht, darüber wird nie berichtet. Für die Menschen, die auf dem Feuergürtel im Pazifik leben, gehören diese Naturschauspiele zum Alltag.

Die Regierung hat große Pläne für Bali. Es ist eine zweite Startbahn für den internationalen Flughafen Ngurah rai im Süden der Insel geplant. Zusätzlich will man den noch weniger frequentierten Norden der Insel mittels eines zusätzlichen Flughafens in Amed für die Urlauber attraktiv machen. Vor allem für Taucher bieten sich die zahlreichen Korallenriffe und Naturschutzgebiete vor der Nordküste für einen zahlungswürdigen Trip an. Wie die Insel mit den Massen von Menschen, die dann über Bali hereinbrechen werden, klarkommen will, steht in den Sternen. Die Einheimischen betrachten das Ganze mit gemischten Gefühlen. In einem Land ohne Rentensystem und funktionierendem Gesundheitswesen sind die Menschen dankbar für jede Möglichkeit, die ihnen ein besseres Einkommen und somit ein sicheres Leben bietet. Gleichzeitig sind sie traurig über die rasanten Entwicklungen, die bereits in den letzten zwanzig Jahren das Leben auf Bali radikal verändert haben. Die Globalisierung macht auch vor Bali nicht halt. Einen Ableger des Franchise Unternehmens Starbucks neben einem der vielen winzigen Restaurants vorzufinden ist normal geworden. Monsieur Spoon, eine französische Cafe Kette, eröffnet eine Filiale nach der anderen. Pizza beim Italiener, argentinische Steaks und daneben ein Grieche – jeder buhlt um das Herz der zahlungswilligen Urlauber. Mittlerweile die traurige Realität in den beliebten Küstenorten im Süden. Und bald wird sich diese fragwürdige Entwicklung durch die saftig grünen Hügel bis ins Hinterland ziehen.

 

Lombok, der Nachbarinsel östlich von Bali, steht dieser Boom erst noch bevor. Bisher konzentrieren sich die wachsenden Touristenströme vor allem auf die angesagten Gili-Inseln vor der Nord-West-Küste. Besonders Gili Trawangan, die Partyinsel, ist das ganze Jahr über Anlaufstelle feierwütiger Touristen, die bereit sind, alle Hemmungen fallen zu lassen. Doch auch Gili Meno und Gili Air haben längst ihren Charme als unberührte Getaways mit weißen, von Palmen gesäumten Sandstränden verloren. Mit Glück findet man heute noch zwischen all den Plastiktüten, Trinkflaschen, Windeln und sonstigen Wohlstandsabfällen eine Koralle, die diesen Wahnsinn überlebt hat. Vergleichsweise wenige wagen sich bis dato in das Innland Lomboks vor. Sie bleiben entweder in der Hauptstadt Mataram hängen oder fahren in den kühleren Norden weiter, um dort den zweithöchsten Vulkan Indonesiens, den Rinjani, zu besteigen. 

Kuta Lombok, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Ort in Bali, der zum Ballermann der Australier an den Wochenenden geworden ist, wird erst langsam bekannt. Der Ort ganz im Süden der Insel, nur eine 20-minütige Fahrt vom winzigen Flughafen entfernt, lockt mit endlosen sauberen Stränden, Wellen für jeden Schwierigkeitsgrad und authentischem Dorfleben. Abends sammelt sich die Jugend in einer der wenigen provisorischen Bars, tagsüber geht man surfen. Es gibt einen großen Supermarkt, der erst kürzlich eröffnet hat. Ansonsten prägen die kleinen Obststände und Warungs (Garküchen/ klassische Restaurants am Straßenrand mit lokaler Küche) der Locals das Gesicht des Ortes oder besser gesagt der bewohnten Straße. 

Es geht im Leben nicht um das Geld, erzählt er mir.

Entgegen der Vermutungen sind viele der Einwohner Lomboks schon in die Ferne geschweift: Sie arbeiteten beispielsweise in Dubai, Berlin oder Hamburg. Manche können sogar ein bisschen Deutsch sprechen. Doch trotzdem zieht es die meisten wieder in die Heimat. Jogi, er arbeitet wie so viele hier als Surflehrer, erzählt, dass er ohne das Meer nicht leben kann. Er muss jeden Tag wenigsten am Strand stehen, wenn er schon nicht surfen kann. Ansonsten wird er krank. Auf den Wohlstand und den Lebensstandard des Westens verzichtet er dafür gerne. Es geht im Leben nicht um das Geld, erzählt er mir. Es geht darum, Spaß zu haben: „Wir nehmen das Leben viel zu ernst in Deutschland“. In Indonesien liegen die Prioritäten woanders. Die Familie steht an erster Stelle. Zieht ein Kind aus, bedeutet dies meist nur, dass es ein Haus auf dem Nachbargrundstück baut. Zwischen den Großeltern und dem Cousin. Man bleibt nah zusammen, teilt Mahlzeiten und hilft sich bei der Arbeit. Das Konzept der Großfamilie hat aber nicht nur den sozialen Hintergrund. Vielmehr ist es ein ganz praktischer Grund, der den Kinderreichtum der Indonesier erklärt: Da es keine Rente wie in Deutschland gibt, sichern sie sich im Alter durch ihre Kinder ab. Dieser stille Generationenvertrag wird von niemandem in Frage gestellt. 

Seit im vergangenen Jahr ein starkes Erdbeben die Insel heimgesucht hat, herrscht Stillstand. Der Norden liegt in Trümmern, zahllose Familien sind obdachlos. Die Maßnahmen der Regierung zum Wiederaufbau scheitern kläglich. Der Süden blieb fast gänzlich verschont vom Unglück und doch wiegen die eingebrochenen Urlauberzahlen zu Lasten der Einheimischen. Nur wenige Touristen stechen aus der Menge heraus, aber das hat seine Vorteile. Die Locals haben ihre Freude daran, mit den Urlaubern Zeit zu verbringen. Billiard spielen, Ausflüge an die umliegenden Strände oder einfach nur reden. Als ich einmal bei dem jungen Indonesier Hendrik zu Gast sein durfte, tranken wir Kokosnüsse aus dem eigenen Garten. Sein Vater kletterte extra auf die Palme, um die frischen Nüsse herunterzuschlagen, bevor er sich wieder seiner Zigarre hingab. Wir saßen auf einer ramponierten Reismatte, während um uns herum die Hühner der Familie pickten. Die Mutter brachte Reiswein in vergilbten Plastikbechern, auf denen man noch die Silhouette einer Hello Kitty erkennen konnte. Für einen Moment scheint die Welt hier so heil. 

Sonnenuntergang am Strand im Lombok mit den Locals. Getrunken wird der typische billige Reiswein.

Gastfreundschaft ist ein wichtiges Gut in Indonesien. Auch wenn die Einheimischen oft in einfachsten Verhältnissen leben, sind sie stets bereit, auch ihre wenigen Habseligkeiten mit dem Besuch zu teilen. Anders als in Deutschland, werden Ausländer nicht erst mal argwöhnisch auf Abstand gehalten. Geht man durch den Ort, wird man an jeder Hausecke angelacht und gefragt, wie es einem geht. Hier unterscheiden sich Bali und Lombok noch deutlich voneinander: Während im trubeligen Bali diese Gespräche meist einen rein kommerziellen Hintergrund haben und die Balinesen hoffen, mit den Urlaubern ein Geschäft zu machen, zeugen die Konversationen in Lombok von aufrichtiger Neugier und Interesse.

Auch Hendrik hat für einige Zeit in Hamburg gearbeitet. Aber es war ihm zu kalt und er hat das Meer vermisst. Ob er denn gar nichts an Deutschland geschätzt hat? Doch. Man könne dort so günstig Schnaps kaufen, das ginge in Indonesien nicht. Und wir sollten uns glücklich schätzen, dass wir so ein gut entwickeltes Gesundheitssystem haben. Gute Medizin gibt es in Lombok höchstens im Krankenhaus in der Hauptstadt. Doch der Weg ist zu weit, und die Behandlung zu teuer. 

Noch sind die grauen Bauruinen, die zunehmend Kuta prägen, überschaubar. Doch die ausländischen Investoren werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bald wird Lombok in die Fußstapfen der großen Schwester Bali treten. Die Einheimischen schauen mit einem unguten Gefühl in die Zukunft: „big change is coming“. 

 

Fotos: Paula Blain