Knapp zwei Wochen ist es her, dass die Entertainer Joko Winterscheid und Klaas Heufer-Umlauf das auf den Punkt gebracht haben, was im Leben unzähliger Frauen tagtäglich eine belastende Rolle einnimmt. In der Fernsehshow „Joko und Klaas gegen ProSieben“ erspielte sich das wohl bekannteste Comedy-Duo des Senders 15 Minuten Sendezeit zur Primetime. Wer sich jedoch auf die gewohnten Lacher freute, wurde mit seriöser Ernsthaftigkeit und bedrückender Realität konfrontiert. Wichtigstes Ziel des Beitrags: denjenigen eine Stimme geben, die sonst stillschweigend hinnehmen, wenn sie Opfer von Sexismus oder sexueller Gewalt werden. Das stieß im Netz auf enorme Zustimmung.
In Zusammenarbeit mit der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und antiflirting thematisieren Joko und Klaas sexuelle Belästigung gegenüber Frauen – sowohl in sozialen Netzwerken als auch im realen Leben. Das Ganze verpackt in einem kommentierten Rundgang durch eine Ausstellung unter dem Namen „Männerwelten“.
Schon die Einleitung macht klar: Hier wird nichts schön geredet. Palina Rojinski, Moderatorin und Schauspielerin, steht vor einem verhüllten Kunstwerk. Das Tuch fällt – zum Vorschein kommt ein nackter Penis. Keine Kunst, nichts, worüber man philosophieren will. Ein ungefragt zugesendetes Bild eines männlichen Geschlechtsteils. Es prangt neben Rojinski, Empfängerin des sogenannten „Dickpics“, wie ein Mahnmal. Das Versenden solcher Bilder ohne die Zustimmung des Empfängers ist nach § 184 StGB strafbar, das scheint jedoch kaum einen der narzisstischen Penis-Poser abzuschrecken. Inzwischen hat Instagram das Video zensiert. Manche Frauen wünschen sich sicher, sie könnten dies auch mit den verstörenden Bildern in ihrem Kopf tun.
„Das grenzt an virtuellen Missbrauch“ – Palina Rojinski
Bekannte weibliche Persönlichkeiten, Influencerinnen und Moderatorinnen treten auf. Sie untermalen die Darstellungen mit eigenen Beiträgen. Unter ihnen auch Collien Ulmen-Fernandes, die sich erst kürzlich in einem Interview mit „Prominent“ ebenfalls zu ihren Erfahrungen mit Belästigung äußerte. So sei das Versenden von Dickpics wohl kein Phänomen des Internets. Bereits zu Zeiten von Fanpost erhielt die Moderatorin unangebrachte Briefe mit unschönen Anhängen.
Die Führung geht weiter. Die prominenten Frauen lesen Kommentare vor, die unter ihren Bildern und Videos zu finden sind. Widerliche, abstoßende Anmachsprüche, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, herablassende Bemerkungen über ihre Körper. Das kostet Mut, doch die Frauen wissen wie wichtig es ist diese Dinge zu teilen. Wieder und wieder zu zeigen, dass es eben nicht normal ist. Dass man sich das nicht gefallen lassen muss und dass man sich erst Recht nicht schämen muss, wenn man zum Opfer wird.
Die Resonanz ist überwältigend. In weniger als einer Woche erzielte das Instagram-Video von Joko und Klaas mehr als 19 Millionen Aufrufe – mit Twitter, YouTube und Facebook kommen weitere Millionen hinzu. Tausende Kommentare bestätigen zum Großteil das, was im Video die traurige Realität zeigt. Unzählige Frauen schildern hier eigene Erfahrungen, bedanken sich für die Ehrlichkeit und loben den Mut derjenigen Frauen und Mädchen, die sich trauten, ihre Geschichte zu teilen. Doch auch Männer finden sich in der Kommentarsektion. Teilweise beschämt über Täter ihres Geschlechts, teilweise mit Geschichten, die klar machen, dass nicht nur Frauen derartigen Belästigungen ausgesetzt sind. Wenn man sich allerdings die Statistiken anschaut, muss man feststellen, dass dies eher Ausnahmefälle sind. In 97 % der Fälle von sexueller Belästigung ist der Täter laut Terre des Femmes männlich.
Autorin Sophie Passmann, die den Rundgang des Videos moderiert, merkt an, dass unter den Bildern und Videos von weiblichen Influencern im Schnitt 16 von 100 Kommentaren sexistisch sind – bei Männern gehe diese Zahl gegen Null. Zudem habe jede siebte Frau in Deutschland bereits strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt. Die Bedeutsamkeit dieses Thema zur Sprache zu bringen und gerade Frauen zu schützen und zu unterstützen sollte also klar sein.
Gegen Ende der Ausstellung wechselt schließlich die Perspektive. Es geht nun nicht mehr um Belästigung im Netz, um rein virtuelle Anzüglichkeiten. Der Fokus liegt nun auf Vergewaltigungen – sexueller Gewalt. Die University of Cansas hat zusammengetragen, was Frauen anhatten, als sie zum Opfer wurden. Nicht, dass es überhaupt eine Rolle spielen würde, wie tief der Ausschnitt oder wie kurz der Rock war. Kein Outfit der Welt rechtfertigt einen körperlichen Übergriff – das sollte klar sein. Das Schockierende jedoch ist, dass die getragene Kleidung nicht im Ansatz provokativ war. Eine Arbeitsuniform, ein Badeanzug, ein Abiballkleid. Das bereitet vielen Zuschauern eine Gänsehaut – und einen eiskalten Schauer.
Unangenehme Themen erfordern klare Worte
Joko und Klaas wollten mit ihrem Video die öffentliche Diskussion anregen – das ist ihnen gelungen. Manchen Männern muss klar werden, dass es keinen Unterschied macht, auf welche Weise man Frauen sein Geschlechtsteil aufdrängt. Ob man im Schutz der Anonymität des Internet einen sexistischen Kommentar ablässt oder einer Frau aus dem Auto hinterherpfeift. Auch – oder gerade – im Netz ist sexuelle Belästigung heutzutage ein ernstzunehmendes Problem.
Einige Stimmen äußerten Kritik an der Zusammenarbeit mit der Organisation Terre des Femme. Ihr wurde in jüngster Vergangenheit Islam- und Trans-Feindlichkeit vorgeworfen. So gab es unter anderem eine Debatte über ein Kopftuchverbot bei jungen Mädchen. Des Weiteren setzten sich Vetreterinnen von TdF in einem offenen Brief gegen das Gesetz zum „Schutz vor Konversionsbehandlungen“ bei Minderjährigen ein, in welchen versucht wird die sexuelle Orientierung oder die empfundene Zugehörigkeit zu einem anderen Geschlecht zu unterdrücken. Zwar spielt das für die wesentliche Thematik keine große Rolle, es sei jedoch erwähnt. Schließlich sollte die Message alle Frauen gleichermaßen unterstützen, unabhängig von Religion, Hautfarbe oder Geschichte.
Wahrscheinlich werden zwei Entertainer nicht die Welt verändern. Doch eins ist klar: Joko und Klaas haben ihre Reichweite mehr als sinnvoll genutzt und endlich ausgesprochen, was lange überfällig war.