Es ist bereits Abend geworden.
Als ich meinen Laptop endlich zuklappe und das stechende Licht über meinem Platz ausmache, konnte ich spüren, wie sich mein Magen verspannt. Die letzten drei Stunden, die ich nun in unserer Bibliothek gesessen hatte, waren zwar still verlaufen und doch war mir jeder schweigende Mensch hier drin zu viel.
Meine sogenannte soziale Batterie ist leer und ich sehne mich nach Stunden und Tagen des sozialen Rückzugs. Nach Tagen, an denen die Einsamkeit träge an meinem Fenster klopft und ich währenddessen lachend mit dem Allein-Sein zur Tür hinauslaufe.
Ich denke an das Mädchen mit dem Handtuchturban und dem Bademantel, das vorgestern auf der TikTok for-u-page an mir vorbeizog. „Protected my peace a little too hard“ stand auf ihrem Video. Ihren Freitag-Abend verbrachte sie allein zu Hause. Viele Viewer wird wohl die Freude und Ironie in ihrem Beitrag überraschen.
Aber ist das Allein-Sein das wirklich? Eine freudige Angelegenheit? Oder steht das G in Gen Z auch an dieser Stelle für Glorifizieren? Zeigen wir auf die Einsamkeit und nennen sie Alone-time?
was war…
Die bisherigen Artikel dieser Themenwoche haben bereits deutlich gemacht, dass die Einsamkeit kein Problem der Neuzeit ist. Ob Caspar David Friedrich oder Joseph von Eichendorff auch in der Kunst war sie schon immer zu finden. Es gibt jedoch einen wichtigen Punkt, der hierbei noch zu bedenken ist. Die Darstellung dieser Einsamkeit, war – wie die meiste Art des Selbstausdrucks – damals den Künstlern vorbehalten. Den Malern, den Poeten und den Schriftstellern.
Man könnte quasi sagen, in der Bevölkerung gab es drei Sorten einsamer Menschen. Die Freigeister, die ihr Ausdruck verleihen konnten, um im besten Fall zu realisieren, dass sie nicht allein mit ihr waren. Die aus einer wohlhabenden Schicht, die es sich leisten konnten, Kunstwerke eben dieser Leidensgenossen zu konsumieren, um Hoffnung schöpfen könnten.
(…) aber das ist kein Grund zu Angst oder Traurigkeit; wenn keine Gemeinsamkeit zwischen den Menschen ist und Ihnen, versuchen Sie es, den Dingen nahe zu sein, die Sie nicht verlassen werden; noch sind die Nächte da und die Winde, die durch die Bäume gehen und über viele Länder; noch ist unter den Dingen und bei den Tieren alles von Geschehen, daran Sie teilhaben dürfen; und die Kinder sind noch so, wie Sie gewesen sind als Kind, so traurig und glücklich , – und wenn Sie an Ihre Kindheit denken, dann leben Sie wieder unter ihnen (..)
Rilke in „Briefe an einen jungen Dichter“ an Herrn Kappus
Und dann gab es die breite, schweigende Masse, die allein war mit ihrer Einsamkeit. Die, die nicht darüber lesen oder sprechen konnten und im schlechtesten Fall daran zugrunde ging.
was ist…
Reden ist Silber – Schweigen ist Gold? Das war der Leitsatz vieler vorangegangener Generationen. Mittlerweile leben wir in einer Zeit in der das eigene Schweigen optional ist. Vor allem in den letzten 50 Jahren ist ein langsamer, doch stetiger Wandel dieses Grundsatzes zu beobachten, der mit der Generation Z einen neuen Höchstpunkt erreicht. Ob Klima, mentale Gesundheit oder Diskriminierung – die letzten Jahre haben bewiesen, dass diese Generation vor allem eins ist: und zwar laut. Wieso sollten Sie also vor Themen wie Einsamkeit und dem Allein Sein halt machen?
Vielleicht ist es auch das Gedankengut aus der Zeit des Pflicht-Schweigens, das uns annehmen lässt, dass die öffentliche Darstellung einer so persönlichen Sache, wie dem eigenen Allein-Sein, einen Haken haben muss. Dass sie mit Selbsttäuschung oder Selbstdarstellung zu tun haben muss. War nicht ein Grund, der viele dazu zwang über die eigene Einsamkeit Stillschweigen zu bewahren, die Angst vor der Unterstellung des Allein seins? Bedeutete nicht auch noch im Jahr 2024 für einige Menschen das Allein-Sein eine Art öffentliche Brandmarkung als ungenügend für die Gruppe?
In dieser Wahrnehmung unserer Realität sind Zweifel an der Aufrichtigkeit online geposteter Inhalte zu eben jenem Thema berechtigt. In einer Realität, in der Menschen noch immer nicht über das sprechen, was sie im Innersten bewegt, wären diese Posts nur ein Versuch Andere vom eigenen Glück zu überzeugen zu wollen. In dieser Art der Realität ist man jedoch immer noch allein mit der Einsamkeit.
was kommen mag…
Und doch ist dies nicht die endgültige Wahrheit. Wenn man den Worten dieser lauten Generation weiter lauscht wird klar, dass es Hintergründe gibt für das Alleine Sein. Ist sie nicht nur eine selbsterwählte Askese der Einsamkeit, sondern auch Selbstbewusstseins fördernd. Auch steht fest, dass diese Me-Time zu den erholsamsten Zeiten für einen Menschen zählen kann. Vor allem introvertierte Personen schöpfen Kraft aus der stillen Zeit, in der Selbstverwirklichung, Kreativität und Reflexion Platz finden kann. Hierbei macht, wie bei so vielem die Menge wieder das Gift. In sich zu gehen und zu überprüfen ist das noch Alleine sein oder beginnt hier meine Einsamkeit ist wohl der einzig mögliche Weg. Es lässt sich hoffen, dass die Gen Z nicht nur über mentale Gesundheit und Selbst-Reflexion predigt, sondern diese auch wirklich lebt. In diesem Fall steht nämlich dem Kampf der Einsamkeit nichts mehr im Weg.
Eine alternative Realität: Es ist Klausurenphase und die bebademantelte Frau war den ganzen Tag an der Uni damit beschäftigt für eben diese zu lernen. Ihren Freunden hat sie für heute Abend im Zuge der Me-Time abgesagt, postet aber noch ein Video, um Ihnen einen Lacher zu entlocken.
Ist diese Geschichte wahr? Oder haben wir sie frei erfunden? Wir wissen es nicht.