Der Mut der Frauen ist lauter als das Regime
„Und wenn ihr fürchtet, dass (irgendwelche) Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“
So steht es in Sure 4.34 im Koran, ein Kapitel, auf dessen Auslegung sich die Scharia im Ehe- und Familiengesetz bezieht und die Züchtigung der Ehefrau als legitimes Mittel gewährt. Als Scharia wird das islamische Gesetz nach göttlicher Autorität bezeichnet. Gültigkeit findet sie in islamisch geprägten Ländern – insbesondere in Iran.
Zeigt sich eine Frau enthüllt, gilt das in Iran als Straftat
Am 19.September 2022 starb die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Wenige Tage zuvor wurde sie von der sogenannten Sittenpolizei in Teheran festgenommen, weil ihr Kopftuch ihr Haar nicht vorschriftsmäßig bedeckt hatte. Amini wurde zur Symbolfigur eines Aufstandes gegen die iranische Regierung.
Zahlreiche Iranerinnen und Iraner gehen seitdem auf die Straße und demonstrieren für die Niederschlagung des Regimes, das seit der islamischen Revolution 1979 herrscht. Frauen schneiden sich als Zeichen der Solidarität ihre Haare ab. Sie riskieren ihr Leben, indem sie in der Öffentlichkeit ihren Hijab ablegen. Zeigt sich eine Frau öffentlich enthüllt, gilt das in Iran als Straftat – ein Instrument, das das Leben der Frauen kontrollieren soll.
Die 28-jährige Maryam (zum Schutz wird ihr Nachname hier nicht genannt) ist Iranerin, hat sich jedoch vor mehreren Jahren für ein Leben im Ausland entschieden. Neben ihren beruflichen Ambitionen hat sie vor allem der Zwang, einen Hijab zu tragen, den sie als Hauptproblem für iranische Frauen sieht, dazu bewegt das Land zu verlassen. Maryam wurde auf der Straße einige Male wegen des nicht ordnungsgemäßen Tragens des Hijabs von der Sittenpolizei verwarnt. “In einem der Fälle wurde ich verhaftet und war für drei Nächte in einer Haftanstalt.“, erzählt sie.
Das Ablegen des Hijab als Symbol des Widerstands
Das Ablegen des Hijab gilt in Iran bereits seit einigen Jahren als Widerstandssymbol. 2014 wurde von der im Exil lebenden Journalistin Mahsi Alinejad die Online-Protest-Plattform „My stealthy freedom“ („meine heimliche Freiheit“) gegründet, auf der iranische Frauen Fotos und Videos von sich ohne Kopftuch teilen können. Ab Mai 2017 rief Alinejad über die Protestkampagne „White Wednesdays“ Frauen in Iran dazu auf, ohne Verschleierung und lediglich mit einem dünnen, weißen Tuch auf die Straße zu gehen. Das weiße Tuch steht für Macht – die Macht der Frauen, für ihre Freiheit und ihren Frieden zu kämpfen. Darauf folgte die symbolträchtige Protestaktion der Iranerin Vida Movahed. Unverschleiert stellte sie sich auf einen Stromkasten in einer belebten Teheraner Straße. In der Hand hielt sie einen Stock, der ein weißes Kopftuch trug. Fast eine Stunde stand sie, ohne ein Wort zu sagen, in der Enghelab-Straße – zu Deutsch der “Straße der Revolution“. Vida Movahed wurde kurz darauf von der iranischen Regierung festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt.
Aggressives Vorgehen der sogenannten Sittenpolizei
Auch Maryam schloss sich zu Beginn des Widerstands im letzten Jahr der Protestgemeinschaft an, um iranische Frauen zu verteidigen und zu informieren. Später wurde sie allerdings von ihrer Familie eingeschränkt – “aus Angst vor Konsequenzen wie einem Einreiseverbot in Iran oder sogar einer Lebensgefahr in meiner jetzigen Heimat”. Das aggressive Vorgehen der sogenannten Sittenpolizei und Regierung in Iran hat sich seit September 2022 immer weiter verschärft. In jüngster Vergangenheit soll es mehrere Giftgasangriffe auf Mädchenschulen gegeben haben. Wer verantwortlich ist, ist weiterhin unklar.
„Iran ist für mich nur ein Name“
Für Maryam ist klar, dass die Regierung das Ziel verfolgt, die Familien in Panik zu versetzen und somit die Ausbildung der jungen Mädchen verhindern möchte. “Iran ist für mich nur ein Name.“, sagt Maryam. Der Name eines Landes, in dem sie zwar geboren ist, das sich für sie nun allerdings fremd anfühlt. Eine Rückkehr nach Iran ist für sie keine Option, denn die Situation vor Ort wird immer unerträglicher.
Unterstützung iranischer Frauen durch das Internet
Die internationale Berichterstattung wird nach Monaten des Protests stetig weniger. Der Satiriker Jan Böhmermann kritisierte in seiner Sendung ZDF Magazin Royale vergangener Woche die Vergesslichkeit der Medien. Laut Maryam haben sich die Menschen im Westen noch nie wirklich für die Probleme im Nahen Osten interessiert. Zudem sei das Problem des Irans nicht etwas, das von außen gelöst werden könne. “Das Volk muss sich zusammenschließen und gemeinsam gegen das Regime auflehnen.”
Das mächtigste Werkzeug liege laut Maryam allerdings in den Händen unser aller – es ist das Internet. So können auch wir, aus der Ferne, unsere Stimme erheben, für all die Menschen, die verstummt werden. Der Mut der iranischen Frauen wächst, sie riskieren ihr Leben und kämpfen unermüdlich für ihre Rechte. Diese Entwicklung wird auch in der aktuellen Bewegung seit September deutlich: noch nie zuvor erlangte die feministische Bewegung in Iran national wie global eine so große Unterstützung. Der Mut der iranischen Frauen ist lauter als das Regime.