Von der Gesellschaft konstruierte Geschlechterrollen und ihre Auswirkungen – darum ging es in der Vortragsreihe der Studierendenvertretung AstA unter dem Motto „Geschlecht >2“. Im zweiten und letzten Vortrag der Reihe, der am Donnerstag, den 24. Mai 2018 unter der Überschrift „Geschlechtsneutrale Erziehung und neue Familienstrukturen“ an der Uni Passau statt fand, stellten Kathrin Peltz von der Hochschule Landshut und Jochen König, Autor und Blogger, ihre Geschichten vor.
„Geschlecht >2“ – damit macht die Studierendenvertretung AStA auf ihre Vortragsreihe aufmerksam. Das Motto der Vortragsreihe steht für die Annahme, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt – was biologisch längst anerkannt ist, stößt im Alltag oft immer noch auf vielerlei Hindernisse.
Der Vortrag „Geschlechtsneutrale Erziehung und neue Familienstrukturen“ befasst sich ebenfalls mit Konzepten, die von typisch bürgerlichen Formen abweichen.
Kathrin Peltz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Landshut, beschäftigt sich mit dem Thema der Vaterrolle. In ihrem Impulsvortrag „Väter, Fürsorge, Geschlecht“ macht sie darauf aufmerksam, dass sich die Elternschaft im Wandel befindet. Während beim früheren Erziehungsgeld, das bis 2006 galt, nur 4% der Väter diese Familienleistung in Anspruch nahmen, sind es mit der neuen Elterngeldregelung in Bayern über 40 % der Väter, wenn auch oft nur für die ersten zwei Monate nach der Geburt. Die Pflege des Kindes bleibe aber trotzdem meist bei den Müttern hängen, auf deren Wissen und Erfahrung vertraut wird. Peltz vertritt die These, dass nicht das Geschlecht, sondern die alleinige Zuständigkeit ein entscheidender Faktor für die Übernahme geschlechtlich markierter Fürsorgetätigkeiten ist.
„Fürsorge ist vergeschlechtlicht“, findet Kathrin Peltz.
Denn auch mit dem positiven Wandel der Vaterrolle bleibt im bürgerlichen Sinn die Erwerbsarbeit, also das Einbringen des Geldes in die Familie, Aufgabe des Vaters, während die Sorgearbeit der Frau zugeschrieben wird.
Ganz anders ist es bei Jochen König, Autor und Blogger aus Berlin. Er hat zwei Töchter – eine davon nennt ihn „Mama“. Gemeinsam mit ihrer tatsächlichen, biologischen Mutter hat er schon vor der Geburt entschieden, dass er die Hauptbezugsperson sein würde. Durch die Übernahme der Mutterrolle bricht er mit den bürgerlichen Familienstrukturen und dem durchaus medialisierten Vaterbild. Während Sigmar Gabriel stolz verkündet, sein Kind einmal pro Woche von der Kita abholen zu können und dafür erstaunte, anerkennende Kommentare erntet, sitzt Jochen König auf dem Spielplatz und versucht, mit dem Laptop auf dem Schoß, liegengebliebene Arbeit aufzuholen.
Auch nach seiner Auffassung liegt es an den von Außen zugeschriebenen Rollen, warum Mütter und Väter anders mit Kindern umgehen. Die Fassade des modernen, coolen Vaters bröckelt, sobald er hauptverantwortlich ist. Und das ist auch gut, denn so kann eine Vater-Kind-Bindung entstehen, die nicht nur auf gelegentlichem Kita-Abholen aufbaut.
„Es gibt keine natürliche, traditionelle Familie“, sagt Jochen König, Autor und Blogger.
Königs zweite Tochter ist durch ein gemeinsames Elternprojekt heraus entstanden, als er den Wunsch verspürte, ein zweites Kind zu bekommen. Aus einer erst scherzhaft gemeinten Idee, eine Frau zu finden, mit der er auch ohne Liebesbeziehung ein Kind bekommen könnte, wurde vor etwa vier Jahren Realität. Es entstand eine queere Co-Eltern-Familie mit drei gleichberechtigten Elternteilen; neben Jochen König als Vater hat seine Tochter noch zwei Mütter.
Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien – es gibt eine große Bandbreite neuer Familienkonzepte, die schon längst in der Realität angekommen sind. König hält die bürgerliche Familienstruktur für überholt. „Es gibt keine natürliche, traditionelle Familie“, sagt er und weist auf die Prähistorikern Brigitte Röder hin. Sie ist Professorin für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Basel und hat Schwerpunkte wie prähistorische Geschlechter- und Sozialgeschichte. Egal ob auf Bildern oder als Figuren – bei urzeitlichen Museumsausstellungen forschte sie über die Darstellung von Menschenaffen als bürgerliche Kleinfamilien. In neueren Abbildungen ist sogar der moderne Vater schon angekommen – oft hält der Menschenaffen-Vater hier das Baby auf dem Arm. „Die bürgerliche Kleinfamilie ist sogar älter als die Menschheit“, zitiert er Brigitte Röder mit einem Augenzwinkern. „Das ist ein typisches Beispiel, um Geschlechterrollen der Gegenwart zu erklären – man projiziert sie in die Vergangenheit und erweckt so den Eindruck, sie wären schon immer da.“
Um die Vaterrolle in unserer Gesellschaft zu revolutionieren, bedarf es Veränderung auf breiterer Ebene. Elterngeld hin oder her – die Gender-Stereotype sind immer noch zu ausgeprägt vorhanden, die Geschlechtercharaktere werden polarisiert, das klassische Familienbild ist noch zu sehr in den Köpfen verankert. Jochen König ist sich sicher: „Im Thema Männlichkeit muss einiges passieren. Wie wird sie vermittelt? Wie wird die Vaterrolle dargestellt? Was sind die ausschlaggebenden Punkte für eine Entscheidung für bzw. gegen die Vaterrolle? Hier muss sich noch viel verändern.“