Ferienfreuden & Lockdown-Sorgen | Good Bye Passau – Erasmusblog

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Lisa Bartelmus Ressortleiterin Campus, Politik & Sport

Es ist so weit; das Unvermeidliche ist eingetreten. Frankreich befindet sich im Corona-Lockdown. Reconfinement heißt das hier und verbietet uns, das Haus ohne guten Grund zu verlassen. Gute Gründe sind Essen einkaufen, Kinder zur Schule bringen, Angehörige pflegen oder der Weg zur Arbeit. Auch eine Stunde „individual outdoor exercise“ ist gestattet, allerdings nur im Umkreis von einem Kilometer um das eigene Heim. Da ich als Studentin weder Kinder habe noch eine Arbeit, gehe ich nun eben jeden Tag einkaufen. Wer hätte gedacht, dass der Ausflug in den Biomarkt mal das Highlight des Tages wird?

Der Artikel könnte hier vorüber sein, Schluss, Aus, passiert nichts mehr; ich sitze den ganzen Tag in meiner Bude und höre Online-Vorlesungen. Aber nichts da, schließlich hatten wir hier Ende Oktober direkt vor dem Lockdown noch eine Woche Ferien, die ich natürlich ausgenutzt habe. Deshalb möchte ich euch und mir die Zeit daheim ein wenig versüßen und in Urlaubserinnerungen schwelgen. (Achtung! Wer zu diesen Zeiten an Fernweh leidet, sollte diesen Artikel mit Vorsicht genießen!)

unser Zuhause für die Ferien

Eine reiselustige Gruppe von elf Erasmusstudent*innen hat sich zusammengefunden, alle deutsch bis auf einen Italiener, durch den wir wohl immer noch als „international“ durchgehen. Mit Autos haben wir uns auf den Weg in die Occitanie gemacht, die Region südlich der Provence. Dort haben wir uns auf dem Land ein Haus über AirBnb gemietet. Mitten im Nirgendwo konnten wir niemanden stören; der große Garten mit Terrasse war ein Luxus (die meisten wohnen in engen Wohnheimzimmern). Die Sperrstunde von 21 Uhr, die zu dieser Zeit noch galt, war uns egal, denn in dem großen Haus konnten wir die ganze Nacht zusammen Karten spielen, Musik hören und französischen Wein trinken, sodass wir gar nicht erst das Bedürfnis nach Ausgehen bekamen. Möglichkeiten gab es dort auf dem Dorf schließlich sowieso nicht. Es war der perfekte Ort, das Virus, die Beschränkungen und jegliche Verpflichtungen für fünf Tage zu vergessen. Morgens wurde die Terrasse zum Yoga und Fitnessstudio umfunktioniert, danach gab es ein großes gemeinsames Frühstück. Im Anschluss lasen die einen Bücher, andere spielten in der Sonne Schach, bis es uns mittags meistens doch reizte, ein wenig die Umgebung zu erkunden und Ausflüge zu machen.

Avignon

Palais des Papes

« Sur le pont d´Avignon, on y danse, on y danse… » Kennt ihr auch dieses Kinderlied ? Tja, also wir haben auf dieser Brücke, die in echt nur eine halbe ist, nicht getanzt, denn vier Euro Eintritt waren uns zu viel. Stattdessen haben wir uns damit begnügt, die Brücke Saint Bénézet, ein UNESCO Weltkulturerbe, vom Ufer aus zu betrachten. Ein Besuch in dem hübschen Städtchen lohnt sich trotzdem. Mittelalterliche Gebäude, ruhige Gassen, kleine Läden und der eindrucksvolle Papstpalast (Palais des Papes) bieten ausreichend Möglichkeit zum Bummeln und Entdecken. Wer noch mehr Kultur möchte, kann die vielen Kirchen und das Museum im Papstpalast besichtigen. Wir haben ein paar entspannte Stunden dort verbracht, haben Crêpe gegessen und uns nicht zu sehr um historische Hintergründe gekümmert. Man hat schließlich Ferien.

Aigues-Mortes & Strand

Am nächsten Tag ging es in die mittelalterliche Hafenstadt Aigues-Mortes, die komplett von einer Stadtmauer umgeben ist. Es gibt viele französische Restaurants, Bistros und Cafés. Alles ist jedoch sehr touristisch ausgelegt und ich fand die Stimmung wenig authentisch und aufgesetzt. Als Student*in unter 25 ist der Eintritt auf die Stadtmauer und einen der Aussichtstürme kostenlos. Von dort sieht man das flache Umland, durchzogen von Kanälen, die zum Mittelmeer führen, das von hier nicht mehr weit entfernt ist. Da in diesem kleinen Ort schnell alles Sehenswerte abgeklappert war, ging es schnell genau dorthin weiter. Wegen der Reisebeschränkungen dieses Jahres war es für viele von uns der erste Tag seit langem am Meer und das Grinsen darüber blieb uns lange im Gesicht. Sand zwischen den Zehen, salziger Wind, Dünen und orangener Himmel. Was will man mehr? Ins Wasser! Das habe ich dann mit drei anderen Hartgesottenen auch in Angriff genommen, ganz egal, dass wir keine Badesachen dabei hatten; Unterwäsche tut seinen Zweck genauso. Kalt wars schon, aber geil. Danach dick eingepackt, Tee aus der Thermoskanne und Heizung im Auto an. Abends hat das Ofengemüse so gut geschmeckt wie lange kein Essen mehr. Auch weil es im Wohnheim keinen Ofen gibt und gebackene Mahlzeiten somit zum Highlight geworden sind.

Pont du Gard & Uzès

An Tag drei besuchten wir die Pont du Gard, ein gut erhaltenes 49m hohes Aquädukt aus der Römerzeit. Hier mussten wir als Student*innen sieben Euro Eintritt zahlen, aber für eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Südfrankreichs hatten wir die Spendierhosen an. Das Wetter war sonnig und mild, weshalb wir ganz in Ruhe durch den Oliven- und Pinienwald um das Aquädukt spaziert sind und uns in die Sonne gesetzt haben, einfach mal nichts tun. Als das doch irgendwann langweilig wurde, ging es weiter nach Uzès, einen gemütlichen Ort mit vielen alten Häusern. Wir haben nichts Spezielles besichtigt, sondern sind ganz entspannt durch das Städtchen gebummelt und haben uns in einer Boulangerie mit Snacks eingedeckt. In der Stadt haben wir einen kleinen Kräutergarten gefunden, der am Fuße eines Aussichtsturms lag. Dort haben wir uns ein wenig umgesehen und danach den Sonnenuntergang über der Stadt vom Turm aus genossen. Abends gab es im trauten Heim vegane Quiche, Wein und Gesellschaftsspiele.

Montpellier & Strand

Nach einem langsamen Morgen mit Yoga, Frühstück und Lesen war meine Gruppe am nächsten Tag die letzte, die Richtung Montpellier aufbrach. Die Stadt versprüht mit ihren Palmen mediterranen Flair und Leichtigkeit. Obwohl es fast November war, hatte die Sonne hier im Süden Frankreichs noch Power und wir konnten nochmal die Vitamin-D-Speicher auftanken. Es gibt an jeder Ecke Kirchen in Montpellier, eine schöner als die andere. Der „Porte de Peyrou“ ist der pompöse Triumphbogen der Stadt. Direkt dahinter kann man an der Promenade de Peyrou gemütlich schlendern, die Aussicht genießen und an diesem weitläufigen Ort eine Pause von der Enge der Stadt machen. Läden und das Alltagsgeschehen zentrieren sich am großen „Place de la Comédie“. Straßenmusiker sorgen für heitere Stimmung; Geschäfte, Museen, Restaurants und ein Park sind nicht weit. Obwohl wir nicht allzu viel Zeit in Montpellier verbracht haben, hat mich die entspannte Atmosphäre überzeugt. Eine Stadt, die ich wieder besuchen würde. Abends haben wir uns Falafel to go besorgt und sind noch einmal zum Sonnenuntergang an den Strand gefahren, 20 Minuten außerhalb von Montpellier. Dort haben wir noch einen Sonnenuntergang genossen, dem Meeresrauschen zugehört und den Abend ruhig ausklingen lassen.

Zurück in unserem Ferienhaus begingen wir einen Fehler. Wir sahen aufs Handy und lasen Nachrichten. Es war von einer Ansprache Macrons am nächsten Tag die Rede und von einem möglichen Lockdown, den er ankündigen könnte. Es standen verschiedene Optionen offen, eine Ausweitung der Sperrstunde, ein Lockdown am Wochenende. Das waren unsere Hoffnungen, aber wir begannen zu ahnen, dass das Erasmusleben wohl nicht so weitergehen würde wie bisher.

Am nächsten Tag fuhren wir durch idyllische Weingebiete über Landstraßen und Autobahn zurück Richtung Grenoble. Umso näher wir der Stadt und der Ansprache Macrons kamen, desto stressiger wurden die Umstände. Auf den Autobahnen war die Hölle los und auch in der Stadt war überall Verkehr. Um acht Uhr abends dann Ansprache und damit die endgültige Wiederkehr in die bittere Realität: Lockdown.

Nach diesem wundervollen, erholsamen Urlaub, in dem wir die Existenz der globalen Krise beinahe vergessen hätten, traf uns die Nachricht alle hart. Ein bitteres Erwachen in der Realität nach diesem süßen Traum von Freiheit und Urlaub. Nach zwei Monaten sollte unser Erasmussemester nun online und auf sozialer Distanz stattfinden. Ist das überhaupt noch Erasmus? Für viele lohnt es sich nicht mehr, sie sind zurückgereist in die Heimat. Auch ich hatte eigentlich gesagt, wenn ich nicht mehr französisch sprechen und in die Berge gehen kann, dann bin ich weg hier. Noch bin ich allerdings hier, fülle mit Kreativität die Formulare aus, um das Haus zu verlassen und verbringe Zeit mit den wenigen Leuten, die geblieben sind. Um in Passau noch einzusteigen, ist es zu spät; ich habe mein Urlaubssemester schon beantragt und mich in keine der Kurse eingeschrieben. Wie genau das alles weitergeht, weiß ich selbst nicht. Ich werde online die Uni weitermachen und vielleicht mal zu meinen Eltern fahren. Vielleicht komm ich auch mal wieder in Passau vorbei. All das hängt jetzt auch von den Einreisebestimmungen in Deutschland ab, denn ehrlich gesagt habe ich wenig Lust auf erneute 14 Tage Quarantäne…

Stimmung

Mich macht es verrückt, hier jeden Tag aufs Neue Berge zu allen Seiten zu sehen, Gipfel auf denen ich noch nicht war und Neuschnee, der auf Fußstapfen wartet. Ich will raus in die Natur, rauf auf die Berge. Ich würde gern reisen; nach Paris, Marseille oder Bordeaux. Ich würde so gern Freunde in Spanien besuchen, mich hier mit Franzosen verabreden, chocolat chaud in Cafés trinken. All das geht gerade nicht und ich muss mich zwangsläufig auf mich selbst besinnen. Mir fehlt die Freiheit, ich fühle mich als hätte ich Hausarrest. Dabei hab ich gar nichts angestellt. Es ist nicht immer ganz einfach, aber in dieser Pandemie bin ich damit nicht die Einzige. Bis all diese Dinge wieder möglich sind werde ich viel Zeit damit verbringen, dankbar für diese letzten zwei Monate zu sein und Pläne für die Zeit nach dem Lockdown zu machen. Denn mit Grenoble und Frankreich bin ich noch lange nicht fertig, das will mal gesagt sein!

Fotos: Lisa Bartelmus