Krampusse laufen über den Schärdinger Stadtplatz
Bild von Moritz Meinert

Schärdinger Krampuslauf – Gewalt oder Gemeinschaft?

Wer von euch schon länger in Passau wohnt, war bestimmt schon einmal in Schärding. Der Ort liegt gerade einmal zwei kurze Stationen mit der Regionalbahn entfernt, die stündlich über die Gleise neben der Universität rollt. In diesem Artikel soll es um eine dortige Tradition der Adventszeit gehen: den Krampuslauf, als am 8. Dezember eine Parade aus gruselig verkleideten Figuren über den Stadtplatz zog.

Hintergrund der Tradition

Krampus ist im süddeutschen Raum der traditionelle Begleiter des Heiligen Nikolaus. Seine Darstellung mit einem Rutenbündel steht für die Strafe, die unartige Kinder erfahren sollen, anstatt wie die braven Kinder vom Nikolaus beschenkt zu werden. So weit, so angsteinflößend. Heutzutage wird der Einsatz von Einschüchterung und Gewalt in der Erziehung als sogenannte Schwarze Pädagogik beschrieben. Dieser Begriff wurde 1977 von der Publizistin Katharina Rutschky geprägt. Mehr zur schwarzen Pädagogik des Krampus gibt es außerdem im Artikel 23. Türchen: Der Anti-Nikolo und der Krampus von Viktoria Auburger nachzulesen.

Die Krampus-, Hexen- und Engelsdarsteller:innen kommen aus sogenannten Perchtvereinen. Der Name leitet sich von der alten Bezeichnung Bercht für den Dreikönigstag am 6. Januar ab. Perchten hatten früher die Aufgabe, in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag das durch die winterliche Kälte erschwerte alte Jahr „auszutreiben“ und mit Glocken das neue einzuläuten wortwörtlich gemeint. Aus dieser Tradition hat sich bis heute erhalten, dass in vielen kleinen Gemeinden noch Perchtenläufe stattfinden.

Krampuslauf in Schärding

Unter den teilnehmenden Gruppen des diesjährigen Krampuslaufs waren neben den Schärdinger Teufelsperchten noch 24 weitere, darunter auch die Passauer Höllengeister aus unserer Universitätsstadt. Ein seit 15 Jahren in Schärding engagiertes Mitglied berichtete mir, dass über das Jahr verteilt insgesamt 17 Läufe geplant seien.

Außerdem interessierten mich die Hörner an den Kostümen. Laut dem Darsteller seien etwa 40% natürlich und die restlichen 60% aus Kunststoff gefertigt. Gerade für Kinder seien letztere wegen des niedrigeren Gewichts geeigneter. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass mit der zunehmenden Sensibilisierung für das Leid der Tiere, welches hinter unseren alltäglichen Produkten steckt, manche aus persönlicher Überzeugung die vegane Option wählen.

Ein Vergleich: Borkum und Schärding

Doch eine Frage brannte mir von Anfang an unter den Fingern: Sieht die Bevölkerung von Schärding eine Notwendigkeit, an der Gewaltanwendung des Brauchs etwas zu ändern, gerade nach dem Medienecho um den Klaasohm auf Borkum?

Ein kurzer Einschub für diejenigen, denen das Ganze entgangen ist: Als Überbleibsel der Zeit des Walfangs, von dem die Männer mit großen (Wal-)Hörnern auf die Insel zurückkehrt sein sollen, wird jedes Jahr die „Rückerorberung“ der Insel nachgespielt. Dabei kam es zu gezielt auf Frauen gerichteten Schlägen, wofür der veranstaltende Verein Borkumer Jungens e.V. nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks und des funk-Formats STRG F in die öffentliche Kritik geraten ist. In einem darauffolgenden Statement wurde die Gewalt in der Vergangenheit anerkannt und betont, dass der Brauch sich in einem Wandel befinde:

Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner.

Dagegen in Schärding: Nein, antwortete mir der Darsteller. Beschwerden wegen Gewaltanwendung seien eher in Südtirol gegeben, wo mit den Reisigbündeln fester zugeschlagen werde und es allgemein derber zugehe.

Beim Start des Laufs waren bereits unterschiedlichste Gruppen zu sehen. Ich fragte, ob es eine feste Reihenfolge gäbe. Mir wurde gesagt, dass Kinder eher vorne laufen und man sich sonst seinem Verein zuordnet. Auf einer Bühne, an der ich später vorbeikam, kündigte ein Moderator die Vereine an.

 

 

Angekommen am unteren Stadtplatz, tönten Glocken und Trommeln durch die von Rauch durchzogene Abendluft. Die vielen bereits versammelten Menschen erschwerten es, einen Platz hinter der Absperrung mit Blick auf den Umzug zu erreichen. Von dort konnte ich dann erkennen, wie unterschiedliche Nähe zum Umzug ermöglicht wurde. Etwa die Hälfte der Absperrung bestand aus schulterhohen Metallzäunen, wie man sie sonst von Konzerten kennt. Hinter diesen standen viele Familien mit Kindern. Krampusse, die dort vorbeigingen, wuschelten den Kindern durch die Haare oder nahmen ihnen ihre Mütze weg, als Herausforderung, sie im Hochspringen wieder zurück zu bekommen.

Dazwischen waren Bereiche, die nur ein rot-weißes Absperrband von der Straße trennten. An manchen Stellen war dieses auch schon abgerissen und junge, meist männliche Jugendliche standen ganz vorne am Bordstein. Das waren diejenigen, die dann als Mutprobe oder um es sich selbst zu beweisen am Kramperltratzn teilnahmen, also sich dem Krampus entgegenstellen, ohne dabei geschlagen zu werden. Wen er erwischte, trafen dann die Reisigbündel bis knapp unterhalb der Knie.

 

 

Schmerzempfindung ist natürlich subjektiv. Aber ich würde nicht sagen, dass die Schläge an die Unterschenkel bleibende Folgen haben, außer dass man ein paar Minuten ein Kribbeln in den Beinen spürt oder ein Bedürfnis hat, mehr zu atmen. Daher sollte jede:r selbst über die Dauer, sich auf dem Silberteller zu präsentieren, bestimmen.

Zwischendurch liefen auch Gruppen aus Engeln durch die Straße, die Bonbons an Kinder verteilten. Das ist wohl ein Grund, warum viele Familien die Veranstaltung besuchten.

Fazit aus heutiger Sicht

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Krampus eine lange Tradition hat (wie in diesem Artikel der Österreichischen Nationalbibliothek beschrieben wird, sogar länger als der Nikolaus) und aus heutiger Sicht sicher vieles kritischer gesehen wird als damals. Ich halte es für unerlässlich, dass alle Beteiligten mit dem Brauch einverstanden sind. Wenn das der Fall ist, kann das gemeinsame Erbe das Gemeinschaftsgefühl stärken, und das ist doch, was wir in einer Zeit von immer mehr gesellschaftlicher Spaltung anstreben sollten.

Hier findet ihr noch ein paar Fotos von dem Abend:

 

Fotos und Videos: eigene Aufnahmen von Moritz Meinert