Gedichte über Einsamkeit von Joseph von Eichendorff:
„Einsiedler“ 1837 – Joseph von Eichendorff Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! Wie steigst Du von den Bergen sacht, Die Lüfte alle schlafen, ein Schiffer nur noch, wandermüd, Singt übers Meer sein Abendlied Zu Gottes Lob im Hafen. Die Jahre wie die Wolken gehen Und lassen mich hier einsam stehn, Die Welt hat mich vergessen, Da tratst du wunderbar zu mir, Wenn ich beim Waldesrauschen hier Gedankenvoll gesessen. O Trost der Welt, Du stille Nacht! Der Tag hat mich so müd gemacht, Das weite Meer schon dunkelt, Lass ausruhn mich von Lust und Not, Bis dass das ew’ge Morgenrot Den stillen Wald durchfunkelt | „Einsamkeit“ 1859 – Joseph von Eichendorff Hörst du nicht die Wellen gehen Zwischen Stein und Blumen weit Nach den stillen Waldesseen, Wo die Marmorbilder stehen In der schönen Einsamkeit? Von den Bergen sacht hernieder, Weckend die uralten Lieder, steigt die wunderbare Nacht, Und die Gründe glänzen wieder, Wie du oft im Traum gedacht. Und die Nachtigallen schlagen, Und rings hebt es an zu klagen, Ach, von Liebe todeswund; Von versunk’nen schönen Tagen Komm, o komm zum stillen Grund. |
Der Duden beschreibt die Epoche „Romantik“ folgendermaßen: „Epoche des europäischen, besonders des deutschen Geisteslebens vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die in Gegensatz steht zu Aufklärung und Klassik und die geprägt ist durch die Betonung des Gefühls, die Hinwendung zum Irrationalen, Märchenhaften und Volkstümlichen und durch die Rückwendung zur Vergangenheit“
Märchenhaft und irrational: die Romantik ein Zeitalter in der Kunst, welches bestimmt ist von dem Gedanken, in der Natur und in jedem Menschen einen göttlichen Funken vorfinden zu können. Diese Beseelung der Natur nennt sich Pantheismus. Der Gedanke in allem etwas Göttliches oder sagen wir etwas Vollkommenes vorzufinden ist an sich sehr positiv, denn er drückt eine Haltung aus, durch die alles, was um einen herum faktisch besteht als perfekt interpretiert werden kann, so wie es ist. Hätte es anders sein sollen, hätte Gott es anders geschaffen.
Diese religiöse Sichtweise ist für viele heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Aber die Kernbotschaft, dass alles im Leben gut ist, so wie es ist, verleitet einen dazu, das Leben zu bejahen, in dem es vielleicht etwas romantisiert wird. Aber, diese Positivität kann uns im Alltag motivieren.
Eichendorff, als einer der wichtigsten Vertreter der Romantik, sieht eine gewisse Vollkommenheit in der Einsamkeit, einen Zustand, mit dem wir heute eher Negatives verbinden. Sein Gedicht „Einsamkeit“ beschreibt einsam sein als einen Zustand der inneren Einkehr, des Findens zu sich selbst in der Stille der Natur. Diese ganz besondere Situation der vollkommenen Ungestörtheit im Wald, zur Zeit der Dämmerung, zu der Zeit zwischen Tag und Nacht hat fast etwas Spirituelles oder Mystisches. Es ist die Beschreibung eines Moments, in dem sich der Protagonist mit der Erde zu verbinden versucht, um eine höhere, transzendente Sichtweise auf die Dinge zu erhalten. Er denkt an vergangene Zeiten, Träume, verflossene Liebe.
Man könnte es als eine Art Selbstreflektion betrachten, in der sich die Hauptperson in das Gefüge des großen Ganzen einzuordnen versucht. Es wird also eine neue, erweiterte Perspektive eingenommen, die dabei hilft, eigene Probleme zu relativieren oder Sorgen abzuschütteln. Denn die Verbindung mit der Natur zeigt einem, dass man selbst nur ein Puzzle-Stein im Gefüge der Welt ist und durch die begrenzte Spanne eines Menschenlebens auch nur relativ kurz ein Teil von ihr ist.
Durch diese Linse fällt es einem vielleicht leichter inneren Frieden zu finden, so wie auch die Natur in Eichendorffs Gedicht friedlich und still ist. Dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Natur hat in der Literatur sogar einen eigenen Begriff bekommen, es nennt sich „Waldeinsamkeit.“
Einsamkeit ist hier also ein Luxus, der es einem erlaubt sich auf seine Umwelt einzulassen und über sich hinauszuwachsen, indem man die Vollkommenheit des Lebens anerkennt. Zugegeben klingt dies alles ein wenig abenteuerlich und phantastisch, aber das ist immerhin auch die Bedeutung der Epoche Romantik.
Ganz anders stellt von Eichendorff die Einsamkeit jedoch in seinem zweiten Gedicht „Einsiedler“ dar. Der Protagonist befindet sich zwar auch hier in der Natur, doch sie spendet ihm keinen Trost. Er fühlt sich vergessen, stehengelassen und das Wort „wandermüd“ könnte man auch als lebensmüde verstehen. Ein Wanderer, der es leid ist den Weg des Lebens weiter zu gehen. Es ist ein Moment kompletter Stille: es herrscht Nacht, es sind keine Vögel oder das lustige Geplätscher eines Bachs zu hören, wie im ersten Gedicht. Eine Stille, die einer Ohnmacht gleicht, eine Einsamkeit, aus der sich der Protagonist nicht selbst befreien kann. Man sieht, dass Isolation und allein zu sein also nicht immer etwas Gutes bedeutet.
Sowie Melancholie und Nostalgie im ersten Gedicht als etwas Positives mitschwingen, indem man sich erlaubt über schöne vergangene Tage, aber auch über das wunderbare Jetzt nachzudenken, klingen im zweiten Gedicht tiefe Trauer und Aussichtslosigkeit mit. Der Protagonist kann das Vollkommene der Welt nicht mehr sehen, der Funke, der Sinn, der das Leben ausmacht haben ihn verlassen.
Dass diese Gedanken in einer Epoche niedergeschrieben werden, in der eigentlich alles diesen einen Funken in sich trägt, zeigt, wie einschneidend Einsamkeit für ein menschliches Leben sein kann und wie vielschichtig ihre Bedeutung für den Menschen: Man genießt und fürchtet sie zugleich.
Auch in einer romantischen Welt gibt es also dunkle Facetten der Einsamkeit. So ergibt sich, dass man wohl unterscheiden muss zwischen allein sein, also das mit sich selbst Sein oder, um es etwas moderner auszudrücken: „Me-Time“, und dem sich verlassen fühlen.
Es ist interessant, dass ein und dasselbe Wort so unterschiedliche Gefühle beschreiben kann und jeder Mensch etwas anderes mit der Einsamkeit zu verbinden scheint.
Wie verschieden die Assoziationen sein können, zeigt sich nicht nur darin, dass Texte mit völlig unterschiedlichen Aussagen über dasselbe Thema entstehen, sondern auch durch die Rezeption des Publikums, durch die verschiedenen Interpretationen eines künstlerischen Werks. Besonders gut zeigt sich dieser Aspekt am Beispiel von Caspar David Friedrich, dessen Werke bei seinen Betrachtern ebenfalls die unterschiedlichsten Empfindungen hervorriefen.
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