Zwei wichtige Ereignisse spalteten gestern Abend zwei Teilsysteme unserer Gesellschaft an zwei unterschiedlichen Orten der Welt.
Zum einen waren es Fußballfans im Herzen Frankreichs, zerrissen zwischen belgischen und italienischen Nationalspielern.
1000 Km ostwärts, an der unbedeutenden Universität der deutschen Kleinstadt Passau, teilten sich an diesem Abend die Meinungen der Studenten ebenfalls in zwei Lager. Schon seit Wochen war diese, im Rahmen der Passauer Politiktagen organisierte, Podiumsdiskussion in aller Munde. Ein Ansturm an Studierenden hatte sich allein schon wegen der Prominenz der Gäste angekündigt: Der Fraktionsvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen Anton Hofreiter sollte dem Bundessprecher der AFD, Jörg Meuthen, gegenübertreten. Die Brisanz des Themas, Integration und Umgang mit Flüchtlingen, trug zusätzlich zur Popularität der Veranstaltung bei.
Die Erwartungen an die Podiumsdiskussion waren groß, die Angst vor der Reaktion der Zuhörer ebenso. Von mehreren Seiten wurde zu zivilem Verhalten aufgerufen, während Studierende in gespannter Vorfreude darüber rätselten, wie viele Tomatenwürfe auf rechtspopulistische Äußerungen folgen würden. Vonseiten der Universitätsleitung wurden als Sicherheitsmaßnahme bereits vor Beginn der Veranstaltung einige Polizeibeamte vor dem Universitätsgebäude aufgestellt.
Der Andrang war schlussendlich noch größer, als erwartet, weshalb ein großer Teil der Studierenden, die keine Sitzplätze mehr fanden und auch keine Lücke zwischen den zusammengedrängten Studies am hinteren Ende des Ganges ergattern konnten, den Saal verlassen mussten. Jene, die nach 20 Uhr erschienen, durften gar nicht mehr eintreten. Solch ein vorbildliches Verhalten bei einer regulären Vorlesung würde wohl jedem Dozenten Freudentränen in die Augen treiben.
Um Punkt 20.15 Uhr begann schließlich die Diskussion. Als die Teilnehmenden nacheinander aufgerufen wurden, und deren Namen jeweils höfliches Applaudieren folgte, stieg die Spannung bis zum letzten, und eben umstrittensten Kandidaten: Dem AFD-Vertreter Meuthen. Jedoch blieben die Buh Rufe aus, es folgte ebenfalls höflicher Applaus.
Die Moderatorin Ina Krauss, Redakteurin des Politikdossiers beim BR, stieg mit einer sehr aktuellen Debatte über sichere Herkunftsländer ein, die zur Zeit im Bundesrat diskutiert wird. Der Grünen – Politiker machte seine Position deutlich, es handle sich hierbei nicht um eine auszuhandelnde Meinung, ob Menschen sicher in einem Land seien oder nicht, sondern müsse an rechtlichen Kategorien festgemacht werden. Und in Hinblick auf diese sei Marokko ganz klar KEIN sicheres Herkunftsland, so Hofreiter. Im weiteren Verlauf ließ Herr Hofreiter seine Position unterschwellig weiter durchsickern, indem er beispielsweise den Türkeideal als „schmutzig“ bezeichnete. Auf solche kritischen Äußerungen folgte tobender Applaus seitens der linksliberal eingestellten Studenten, welche auch die Mehrheit des Publikums darstellten.
Jedoch vertrat das Publikum sehr gut das Motto der Veranstaltung: „Gespaltene Gesellschaft – zwischen bedingungsloser Willkommenskultur und rechter Ablehnung“. Auf Gegenpositionen Herrn Meuthens, man könne nicht alle reinlassen und müsse zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten klar unterscheiden, folgten ebenfalls zustimmende, wenn auch bescheidenere, Rufe.
Kurz nach dem Spielpfiff der EM-Partie in Frankreich, gegen 21 Uhr, erhitzte sich die Debatte im Saal. Bei dem Thema, ob es eine Obergrenze geben und anhand welcher Kriterien diese festgemacht werden soll, lieferten sich die beiden Politiker heftige Wortgefechte. Begleitet von ironischen, anstachelnden Kommentaren und vielsagenden Blicken trugen diese sehr zur Unterhaltung des Publikums bei. Eine einzige Empörungswelle und Buh – Ruf – Serie folgte nach der kontroversen Aussage Meuthens, man solle darüber nachdenken, ausschließlich christliche Flüchtlinge aufzunehmen, da diese „unsere“ Werte eher verträten als Muslime. Dem entgegen argumentierten auch die beiden weiteren Mitstreiter, welche sich ebenfalls klar links positionierten: Der Vorsitzende des deutschen Journalistenverbandes Frank Überall sowie der Soziologe Horst Pöttker. Letzterer bezeichnete diese Position der AFD als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz der Religionsfreiheit, was ihm wiederum tosenden Applaus einbrachte.
Einen kurzen Exkurs gab es auch zum Thema der Medien, welche Rolle sie im öffentlichen Diskurs spielen und natürlich das kontroverse Thema zur Kölner Silvesternacht.
Insgesamt war es eine sehr gelungene Veranstaltung mit allem, was zu einer Podiumsdiskussion gehört: Strittigen Themen, gegensätzlichen Argumenten, verschiedenen Positionen und dennoch einer angenehmen Atmosphäre und freundschaftlicher Stimmung. Kurz: Die Verkörperung des demokratischen Pluralismus. Und was dabei besonders hervorzuheben ist, was die Passauer Studierenden meiner Meinung nach wunderbar vorbildlich gezeigt haben: Toleranz! Es gehört viel Mut dazu, sich als AFD – Politiker einer Diskussion zu stellen, bei der alle anderen Mitstreiter klar die gegensätzliche Meinung vertreten. Ebenso wie das Publikum. Aber auch von der Zuhörerseite gehört Toleranz dazu, trotzt eindeutigem Vorteil und klarer Mehrheit, diese nicht auszunutzen um den Alleinstehenden bloßzustellen, sondern sich seine Argumente anzuhören und ihn reden zu lassen. Ob man dann damit einverstanden ist oder nicht, ist eine andere Diskussion. Aber dafür sind solche politischen Debatten auch da.
Beitragsbild: Copyright – Naumburg (23 von 88) by Uwe Weihe (CC BY-SA 2.0)
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