Die Sonne scheint durch das Fenster auf den Tisch, an den ich mich gerade gesetzt habe. Im Hintergrund spielt leise Musik, die sich mit den Stimmen der Gäste und dem gelegentlichen Klappern von Geschirr vermischt. Ich schlage die Karte auf, die vor mir auf dem Tisch liegt. Darin steht eine Frage.
Heute schon über den Sinn des Lebens nachgedacht?
In John Streleckys Buch „Das Café am Rande der Welt“ hinterfragt der Protagonist seine Einstellung zum Leben, nachdem er in einem abgelegenen Café gelandet ist und ihm dort existenzielle Fragen gestellt wurden. Der Protagonist ist ein gestresster Geschäftsmann, der in seinem hektischen Berufsalltag anscheinend noch nie auch nur ein paar Minuten Zeit hatte, um über sein Leben nachzudenken.
Wahrscheinlich jeder hat sich selbst schon einmal dabei erwischt, wie man, gefangen im Alltagstrott, einfach auf Autopilot schaltet und plötzlich sind Stunden, wenn nicht sogar Tage vergangen, in denen das eigene Leben nur an einem vorbeigezogen ist. Man sollte meinen, dass allein diese Realisation ausreicht, um zu begreifen, dass es im Leben doch um mehr geht, als darum, seiner alltäglichen Routine zu folgen. Braucht man dafür wirklich eine Gedankenreise nach Hawaii?
Die Bedienung kommt und nimmt meine Bestellung entgegen. Das sind die wirklich wichtigen Fragen des Lebens.
Heiß oder iced? Schwarz oder mit Milch?
Oft wird diskutiert, ob die Generation Z, einfach nur keine Lust auf Arbeit, oder durchschaut hat, dass ein Nine to Five Job einfach nicht das Wahre ist. Ist John Streleckys 2007 erschienenes Buch also einfach nicht mehr aktuell? Wahrscheinlich nicht, denn es gab schon immer Menschen, die diesem System den Rücken kehrten und ihren eigenen Weg einschlugen. Der Unterschied ist nur, dass es heute durch neue Möglichkeiten wie Remote Work oder Homeoffice einfacher denn je ist, seine Arbeit individuell an sein Leben anzupassen und selbst eine konventionelle Karriere keine finanzielle Sicherheit mehr gewährleisten kann.
Ich muss mich beeilen, denn die Zeit ist abgelaufen, wenn mein Kaffee kalt ist.
Toshikazu Kawaguchis Buch „Bevor der Kaffee kalt wird“ handelt von einem Café, in dem die Gäste die Möglichkeit haben, in die Vergangenheit zu reisen, um dort mit Menschen zu reden, bis ihr Kaffee kalt ist. Die besondere Atmosphäre des Cafés und der Charme des magischen Realismus erwecken den Anschein, dass man am Ende der als einzelne Geschichten aufgebauten Kapitel tatsächlich Antworten auf Fragen bekommt, die sich wahrscheinlich die meisten Leute schon einmal gestellt haben.
Wie oft fragt man sich nicht, was man einer Person noch sagen würde, wenn man die Chance dazu hätte. In dem japanischen Café haben die Gäste genau dazu die Möglichkeit, doch den Lauf der Geschichte können sie damit nicht verändern. Die Zeitreise dient lediglich dazu, einer bestimmten Person noch etwas zu sagen, das einem auf dem Herzen liegt.
In unserer heutigen Gesellschaft ist Zeit vermutlich eines der wichtigsten Güter, die wir haben. Umso wichtiger ist es bewusst mit dieser umzugehen. Carpe diem, you only life once, das ist wahrscheinlich schon bei den meisten Leuten angekommen.
Der Gedanke, alle Konflikte, die man je erlebt hat, noch einmal auszubreiten, um eine befriedigende Antwort auf quälende Fragen zu bekommen, ist verlockend. Jeder will das eine, letzte Gespräch, nur damit man damit abschließen kann, natürlich. Doch ist es manchmal nicht besser, wenn man die Vergangenheit einfach ruhen lässt und nach vorne schaut? Wahrscheinlich ist am besten, einfach von vorneherein so zu leben, dass man später nichts bereuen muss.
Der Kaffee ist kalt geworden, das Café hat sich mittlerweile geleert und auch ich mache mich langsam auf den Weg. Ob sich mein Leben jetzt verändert hat? Schwer zu sagen. Vielleicht brauche ich einfach noch ein paar mehr Tassen Kaffee. Vielleicht ist die Frage nach dem Sinn des Lebens aber auch einfach nicht so leicht zu beantworten. In beiden Fällen liege ich heute Nacht wach und habe genug Zeit mir darüber Gedanken zu machen.