Eine Gruppe Jugendlicher steht am Rathausplatz in der Sonne und schreit sich an. Immer wieder hebt jemand die Arme und führt sie in einer schneidenden Bewegung nach unten, als würde er ein Schwert schwingen. „Samurai“, so nennt Valentina Eimer die Übung, die von umstehenden Passant:innen so skeptisch beäugt wird. Eine Übung aus der Theaterpädagogik.
Valentina ist Geschäftsführerin von Čojč, dem Theaternetzwerk Böhmen-Bayern. „Čojč ist eine Mischung aus Česky und Deutsch“, erklärt sie den Namen. Die Organisation gibt es bereits seit 20 Jahren und wird geleitet von rund 15 freischaffenden Theaterpädagog:innen aus Tschechien und Deutschland. Das Motto des Netzwerks „Mit Theater Grenzen bewegen“ hat dabei im Lauf der vergangenen Jahre nichts an Aktualität eingebüßt. „Wir wollen einfach Vorurteile abbauen, Austausch und Begegnungen schaffen“, so Eimer.
Das von der EU finanziell-geförderte Netzwerk organisiert Projektwochen für Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland und Tschechien. Dabei kommen die Teilnehmenden an einem Ort im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet zusammen und erarbeiten gemeinsam zu einem zuvor festgelegten Thema eine Theateraufführung. Inhaltlich drehen sich die Projekte oft gezielt um Themen, auf die Deutsche und Tschech:innen ganz verschiedene Perspektiven haben und zu denen sie mit ihren individuellen Erfahrungen beitragen können. Während der Projekttage erkunden die Teilnehmenden dann den Ort, an dem sie zusammengekommen sind, lernen einander dabei kennen, recherchieren gemeinsam und entwickeln schließlich die einzelnen Bausteine eines Theaterstücks. Am Ende steht eine Aufführung, die „alles Mögliche beinhalten kann“, so Valentina Eimer. Neben klassischen Theater-Szenen bringen die Teilnehmenden so auch choreographische Elemente oder Improvisationen auf die Bühne.
Die verschiedenen Muttersprachen sind dabei weniger ein Hindernis als vielmehr eine Bereicherung. „Im Projekt selbst wird konsekutiv übersetzt“, erklärt Valentina. Bei den Aufführungen wiederum sei es ganz unterschiedlich. Was gesprochen wird, werde „verčojčt“, also für beide Sprachen verständlich, gemacht. Bewährte Methoden sind etwa ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem die Frage in der einen Sprache gestellt und die Antwort in der anderen gegeben wird. Alternativ werden die beiden Sprachen in Sätzen oder sogar einzelnen Wörtern miteinander vermischt. Nach kurzer Eingewöhnung ist das Sprachengemisch Čojč für alle verständlich und schafft so einen einfachen Zugang zur jeweils anderen Sprache und Kultur. „Und in den Theateraufführungen machen wir auch viel ohne Sprache“, so Valentina.
Ein Projekt, bei dem nichts ohne gesprochene Sprache funktioniert, ist das vor kurzem veröffentlichte Hörspiel Čojčlandské Sagenvěsti. Dafür hat das Team traditionelle Sagen aus dem Grenzgebiet verwendet und modernisiert. „Wir haben dann vor allem geschaut: Wie kann man diese sehr alten Sagen diverser erzählen? Letztendlich haben wir die Essenzen der Sagen genommen und sie zu einer Geschichte gemacht, die divers und zeitgemäß erzählt ist.“ Inhaltlich dreht sich das Hörspiel um eine Siedlung am See, in der Land-, Wasser- und Waldmenschen miteinander leben. Der geplante Bau eines Hotels sorgt für Spannungen unter den Bewohner:innen, um deren Auflösung es im Hörspiel geht. Letztendlich sei es aber gar nicht der Inhalt, der im Vordergrund steht, so Valentina. Auch das Hörspiel ist durch Čojč sowohl mit tschechischen als auch mit deutschen Elementen erzählt. „Man kann den Plot wegen der Sprache also nicht so tief machen. Man braucht erst ein bisschen, um reinzukommen.“ Gerade das Spiel mit der Sprache, die versteckten Wortspiele und Rätsel seien das Schöne. Auch hier sei außerdem das Ziel, die Barrieren zwischen den Sprachen und Kulturen zu verkleinern: „Es soll schon ein bisschen die Angst abbauen, die andere Sprache zu hören.“ Gerade weil Tschechisch doch erstmal ganz anders klinge als Deutsch.
Hier könnt ihr in das Hörspiel reinhören:
„Čojč ist eine Plattform, auf der alles entstehen kann.“ So fasst Geschäftsführerin Valentina Eimer das Theaternetzwerk zusammen. Alles, was vor und hinter den Kulissen entsteht, sei immer ein großer Prozess, die Projekte entstehen im Kollektiv. Die Gruppe Samurai auf dem Passauer Rathausplatz hat sich währenddessen aufgelöst und bricht nun auf zur Stadtrallye. In Teams folgen die Teilnehmer:innen den Spuren jüdischer Familien aus dem Passau der Vergangenheit. Alles ein Teil der Recherche für die abschließende Aufführung. Wie die Aufführung am Ende aussehen wird, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Eines aber ist sicher: Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt.
Wer jetzt Lust bekommen hat, auch mal bei Čojč mitzumachen, findet alle wichtigen Informationen zu kommenden Projekten und der Anmeldung auf der Webseite des Netzwerks. Diesen Sommer findet u.a. ein Projekt statt, das sich speziell an Studierende richtet. Außerdem freut sich Čojč auch über jeden, der an der Organisation der Projekttage mitwirken möchte. Hier stehen die Verantwortlichen bei Fragen jederzeit per E-Mail zur Verfügung.