„Gefühle, die ´ne Bühne suchen“

Wenn Marathon-Läufer die Ziellinie überqueren, sind sie außer Atem. 

Wenn Poetry-Slammer nach vier Stunden zum letzten Mal die Bühne betreten, ist vor allem ihr Publikum außer Atem. Das viele Mitfühlen, Lachen, Applaudieren und Jubeln während eines hochklassigen Poetry-Slam-Abends kann durchaus Energie kosten. So auch am 17. Mai 2019 im Zeughaus, wo im Rahmen der ersten Passauer Literaturnacht der erste Passauer Poetry-Slam-Marathon stattfindet. Moderator Sebastian Ruppert erklärt vorab die Besonderheit des Abends: Ab 19 Uhr sollen nicht einer, sondern gleich vier Poetry Slams stattfinden. Zu jeder vollen Stunde beginnt eine neue Runde mit neuen Texten und teilweise auch neuen Slammern. Die Zuschauer können kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Der Eintritt ist frei.

Für den Marathon gibt es vier Regeln:

  1. Die Texte müssen von den Vortragenden selbst geschrieben worden sein.
  2. Jeder hat genau acht Minuten Zeit.
  3. Requisiten sind nicht erlaubt.
  4. Kein Gesang.

Und dann geht’s auch schon los mit dem ersten Slam des Abends. Sebastian Ruppert verteilt für die erste Runde Punktetafeln an Zuschauer, die ihre Punkte von 1-10 (auch halbe Punkte sind erlaubt) nach dem Applaus, den ein Auftritt vom Publikum bekommt, vergeben sollen. Jeweils die höchste und niedrigste Punktzahl wird gestrichen. Die Reihenfolge der Auftritte wird zufällig ermittelt mit Hilfe von Sebastians notariell beglaubigtem Ziehgefäß (eigentlich ein Sektkübel, aber der tut’s auch). 

Kevin Neugebauer eröffnet den Abend. Während seines Textes über das neueste Nokia Handy füllt sich das Zeughaus mehr und mehr. Zwischenzeitlich hören, wie Sebastian später schätzt, über 100 Leute zu. Dementsprechend laut ist der Applaus sowohl für Kevin als auch für Rieke, Norbert Schimmelpfennig und Steffi, die die erste Runde komplettieren. Besonders Rieke beeindruckt das Publikum mit ihrem Matrosen-Text und vor allem mit ihrer melodischen Stimme, die dem Text und ihrem Auftritt eine ganz besondere Stimmung verleiht. So sichert sie sich auch ganz knapp mit einem halben Punkt Vorsprung den Sieg vor Steffi, deren ganzer Name, wie sie sagt, viel zu lang wäre, um ihn jedes Mal zu nennen. 

Zu den vier Slammern der ersten Runde gesellt sich um 20 Uhr nun Sadia Marie, die mit ihrem Kinderriegeltext eröffnet. Der Text über ein Gespräch mit ihrem Neffen, der sich über Hautfarben Gedanken macht, bringt das Publikum einerseits zum Nachdenken, andererseits aber auch einige Male zum Lachen. Steffi ist die Nächste und für alle, die in der ersten Runde noch nicht dabei waren, erzählt sie noch einmal, dass sie Jura studiert und eigentlich am nächsten Tag eine Klausur schreibt. Und trotzdem ist sie hier. Nach Rieke kommt Norbert Schimmelpfennig auf die Bühne, der älteste Slammer des Abends. Sein Text über zwei Freunde und deren Leben im Lauf der Zeit sticht vor allem durch Wortspiele wie „kuscheln + wuscheln = nuscheln“ an passenden, aber teils überraschenden Stellen hervor. Kevin Neugebauer, der „trotz seines Namens tatsächlich studiert“, sorgt beim Publikum mit seinem Text über eine Klausur, an die er nicht gedacht hat, die er dann aber vollkommen unvorbereitet mitgeschrieben hat, für gute Unterhaltung. Besonders sein Vortrag, bei dem er selbst mehrere Rollen einnimmt, verpasst seinem Auftritt einen gewissen Stand-Up-Comedy Charakter. Ab dieser Runde verläuft die Bewertung etwas anders. Es werden nicht mehr Punkte verteilt, sondern es gewinnt direkt der- oder diejenige, der am Ende der Runde vom Publikum den lautesten Applaus erhält.

In Runde drei fällt langsam auf, wie viele Zuschauer schon seit 19 Uhr da sind. Eigentlich haben die Slammer vorgehabt, nur zwei Texte mitzunehmen und diese dann in Runde drei und vier zu wiederholen. Das Publikum würde sowieso wechseln. Allerdings bleiben die ersten beiden Reihen hartnäckig sitzen. So freut sich Kevin Neugebauer auch über seinen Fanclub in der zweiten Reihe, die sogenannten „zweite Reihe Kevin-Ultras“, die ihm von Anfang an frenetisch zujubeln. Letztendlich schaffen es jedoch alle Slammer, dem Publikum auch für die verbliebenen beiden Stunden ein buntes, unterhaltsames und teils spontanes Programm mit vielen neuen Texten zu liefern. Sei es ein nachdenklicher Text über Palmöl von Rieke, ein nicht ganz fertiger Rap von Kevin, Steffis Text darüber, wie sie in einer Welt, in der es keine guten Männer zu geben scheint, doch einen ganz Guten erwischt hat, oder Norberts (überraschend) kurze und pointierte Jahreszeitengedichte: für jeden Geschmack ist etwas dabei. 

Auch wenn ein vierstündiger Poetry Slam erstmal lang und (fast) so anstrengend wie ein Marathon erscheint: am Ende ist es ein Abend voller Vielfalt und Unterhaltung, von dem man keine Minute verpassen möchte. Steffi, die, wie mittlerweile das ganze Publikum weiß, am nächsten Tag Klausur schreibt, bringt es auf den Punkt „Klausuren kann man wiederholen, schöne Momente nicht.“

Wer den Poetry-Slam-Marathon verpasst hat, muss sich keine Sorgen machen. Der nächste Slam steht schon in den Startlöchern. Am 17. Juni geht’s im Zeughaus Passau in die nächste Runde. 

 

Beitragsbild: Julia Zäske