Während sich die Welt Ende des 18. Jahrhunderts unaufhörlich veränderte und sich im Zuge der Industrialisierung immer schneller zu drehen schien, entwickelten sich auch in der Kunstwelt unterschiedliche Strömungen immer rasanter, eine davon die Romantik, die mit althergebrachten Traditionen brach.
Als Gegenpol zur parallelen klassizistischen Auffassung, die in Rückbezug zur Antike klare bis strenge, geschlossene und geometrische Kompositionen bevorzugte, entstand die Romantik als Wegbereiter der Moderne. Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, Beschaulichkeit und die Suche des Sublimen, jenem, das sich zwischen den Pinselstrichen offenbart und nur durch Feinsinnigkeit der Empfindung dargestellt werden kann, wurden zum künstlerischen Anspruch. Die subjektive Gefühlswelt, Psyche, Träume, das Unterbewusste und Glaube in einer Idealisierung des Mittelalters leiteten diese Strömung. Die Innenwelt, die von Themen wie Einsamkeit, Verunsicherung und Individualismus geprägt war, wird nach außen gespiegelt. Während zuvor Bilder einer rationalen normativen Ästhetik folgten, so wie es die Kunstakademien lehrten, mit dem Ziel bestimmte Werte durch die Kunst zu vermitteln, stellte die Romantik keine moralischen Ansprüche im normativen Sinne. Die Kunst wurde vieldeutiger, ja teils sogar fragmentarisch und schwerer zu deuten.
Ein Künstler im Umbruch?
So war auch Caspar David Friedrich ein Künstler, an dessen Werk sich seinerzeit die Geister schieden. Lange in Vergessenheit geraten, wurde er erst Anfang des letzten Jahrhunderts wiederentdeckt. Als Künstler der Romantik und Vorreiter der Moderne war Friedrich jedoch seiner Zeit voraus und nutzte, aus damaliger Perspektive betrachtet, radikale Bildkompositionen, die viel mehr einer Sinn- und Wirkungsästhetik folgten als den festgelegten Prinzipien der Akademie. Betrachtet man die Bilder von Caspar David Friedrich, kommt man nicht umhin zu reflektieren, denn dem Künstler gelingt es, den Betrachter mit den Geheimnissen seiner Bilder zu fesseln. Man ahnt den tieferen Sinn und doch scheinen sie schwer zu enträtseln.
Ein Blick in die Unendlichkeit der Seele…
Mystische Landschaften, unendliche Weite und auch Einsamkeit sind wohl die ersten Gedanken, die einem beim Betrachten von Werken wie „Der Mönch am Meer“ (1808) oder „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818) in den Sinn kommen. Besonders „Der Mönch am Meer“ hat bei seinen Betrachtern die unterschiedlichsten Empfindungen hervorgerufen, bricht dieses Gemälde doch mit der klassischen Komposition der akademischen Landschaftsmalerei.
Die kleine, verloren wirkende Figur, in der Landschaftsmalerei auch Staffage genannt, steht in starkem Kontrast zum Unendlichen, zur Unendlichkeit der Natur. Betont wird dieses Motiv durch die starke Entleerung des Bildraumes: Es ist nur eine Figur zu sehen, ein scheinbar einsamer am Strand stehender Mönch, der auf das Meer hinausblickt und mit der Natur zu verschmelzen scheint. Große Teile des Bildes werden vom Himmel oder Meer eingenommen, welches ruhig und schier endlos daliegt und eine mystische Versunkenheit ausstrahlt. Der Himmel und die Weite der Natur betonen die Einsamkeit und scheinbar spirituelle Stille des Mönchs. „Der Mönch am Meer“ zeigt die Einsamkeit wohl als Facette der Romantik, einer tiefen spirituellen Suche nach und in sich selbst. Der Himmel und die monochrome Farbpalette in dunklen und kühlen erdigen Blautönen spiegeln dabei scheinbar die innere Stimmung wider, die fast wehmütig als Ausdruck der Einsamkeit und des Schmerzes im Anblick der schieren Unendlichkeit und des Unbekannten scheint.
Friedrichs Bilder werden dadurch zu Seelenlandschaften, welche die Innenwelt nach außen spiegeln, voller Einsamkeit, die sich durch den Mönch als das romantische Interesse an Spiritualität und Mystik präsentiert, während die stille Landschaft als Kulisse für die innere spirituelle Reise dient. So ist es Friedrichs Ziel, die Kunst aus sich selbst zu begründen.
Vom Alleinsein und der Suche nach dem Sinn…
Um Motive für seine Bilder zu finden, unternahm Friedrich lange Wanderungen, oft in der Dämmerung, immer allein. Dennoch war Friedrich nicht einsam, vielmehr genoss und brauchte der Künstler das Alleinsein, besonders im Atelier, wenn er die Himmel seiner Bilder malte. Um sich die Eindrücke seiner Ausflüge zu vergegenwärtigen, malte Friedrich auch immer bei geschlossenen Fensterläden, angeblich immer im gleichen Reisemantel. Dementsprechend zeigt das Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ einen majestätischen Himmel, der nahezu sphärisch erscheint.
In diesem Bild nimmt die Natur die Hauptrolle ein und ist detailliert ausgearbeitet, wirkt nahezu erhaben. Die Staffagefigur, der Wanderer, der sich auf einen Spazierstock stützt, ist in der Rückenansicht dargestellt und nimmt dadurch die Rolle des Betrachters ein. Er wird dadurch selbst zum Betrachter der Natur, während er sich in ihr zu verlieren scheint. Das Sehen des Wanderers wird zu unserem Sehen. Vor ihm erstreckt sich das weite Nebelmeer, das nur durch die Spitzen einer vor ihm liegenden Gebirgs- und Klippenlandschaft durchbrochen wird, deren Gipfelkette sich am Horizont abzeichnet. So erscheint der Wanderer als Teil von etwas Größerem, da die Figur nur von hinten zu sehen ist und dadurch anonym und in gewisser Weise isoliert bleibt. In diesem Bild nimmt der Himmel bzw. Nebel zwar ebenfalls den größten Raum des Bildes ein, der Horizont ist jedoch nicht weit nach unten gerückt und das Bild ist durch eine strenge Komposition geprägt. Durch die warmen, erdigen Töne und das helle Blau zeichnet sich der Wanderer im Vordergrund umso deutlicher vor dem Himmel ab. Die Natur wirkt in beiden Bildern als ruhige, aber mächtige und geheimnisvolle Kraft, indem Friedrich hier, wie Eichendorf in seinen Gedichten, das Motiv der „Waldeinsamkeit aufgreift“ in der Verbundenheit von Mensch und Natur. Auch hier kann die Erhabenheit der Natur, die nebelige und unklare Atmosphäre metaphorisch für die Selbstfindung des Wanderers stehen, respektive die Reise des Menschen durch die Undurchsichtigkeit, vielmehr die Unsicherheiten des menschlichen Lebens. Durch den Wanderer, der hier aus dem Nebel geklettert ist, könnte das Gefühl des Weltschmerzes in der einsamen Suche nach Orientierung und Sinn in einer oft rätselhaften Welt zum Ausdruck kommen.
Reise zu – oder doch in – sich selbst?
Dennoch gibt es keine Antworten und keine Bestätigung für die vielen Interpretationen, passend zu dieser Stilepoche, die sich zur Individualisierung des Menschen besinnt und damit eine neue Subjektivität in den Vordergrund stellt. Letztendlich gab Caspar David Friedrich selbst keine Erklärungen zu seinen Bildern ab. Trotz aller Interpretationen obliegt es dem Betrachter schlussendlich selbst, sie zu deuten. Auch heute, 250 Jahre nach seiner Geburt, haben Friedrichs Bilder nichts an ihrer Aktualität und ihrem Zauber verloren. So zeigen Caspar David Friedrichs Bilder wie kaum die Bilder eines anderen Künstlers das Motiv der Einsamkeit als Sehnsuchtsmotiv und Reise zu sich selbst. Sie romantisieren die Einsamkeit scheinbar als sinnstiftenden Reflexionsprozess, durch die Verbindung und Verwurzelung des Menschen in der Natur, in der Weite der Unendlichkeit: Allein, aber vielleicht nicht einsam.
Wer Caspar David Friedrichs Bilder selbst erleben möchte, hat dieses Jahr die beste Gelegenheit dazu. Im Jubiläumsjahr gibt es viele Ausstellungen, welche das Werk des Künstlers in neuem Licht zeigen und würdigen: Bis zum ersten April kann beispielsweise noch die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle besucht werden. Sollte dies terminlich nicht mehr passen, schließt ab 19.04.2024 eine Ausstellung in der Nationalgalerie in Berlin an. Vom 24.08.2024-17.11.2024 ist das Werk des Künstlers dann in Dresden zu bewundern.