Einsamkeit – ein Motiv, das auch in der Literatur immer wieder aufgegriffen wird. Ob Verlust und daraus resultierende Einsamkeit, ein Gedicht mit dem Motiv der Meerjungfrau, die etwas Sonderbares symbolisiert, oder ein Fantasy-Roman, in dem sich keiner an die Protagonistin erinnert. Einsamkeit kann aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Der folgende Artikel stellt drei Werke vor, die auf ihre ganz eigene Art und Weise mit Einsamkeit umgehen.
Vom Ende der Einsamkeit – Benedict Wells
Das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit.
Der 41-jährige Ich-Erzähler Jules wacht nach einem Unfall im Krankenhaus auf und lässt sein Leben Revue passieren. Ein Leben, das behütet war. Er wächst zusammen mit seinen Geschwistern Liz und Marty in München auf. Bis Jules‘ Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen, da ist er zehn. Fortan wachsen die Geschwister bei der Tante auf, die diese ins Internat schickt. Das bedeutet auch die Trennung der drei Geschwister, die alle unterschiedlich mit dem Verlust der Eltern umgehen, allerdings alle von ihrer bisherigen Bahn abkommen. Der weitere Teil des Buches spielt nach dem Abitur und begleitet neben Jules, Liz und Marty auch Jules‘ Freundin Alva. Die Geschichte entwickelt sich zu einer dramatischen Familienerzählung, die bis zum Ende nicht abschwächt. Das Buch thematisiert Traumata, Verlust und Einsamkeit, die durch den Tod der Eltern und Jules Freundin Alva, sowie durch die Trennung der Geschwister verursacht wird. Benedict Wells macht dies mit einer Feinfühligkeit und einem Blick für Details, was das Buch zu einem großartigen Werk macht.
Foto: Lena Geier
Stille Wasser sind attraktiv – Julia Engelmann
Foto: Laura Bitterer
Meerjungfrauen. Meerjungfrauen sind laut Wikipedia Fabelwesen, deren charakteristisches Merkmal eine sogenannte Erlösebedürftigkeit ist, das heißt, sie können nur durch die Liebe eines Menschen befreit werden.
Julia Engelmann erzählt in ihrem Text „Stille Wasser sind attraktiv“ vom Gefühl, anders zu sein und nicht dazu zugehören. Sie spricht von den eigenen Sonderbarkeiten, durch die sie sich vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten fühlt.
Das Motiv der Meerjungfrauen kann einerseits als Anspielung auf die eigene Andersartigkeit verstanden werden, die sich in diesen als Fabelwesen zeigt. Das Hauptaugenmerk sollte bei diesem Einstieg jedoch auf dem Charaktermerkmal dieser Wesen liegen. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass es vor allem um das Gefühl der Einsamkeit geht, das das ‚sich anders fühlen‘ mit sich bringt.
(…) und manchmal habe ich das Gefühl, ich bin anders und allein.
Keiner scheint mir ähnlich und keiner scheint mir nah zu sein, manchmal hab ich das Gefühl, niemand ist wie ich.
Diese Einsamkeit, die aus dem Alleinsein resultiert, wird in Zeilen wie den vorherigen deutlich. So kann ihr Gedicht als Versuch empfunden werden, der eigenen Einsamkeit Ausdruck zu verleihen. Als Versuch, aus dieser auszubrechen und nicht mehr allein mit ihr zu sein.
Das Ende, in dem das Motiv der Meerjungfrau wieder aufgegriffen wird, rundet ihr Werk optimal ab. Sie zeigt auf, dass es die Erlösung aus der Einsamkeit ist, die sie in den ersten Zeilen symbolisch sucht. Sie schafft es, Frage und Antwort in einem Satz auf den Punkt zu bringen.
(…) das heißt, sie können nur durch die Liebe eines Menschen befreit werden.
Und wenn man sich nun noch vorstellt, dass die Person, der sie ihre Worte widmet, sie selbst darstellt, so findet man in ihrem Text nicht nur Trost, sondern auch Hoffnung in Zeiten der eigenen Einsamkeit.
Laura Bitterer
Das unsichtbare Leben der Addie LaRue – V.E. Schwab
… natürlich ist es traurig zu vergessen. Aber vergessen zu werden ist etwas sehr Einsames.
Stellt euch vor, jede Person, der ihr begegnet, vergisst euch. Für Addie LaRue aus V.E. Schwabs Roman „Das unsichtbare Leben der Addie LaRue“ ist das Alltag, und das seit 300 Jahren. Seit sie einen Pakt mit dem Teufel schloss, um ein freies Leben zu führen, ist sie unsterblich, doch wird von allen Menschen, denen sie jemals begegnet, vergessen. Sie reist an die bedeutendsten Orte der europäischen Geschichte und obwohl sich niemand an sie erinnern kann, geht sie als unbekannte Muse der bekanntesten Künstler:innen in die Geschichte ein, denn Ideen sind stärker als Erinnerungen. Dazu verdammt, ein einsames Leben zu führen, bleibt sie 300 Jahre allein, bis sie einen Mann trifft, der sich an sie erinnern kann. „Das unsichtbare Leben der Addie LaRue“ ist mehr als nur eine bittersüße Liebesgeschichte, sondern ein Buch, das eine völlig neue Perspektive auf Kunst, Poesie und Einsamkeit bietet und einen die kleinen Freuden des Lebens ganz neu schätzen lehrt.
Nina Wanninger
Foto: Nina Wanninger
Teil 3 unserer Comicserien Einsamkeit – eine stille Epidemie von Veronika Bigler