Stefan Dominik ist wütend. Er ist wütend auf seine Regierung, auf die slowakische Justiz und vor allem wütend auf das System. Die Slowakei erlebt eine Welle von Protesten, seitdem der Journalist Jan Kuciak zusammen mit seiner Verlobten Ende Februar ermordet worden ist. Die Demonstranten sehen die Schuldigen auch in ihrer eigenen Regierung – deren Korruptionsfälle und Mafia Verbindungen in den letzten Wochen verstärkt ans Licht kamen. Stefan Dominik ist einer der „zehntausenden Demonstranten“. Bei bisher jedem Protest in Bratislava war er dabei: Gegen die Verbrechen der kriminellen Herrschaftselite und für eine tatsächlich demokratische Zukunft in der Slowakei. Ein Interview, mit einer der Stimmen, die seit Wochen Politiker zu Fall bringen und international Aufmerksamkeit erregen. Was bewegt diese Menschen und was wollen sie eigentlich erreichen?
blank: Warum gehen in der Slowakei immer wieder so viele Menschen auf die Straße?
Stefan Dominik: Die Menschen sind mit der korrupten Regierung unzufrieden. Aber hauptsächlich sind sie wütend, dass ein Investigativjournalist im Zuge seiner Arbeit ermordet wurde. Kuciak hat über Mafiastrukturen und Oligarchen geschrieben, die ohne Zweifel gemeinsame Sachen mit slowakischen Politikern machen. Es gab bereits letztes Jahr einige Proteste gegen korrupte Politiker, besonders im Zusammenhang mit dem Premierminister (Robert Fico, Anm. d. Red.), der kostenfrei in einer Wohnung lebte, die von einem mafianahen Unternehmer gebaut worden war, der wiederum von seinen Beziehungen zur Steuerbehörde des Landes profitierte – aber diese Proteste zeigten wenig Wirkung. Nach dem Mord an Kuciak haben endlich wesentlich mehr Menschen begriffen, dass wir etwas dagegen tun müssen. Letztes Jahr haben sich vielleicht 1000 Menschen versammelt, heute sind es bis zu 60.000 – eine ganz ähnliche Zahl, die 1989 den Kommunismus zu Fall brachte (gemeint sind die Ereignisse im Zuge der „samtenen Revolution“ Anm. d. Red.). Wir erleben also gerade Proteste derselben Größenordnung – und hoffentlich auch mit derselben Durchschlagskraft!
blank: Was genau meinst du mit Durchschlagskraft? Was wollt ihr letztendlich erreichen?
Stefan Dominik: Wir wollen Neuwahlen. Wir können nicht zwei weitere Jahre mit dieser Regierung so weitermachen und ihre Korruption akzeptieren. Wir brauchen ein politisches System, indem Politiker sich nicht am Geld ihrer Bürger bereichern, sondern deren Probleme lösen! Indem die Justiz nicht die Mafia und die Oligarchen beschützt, sondern Recht spricht, für die Menschen. Die Macht der Demokratie muss endlich wieder in den Händen des Volkes liegen.
blank: Mehr Demokratie, ist das also deine Hauptmotivation zu protestieren?
Stefan Dominik: Ja, ich war bei allen Protesten in Bratislava seit der Ermordung Kuciaks dabei. Ich protestiere aus den gleichen Gründen wie alle: Um diese korrupte Mafia-Regierung am Stehlen und Morden zu hindern. Kuciaks Hinrichtung wird niemals rechtmäßig untersucht werden können, wenn die Ermittler gegen sich selbst „ermitteln“. Die Menschen, die Kuciak ermordet haben, waren sehr wahrscheinlich die, über die er schrieb. Er war anscheinend einfach ein zu guter Journalist, um am Leben gelassen zu werden. Die ganzen dreckigen Geschäfte, die er aufdeckte, wollte man wohl lieber weiterhin heimlich führen.
blank: Wie stehst du denn generell zu den Ermittlungen? Liegt es tatsächlich am mittlerweile wohl bald Ex-Polizeichef, dass der Mord noch nicht aufgeklärt ist?
Stefan Dominik: Der Polizeichef wird wohl aller Voraussicht nach Ende Mai zurücktreten, dank des Drucks der Straße! Aber er ist nicht allein verantwortlich. Die Regierung, die lange Zeit von Robert Fico geführt wurde, hat Verbindungen zur Mafia. Alle Ermittlungen, die diesem Netzwerk zu nah kommen, werden von oberster Stelle gestoppt. Ein Ermittler namens Vasil Spirko hat öffentlich gemacht, dass er und seine Familie von tätowierten Schlägertypen bedroht wurden, nachdem er Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe an den ehemaligen Innenministers Robert Kalinak – auch der nur dank der Proteste zurückgetreten – sowie den Verkehrsminister Jan Pociatek aufdeckte. Anstatt Vasil Spirko unter Polizeischutz zu stellen, wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, das einzig und allein dazu dienen sollte, ihn zum Schweigen zu bringen. Dabei ist er sauber, alle bis heute gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren sind ergebnislos geblieben.
blank: Ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die slowakischen Politiker (vor allem in die Smer Partei) komplett zerstört?
Stefan Dominik: Vertrauen? Nur noch ein paar sehr blinde, ignorante Menschen wählen diese Leute. Und obwohl sogar einige dieser Wähler sich abgewandt haben, ist die Smer immer noch die stärkste Partei. Aber ihre Tage sind hoffentlich bald gezählt. Vielleicht gibt es irgendwo noch einige wenige gute Menschen in der Partei, aber die meisten kann man vergessen: Korruption ist ihr Motto.
blank: Wie steht es denn um die Pressefreiheit generell in der Slowakei?
Stefan Dominik: Dazu kann ich nicht viel sagen, da ich kein Journalist bin, aber ich habe das Gefühl, dass dieser Mord genau das Gegenteil von dem erreicht hat, was er bezwecken sollte. Anstatt die Journalisten mundtot zu machen, fangen jetzt alle an den Mund auf zu machen. In so kurzer Zeit kam jetzt schon so viel Dreck ans Tageslicht, so viel Korruption, dass es sogar die kühnsten Vorstellungen übertroffen hat.
blank: Wie empfindest du die Stimmung im Land? Wird viel darüber gesprochen in deinem Umfeld?
Stefan Dominik: Sehr stark, geeint und friedlich. Wir reden sehr viel darüber. Jeden Tag kommen neue Korruptionsfälle ans Licht, sogar gegen unseren neuen Premierminister und andere Politiker. Thomas Drucker war so ein Fall, eigentlich Teil der „neuen“ Regierung, ist er nach wenigen Wochen zurückgetreten. Er hatte Probleme die extrem erfolgreichen Geschäfte seiner Frau zu erklären. Oder der Polizeichef, dessen Familie Verbindungen zur Mafia in Nitra hat. Über sowas kann man nicht nicht reden.
blank: Was bewegt dich am meisten an diesen Entwicklungen?
Stefan Dominik: Ich bin begeistert von der schieren Anzahl an Menschen, die sich engagieren und auf die Straße gehen. Es sind zwar hauptsächlich junge Studenten, aber auch immer mehr ältere zwischen 40 und 50 Jahren. Und nur dank dieses Drucks der Straße sind mittlerweile einige Politiker zurückgetreten. Aber strukturell hat sich nichts verändert und das nervt mich wirklich. Schlussendlich sind immer noch die gleichen Menschen an der Macht. Ich finde es seltsam und auch unlogisch, dass die Organisatoren der großen Märsche auf einmal aufgehört haben Neuwahlen zu fordern, als der Premierminister zurückgetreten ist. Sie wollen jetzt mit seinem Nachfolger sprechen, wozu? Was soll diese ganze „Diplomatie“? Die ganze Regierung ist korrupt. Sie spielen dem neuen Premierminister doch genau in die Hände, denn je länger wir die Neuwahlen verzögern, desto größer sind die Chancen für die Smer Partei. Dabei gehören die meisten von denen ins Gefängnis, das sind Mafiosos – kein Zweifel.
Zur Person: Stefan Dominik ist 38 Jahre alt und lebt in Bratislava. Er arbeitet dort im IT-Bereich und war von Anfang bei den Protesten gegen die Korruption der Regierung dabei. Das Interview wurde auf Englisch geführt und wird hier übersetzt wiedergegeben.