Was ist ein Geist?
Eine paranormale Präsenz? Eine Ausgeburt unserer Fantasie? Die Erinnerung einer Erinnerung?
Es ist eine Frage, die immer nur aus einer Perspektive gestellt wird: aus der, der Lebenden. Wir wissen aus zahlreichen Erzählungen von Geistern, wie sie sich bemerkbar machen sollten – etwa über unerklärliche Phänomene wie ein plötzlich fallendes Bild oder menschlich klingende Geräusche wie Schritte, Klopfen oder Flüstern. In Geistergeschichten sehnen sich verstorbene Seelen stets danach, etwas Unerledigtes zu Ende zu bringen. Eine emotionale Last hält sie in der Zwischenwelt, oft ist es die Wut über ihren ungerächten Mord. Ihre einzige Chance auf Erlösung sind Lebende, die ihr Anliegen verstehen und sich ihrer annehmen. Oder zur neuen Zielscheibe ihrer Rachsucht werden. Diese Geschichten befassen sich in der Regel aber nur mit einer der Seiten zwischen Leben und Tod. Dabei lösen geisterhafte Kommunikationsversuche bei menschlichen Empfänger:innen meist Angst und Schrecken aus, oft sind die paranormalen Wesen aggressiv. Geister sind dabei wie Fremdkörper in den Häusern liebevoller Familien. Sie lauern in dunklen Ecken und lugen durch Spiegel, schlüpfen mit in die Badewanne und kriechen unters Bett. Ein Spuk verwebt sich tief mit der Privatsphäre der Lebenden. Er ist eine intime Angelegenheit.
Der etwas andere Geisterfilm A Ghost Story (2017) weist auf einen übersehenen Fakt hin: Für den Geist ist die Sache womöglich genauso unangenehm und seltsam wie für uns. Und die wahrlich Heimgesuchten sind nicht wir, sondern die Toten, die nicht loslassen können. Ihre Vergangenheit verfolgt sie, ihre Erinnerung entschwindet, aber die Gefühle bleiben, sodass sie von ihrer Wut, Trauer und Sehnsucht gefoltert werden. Ihre unerfüllten Wünsche halten sie in der Zwischenwelt gefangen. A Ghost Story ist anders als andere Geisterfilme dabei nicht dem Horror-Genre zuzuordnen, sondern ein Drama, das seine Zuschauer:innen auf eine emotionale Reise mitnimmt.
Zu Beginn gewährt A Ghost Story Einblicke in das liebevolle Zusammenleben von C und M, einem Paar, das vor Kurzem in ein ländliches Haus mit reicher Vorgeschichte gezogen ist. C ist von der Vergangenheit des Ortes fasziniert und will bleiben, während seine Frau M lieber in die Stadt ziehen will. M versteckt gerne Zettel mit Notizen an Orten, die ihr wichtig sind, um immer etwas von sich dort zurückzulassen. Orte und Erinnerungen sind für beide von großer Bedeutung.
Plötzlich stirbt C bei einem Autounfall.
Seine Seele – nun als wandelndes Bettlaken dargestellt – bekommt die Möglichkeit, durch eine leuchtende Tür zu treten, um die Welt der Lebenden zu verlassen. Aber C bleibt und folgt seiner Frau nach Hause. Trotzdem ist M, die den Geist nicht sehen kann, allein mit ihrer Trauer. Langsam kämpft sie sich durch ihren emotionalen Schmerz, der in ungewohnt langen Szenen in eine gefühlte Ewigkeit gestreckt wird. Taktisch spielt A Ghost Story so mit Zeitgefühl, um die Schwere dieser Trauer zu vermitteln. Gleichzeitig ist die Zeitwahrnehmung des Geistes völlig anders – Momente werden zu großen Ewigkeiten, die Ewigkeit wird zu kurzen Momenten. In diesem Film geht es vor allem ums Warten. Und um die Schwierigkeit, das Unumkehrbare zu akzeptieren. Eine Herausforderung, die in der Welt des Filmes Lebende und Geister gleichermaßen betrifft. Vielleicht sind wir trotz unserer vielen Missverständnisse ja gar nicht so unterschiedlich.
A Ghost Story lädt dazu ein, eine bekannte Geschichte aus einer anderen Perspektive zu sehen, als wir sie von Geisterfilmen gewohnt sind. Einer Perspektive, die viele belastende Fragen aufwirft. Wie fühlt es sich an, ein Geist zu sein? Wann ist es gerechtfertigt, loszulassen? Wie schnell werden wir vergessen? Sicher braucht es ein starkes Nervenkostüm für viele klassische Geisterfilme, aber auf eine gewisse Weise ist A Ghost Story angsteinflößender als solche. Denn es braucht auch Mut, sich diesen großen Fragen des Lebens und Sterbens zu stellen.