Die gemeinnützige Hilfsorganisation versorgt jede Woche bis zu 600 Personen günstig mit Lebensmitteln.
Es ist Donnerstag, ein kalter und windiger Januarnachmittag in Passau. Durch den Trubel in der Bahnhofstraße bahnen sich die Menschen mit Einkaufstrolleys den Weg zu einem modernen grauen Gebäude, das etwas versteckt hinter dem H&M und der Müller-Drogerie am Donauufer zu finden ist. Hier werden jeden Donnerstag in der Passauer Tafel Lebensmittel an Bedürftige ausgegeben.
Bereits fünf Minuten vor der offiziellen Eröffnung taucht ein kleines braunhaariges Mädchen in der Tür auf. Mit großen Augen starrt sie in den kleinen, vollgepackten Raum. In den Regalen auf der rechten Seite, die bis unter die Decke reichen, liegen Eier, Toastbrot und Nudeln übereinandergestapelt, gegenüber sind Äpfel, Mandarinen, Kartoffeln und Kürbisse in grünen Kisten ausgelegt. Das Mädchen starrt vor allem in die rechte hintere Ecke des Raumes, denn dort befinden sich alle möglichen Backwaren. Auf einer Theke stehen Kuchen, in Regalen dahinter Schoko-Weihnachtsmänner, Lebkuchen und andere Leckereien.
Seit 2001 gibt es die Passauer Tafel, die bis zu 700 Kilo Waren pro Woche verteilt. Auf ein Jahr gerechnet ergibt das 25.000 Kilo, wobei Backwaren noch hinzukommen. „Wir versorgen etwa 200 Haushalte“, erzählt Ute Senff, die die Passauer Tafel leitet. Die meisten Haushalte beständen aus mehreren Familienmitgliedern, somit versorge die Tafel insgesamt 550 bis 600 Personen.
„Du musst doch im anderen Raum warten!“, sagt die Frau neben der Tür gespielt streng zu dem Mädchen. Sie schaut die Frau mit noch größeren Augen an und rennt weg. Sie kann sich anschließend aber nicht zurückhalten und erscheint noch drei weitere Male vor der Tür.
Um fünf nach halb drei kommen die Ersten in den kaum mehr als 20 Quadratmeter großen Raum. Eingequetscht in einer Ecke zwischen Kartoffeln und Tomaten stehe ich und beobachte die Situation. Ich sehe wieder das braunhaarige Mädchen, sie ist mit ihrer Mutter hier. Am Eingang zeigt diese ihren Berechtigungsausweis, ihr Name wird auf der Liste abgehakt. Endlich können sie und ihre Tochter, die sechsjährige Lara, anfangen, sich Lebensmittel für die kommende Woche auszusuchen.
Der Reihe nach bieten sechs Frauen in grünen Schürzen die Produkte an. Jetzt ist Lara mit ihrer Mutter an der Reihe: Aufgeregt zeigt die Kleine auf den Krapfen, den sie schon vorher von Weitem anvisiert hatte. Die Frau hinter der Theke möchte ihn einpacken, doch Lara greift danach und beißt herzhaft hinein. Sie lächelt.
Die beiden gehen weiter in Richtung Gemüse. Während Laras Mutter Salat, einen Blumenkohl und Tomaten aussucht, bleibt ihre Tochter irritiert stehen und schaut verwirrt zu mir hoch. „Bist du neu?“, fragt sie und schaut mich kritisch an, im ganzen Gesicht Puderzucker verteilt. Meine Antwort scheint sie gar nicht zu interessieren, stattdessen streckt sie mir den angebissenen Krapfen hin und fragt: „Auch?“. Neben uns ertönt ein durchdringendes „Rutschen’s weiter bitte!“. Die Mutter zieht ihre Tochter mit sich und schaut mich entschuldigend an.
In dem engen Raum müssen die Leute immer wieder aufgefordert werden, weiterzugehen und Platz für die Nächsten zu machen. „Bei bis zu 50 Einkäufern pro Stunde muss es einfach schnell gehen“, erzählt Helga Heinen, von der der Ruf ertönte. Seit zehn Jahren arbeitet sie bei der Tafel. Nach ihrer Pensionierung wollte sie sich ehrenamtlich engagieren, erzählt sie. Probleme mit Kunden hat die 70-jährige nur selten erlebt. „Die Leute sind dankbar für das Angebot und kommen gerne her.“, berichtet sie lächelnd. Dementsprechend herrsche überwiegend sehr gute Stimmung in der Tafel, nur in ganz seltenen Fällen seien Kunden negativ aufgefallen.
Bedürftige Passauer können bei der Tafel mit einem Nachweis über ihr Einkommen einen Berechtigungsausweis beantragen. Für einen Euro dürfen sie sich beliebig viele Lebensmittel aussuchen, wobei aber darauf geachtet wird, dass die Produkte für alle Bedürftigen ausreichen.
Für die insgesamt 70 Ehrenamtlichen entsteht natürlich ein größerer Zeitaufwand, als die Stunden für die Lebensmittelausgabe am Donnerstagnachmittag. Von Montag bis Mittwoch werden die Waren von bis zu neun verschiedenen Supermärkten aus Passau abgeholt, sortiert und portioniert. In der Tafel werden vor allem Produkte verteilt, die kurz vor Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, deren Verpackungen leicht beschädigt sind oder Obst und Gemüse, das einfach nicht mehr so schön aussieht. „Haltbare Produkte werden zusätzlich mit dem Geld von Spendern dazugekauft.“, erzählt Ute Senff. Die Tafel erhält keinerlei staatliche Unterstützung, sie finanziert sich ausschließlich durch Spenden.
Als Lara und ihre Mutter die Tafel gegen 15 Uhr wieder verlassen, grinst die Sechsjährige, sichtlich zufrieden mit ihrer Ausbeute. Vor der Tür stehen einige Grüppchen, die sich unterhalten. Die beiden verabschieden sich und verschwinden mit ihrem prall gefüllten Einkaufstrolley langsam wieder in den Menschenmassen Richtung Bahnhofstraße.