Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich, heißt der Vorwurf von Ronen Steinke. Das mag übertrieben klingen, aber was hat es mit dieser Behauptung auf sich?
Ronen Steinke kennt sich auf jeden Fall mit dem Thema aus. Er ist promovierter Jurist und Journalist bei der Süddeutschen Zeitung. Bekannt wurde Steinke durch seine Biografie über Fritz Bauer mit dem Titel „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“, welche ebenfalls unter „Der Staat gegen Fritz Bauer“ verfilmt und mehrfach ausgezeichnet wurde.
Für sein Buch hat Steinke mit zahlreichen deutschen Rechtsanwält:innen, mit Staatsanwält:innen und Richter:innen, mit juristischen wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Professor:innen aus renommierten Universitäten gesprochen. Zudem hat er im Gefängnis mit Personal und Insassen gesprochen, er hat sich bei Verfahren in Gerichtssälen dazugesetzt und Statistiken ausgewertet.
Der Rechtsstaat basiert auf dem Versprechen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Aber die Realität ist oft eine andere, Arme und Reiche sind vor dem Strafrecht in vielerlei Hinsicht ungleich. Die Justiz begünstigt jene, die begütert sind. Und sie benachteiligt jene, die nichts haben. Das Vermögen in Deutschland ist so ungleich verteilt wie in keinem anderen Land der Eurozone. Das reichste Hundertstel der Bürger verfügt über ein Drittel des Vermögens. Am anderen Ende besitzen Millionen Menschen kaum etwas, oder sie sind überschuldet. Und ähnlich wie in unserem Bildungssystem, wo die Chancen für Kinder abhängig von ihrer Herkunft ungleich verteilt sind, ist dieses Gefälle auch im Rechtssystem steil.“ (s. Vorwort, S. 12)
Steinke stellt in seinem Buch Menschen vor, denen Ungerechtigkeiten widerfahren sind. Gleich zu Beginn des ersten Kapitels berichtet Steinke von einer 76-jährigen halbseitig gelähmten Rentnerin, welche eine Packung Kerzen zum Preis von 4,99 Euro eingesteckt haben soll, um ihren Adventskranz zu vervollständigen. Die Rentnerin, die monatlich 1000 Euro zu Verfügung hat, wird zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Das sind insgesamt 800 Euro. Wenn die Dame dies nicht bezahlen kann, muss sie für vierzig Tage in Haft. Demgegenüber ist da der Fall mit Oli Hoeneß, der über Jahre hinweg Steuern hinterzogen hat und den Staat um 28,4 Millionen Euro geschädigt hat, zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde und nach der Hälfte der Zeit wieder freigelassen wurde. Steinke bringt noch weiterer solcher Fälle und weist du dabei auf die groben Ungerechtigkeiten hin. Die Fälle veranschaulichen die Thesen, die er in seinem Buch aufstellt. Er überzeugt mit seinen Negativbeispielen und weißt immer wieder darauf hin, dass der Geldbeutel über das Strafmaß entscheidet.
Steinke stellt schonungslos die Problematiken der deutschen Justiz dar, räumt Irrtümer auf und macht zugleich auch konkrete Vorschläge, wie unser Rechtsstaat sich verbessern kann. Insgesamt nennt er 13 Vorschläge, so möchte er beispielsweise, dass Betteln entkriminalisiert wird. Alles in allem ist es ein hochspannendes Buch.
Für Interessierte geht es hier zu einer Folge des Rechtsgespräch-Podcasts mit Ronen Steinke und dem Strafrechts-Professor Michael Kubiciel, der zu den Äußerungen Stellung nimmt.