Die Berlinale-Experience
Die Berlinale ist das größte Filmfestival Deutschlands. Seit 1951 eröffnet es einen weiten Blick auf die Welt des Films. Von deutschen zu internationalen Produktionen: über die Jahrzehnte feierten Hunderte Filme ihre Premieren auf dem roten Teppich in Berlin. Glücklich kann man sich schätzen, wenn man im Zuge seines Studiums eine Einladung zu dem Festival bekommt. Die 73. Berlinale, die vom 16. bis zum 26. Februar stattfand, hatte viel zu bieten, sowohl im schlechten als auch im positiven Sinne.
Um überhaupt erst dorthin zu kommen, bieten sich ein paar Möglichkeiten. Einerseits hat man als Mitglied der Presse oder Industrie die Option, sich für das Festival akkreditieren zu lassen, was einem wiederum erlaubt, mit einem schicken Ausweis über das Festivalgelände zu laufen und auf ein spezielles Kontingent an Tickets zurückzugreifen, das exklusiv für akkreditierte Besucher besteht. Presse-Mitglieder dürfen sogar exklusive Filmvorführungen besuchen, die vor den tatsächlichen Weltpremieren der jeweiligen Filme stattfinden. So wird sichergestellt, dass die Filmkritiken rechtzeitig in den jeweiligen Magazinen erscheinen können.
Dann gibt es natürlich auch noch die Studentenakkreditierungen. Studierende an Filmhochschulen oder von bestimmten Medienstudiengängen haben die Möglichkeit, über ihre Dozent:innen an Akkreditierungen zu kommen. Diese Akkreditierungen werden immer nur einmal an Studierende vergeben, was so viel bedeutet wie dass man nach einer Akkreditierung als Student:in in den kommenden Jahren nicht wieder als Student:in akkreditiert werden kann. Dabei teilt man sich die Vorführungen mit anderen Filmenthusiasten, die über den öffentlich zugänglichen Ticket-Shop der Berlinale auf ihr eigenes Kontingent an Tickets zurückgreifen können. Studierende kriegen keine eigenen Vorstellungen, bezahlen aber über die Akkreditierung hinaus keinen weiteren Cent für ihre Tickets.
Die verschiedenen Vorstellungen lassen sich für akkreditierte Besucher:innen immer zwei Tage vor Datum der Vorstellung buchen. Die neuen Vorstellungen gehen um 7 Uhr morgens online, was bedeutet, dass Schlafen bis kurz vor 7 Uhr zur Normalität wird. Dann heißt es in den meisten Fällen schon duschen und frühstücken, schließlich beginnen viele Vorstellungen schon ab 9 Uhr in der Früh und können sich bis 22:30 Uhr am Abend ziehen. Bis man dann wieder im Hotel oder sonstigem Abstieg, den man als Übernachtungsort nutzt, landet, heißt es dann schon wieder: in fünf Stunden wieder aufstehen, um an die Tickets für die nächsten Tage zu kommen.
Nicht weniger anstrengend wird der enge Zeitplan dadurch, dass die Vorstellungen auf alle möglichen verschiedene Kinos Berlins verteilt sind. Nach etwa über einer Woche auf dem Festival kennt man sich mit dem U-Bahn-Netz der Stadt schon so gut aus, als hätte man Monate dort gelebt. Wenn es zum x-ten Mal heißt vom Berlinale Palast am Potsdamer Platz in West-Berlin bis zur Verti Music Hall direkt an der East-Side-Gallery im Osten Berlins zu reisen, ist man irgendwann auch mit den Nerven durch. Insbesondere wenn man ständig am Überlegen ist, wie und wann man währenddessen an Essen und einen Kaffee kommen soll, damit man vor Hunger oder Übermüdung nicht komplett vom eigentlichen Film abgelenkt wird. Schließlich besucht man so ein Festival ja für die Filme und da hat die Berlinale ein paar Highlights zu bieten.
Die Berlinale-Highlights
Der Schattenlose Turm vom chinesisch-koreanischen Filmemacher Zhang Lu war von den 15 gesehenen Filmen nicht nur der beeindruckendste, sondern auch einer der wenigen, der meine Erwartungen erfüllen konnte. Ein bloßer Blick auf das Vorschaubild auf der Berlinale Website und die knappe Zusammenfassung der Handlung zeichnen ein glasklares Bild von der Atmosphäre des Films. „Das erinnert mich ein bisschen an Burning!“, dachte ich mir. Nur wenige Minuten nach Beginn des Films ließ sich dann auch die erste direkte Anspielung an Burning finden. Eine Geschichte, die von wohlfühlender Melancholie und familiärer Wärme erzählt und diese in Bildern einfängt, die einem bereits alles sagen, was man wissen muss. Ein leicht längerer Film, bei dem meine Sitznachbarn gelangweilt nach etwa 100 Minuten den Drang verspürt haben, doch noch zu gehen, aber ein Film, der aus seiner erzählerischen Einfachheit in all seinen Längen letztlich auch seine Schönheit schöpft. Starke Charaktere, wundervolle Bilder und von vorne bis hinten eine fantastische Film-Erfahrung.
Ein Film, der wiederum meine Erwartungen nicht treffen, sondern übertreffen konnte, war der deutsche Knochen & Namen von Fabian Stumm. Bei seinem Spielfilm-Debüt inszeniert sich Stumm nicht nur in einer der Hauptrollen, sondern arbeitet mit einem merkwürdig fesselnden, aber sehr einfachen Produktionsdesign, das als Hintergrund zu authentisch geschriebenen Dialogen und fast genauso authentischem Schauspiel dient. Eine beinahe episodenhafte Geschichte aus dem Alltag eines Paars, deren Bekannten und einer Zeit der Unbestimmtheit. Selten so gute Dialoge in einem deutschen Film gehört, noch nie so echt wirkende Gespräche mit immer wieder auftretenden Anglizismen in einem nicht-englisch-sprachigen Film gesehen.
Hier und da gab’s dann natürlich noch ein paar andere interessante Filme. Die deutsche Premiere von The Fabelmans mit Steven Spielbergs Anwesenheit war doch überraschend persönlich, einfühlsam und sogar lustig erzählt, wobei der Film zu dem Zeitpunkt doch beinahe überall sonst auf der Welt schon vor Monaten im Kino lief. Sonst hat der auf dem Sundance Film Festival weit gefeierte Past Lives versucht, auf die Tränendrüse zu drücken, aber hat etwas lange gebraucht, um einem wirklich ans Herz zu greifen. Dann gab es da auch noch die internationale Premiere von Suzume, dem neuesten Film Makoto Shinkais, der 2017 mit Your Name einen internationalen Megaerfolg feiern konnte, der Anime sogar zum Gesprächsthema beim ZDF, ARD und auf Schulpausenhöfen machte. Ein schöner Film, der deutlich mit Studio Ghibli-Einflüssen spielt, aber von der Berlinale-Leitung dahingehend wenig Respekt bekam, da es doch sehr wehgetan hat, Shinkai, seinem Produzenten und der Sprecherin der Hauptrolle dabei zuzusehen, während der Berlinale-Moderation bereits nach einer Minute versucht hat, sie alle von der Bühne zu werfen, damit der nächste Film an die Reihe kommen konnte.
Willem Dafoe war zur Weltpremiere von Inside nicht nur unendlich sympathisch, sondern konnte auch in seinem neusten Kammerspiel einige Dinge anstellen, bei denen man sich als Zuschauer nur fragt, wie Dafoe in diesem Alter noch bereit dazu ist, solche Rollen überhaupt zu spielen. Ein Film, der mit Dafoe und seinem schönen Produktionsdesign beeindruckt, wo Regie von Debütant Vasilis Katsuopis sich aber in Irrelevanz verliert und letzten Endes doch nichts zu sagen hat. Die Weltpremiere Tina Satters Films Reality konnte das Publikum nicht nur mit Sydney Sweeneys Anwesenheit bezaubern, sondern mit einem beeindruckenderen Kammerspiel dessen sämtlichen Dialoge den Aufnahmen entnommen wurden, auf deren Handlung der Film basiert. Präzise inszeniert, klaustrophobisch und unwirklich komisch, wenn man sich daran erinnert, dass alle diese Gespräche so stattgefunden haben. Wenn man schon bei Kammerspielen ist, ist auch der japanische #Manhole eine Erwähnung wert. Kazuyoshi Kuamkiri feiert seine zweite Premiere auf der Berlinale und überzeugt mit einer Geschichte, die mit ihrer skurrilen Überzogenheit und irrsinnigen Plot-Twists für die Art von Unterhaltung sorgt, die man sich vom japanischen Kino erwarten kann. Selbst wenn links, rechts und vor einem Menschen im Publikum sitzen, die es für nötig halten, in Anwesenheit der Crew und des Casts permanent lautstark vor sich hinzuschnattern.
Die Berlinale-Kopfschmerzen
Damit ist man auch schon bei einem der größten Probleme des Festivals. Man stellt sich doch bei jeder Vorstellung mindestens einmal die Frage, warum diese Leute sich überhaupt Tickets für eine Premiere auf einem Festival besorgen, wenn sie entweder zu spät in den Saal kommen, regelmäßig aufs Handy starren, es nicht hinkriegen, den Flugmodus anzumachen und mit lauten Alarmen die Vorstellung stören oder einfach gleich mit Sitznachbarn quatschen. Der Film fängt an, Cast und Crew haben schon eine kleine Ansprache gehalten, sitzen auf ihren reservierten Sitzen, es ist dunkel, aber die Türen schwingen auf: Eine Armada an zu spät kommenden Menschen kommt mit Taschenlampen in den Saal gekracht. Wo ist hier der Respekt gegenüber dem bereits anwesenden Publikum und den Filmemachern?
Das Problem liegt aber nicht nur beim Publikum, sondern auch die Organisation unter den Akkreditierten ließ zu wünschen übrig. Im selegierten Ticket-Portal für Akkreditierte ließen sich für jeden Besucher, egal ob Presse-Mitglied oder nicht, Tickets für die exklusiven Presse-Vorstellungen buchen. Zum Problem wird das, wenn man in der Früh vor einem der Kinos steht und aufgrund eines fehlenden Presse-Ausweises wieder weggeschickt wird. „Wenn du bei der Nummer hier anrufst, kriegst du dein Geld zurück!“, sagte mir die nur halbanwesende Ticketkontrolleurin, die mir für den Bruchteil einer Sekunde einen Zettel mit unausmachbaren Zahlen vor die Augen gehalten hat. „Für die Tickets mussten wir doch gar nicht zahlen…“ und schon war man wieder auf der Straße und der gesamte Plan für die restlichen Tage war futsch. Das Problem wurde nie gelöst, bis zu meinem Abgang ließen sich Presse-Tickets besorgen und wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, wurde man letzten Endes doch noch in Presse-Vorstellungen gelassen, wenn man Tickets für diese hatte. Dann aber nur in den ersten drei Tagen des Festivals. Problem nur, wenn man seine Tickets nach dem ersten Rausschmiss sofort storniert hat, weil man nach dreifachem nicht Auftauchen zu einer gebuchten Vorstellung aus dem Ticket-Buchungs-Portal verbannt wird.
Nun gut, wenn man dadurch zu viele Presse-Tickets verloren hat, war immerhin die Option dafür da, sich bei der Berlinale direkt zu beschweren und eine Wiedergutmachung anzufordern. Wider Erwarten erfolgt diese tatsächlich nicht in Form von Restbeständen des überteuerten Merchandises, sondern in Form einer Erlaubnis doch noch eine zweite Studentenakkreditierung für die nächste Berlinale in Anspruch zu nehmen. Jetzt eine Aussage darüber treffen zu können, ob man sich darauf freut oder nicht, ist schwierig. Auf die Berlinale gehen heißt Stress, wenig Schlaf und ein drei Wochen langes von Kopfschmerzen Auskurieren, nachdem man wieder zu Hause ist. Auf die Berlinale zu gehen, heißt allerdings auch, Filme zu schauen und Filme zu feiern. Vielleicht ist die Entscheidung ja doch ziemlich einfach, aber wieder täglich um spätestens 7 Uhr morgens aufzustehen, um wieder den ganzen Tag durch die Stadt zu jagen: Das ist auf jeden Fall nicht einfach.