„Streitet euch mit Nachbarn, Familien, Kommilitonen und Freunden!“, fordert Dr. Christian Boeser-Schnebel, Veranstalter des Workshops ,,Streitet euch! Was wirklich gegen Populismus und Stammtischparolen hilft“, der im Rahmen der Passauer Politiktage stattfand.
Ob auf Familienfeiern, bei einem Bier mit Freunden oder bei öffentlichen politischen Diskussionen: Stammtischparolen sind oft Teil unserer Gespräche. Nur wie reagiert man am besten, wenn man mit populistischen Äußerungen konfrontiert wird? Dieser Frage geht Boeser-Schnebel mit Workshops und Vorträgen auf den Grund. Der Leiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern fördert mit Argumentationstraining die Fähigkeit, politische Diskussionen zu führen und sich mit politischen Gegner bewusst auseinander zu setzen.
Boeser-Schnebel erklärt die Phänomene des Populismus und der Stammtischparolen im kausalen Zusammenhang und gibt Strategien und Konzepte für einen demokratischen Umgang mit populistischen Äußerungen. Sehr wichtig ist ihm, eine Eskalationsspirale zu vermeiden und sich Zeit für politisch Andersdenkende zu nehmen.
„Gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik kann eine Eskalation des politischen Streits festgestellt werden. Es zeigt sich nicht nur eine klare Abwertung der Andersdenkenden, sondern auch ein starker Hang zur Selbstgerechtigkeit und zur Diskreditierung der sogenannten Anderen“, erklärt er.
Neben rechten Parolen gebe es jedoch auch linke Stammtischparolen, wie „Wir schaffen das“ oder bei Diskussionen um Straftaten „Das sind alles nur Einzeltäter“. Laut Extremismusexperte Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer äußern sich sogenannte Stammtischparolen meist über platte Sprüche, aggressive Rechthaberei und einem kategorischen Entweder-Oder. Boeser-Schnebel stellt zwei Prüfrichtungen beim Umgang mit Stammtischparolen vor, dem Überwinden eines „Die-Wir-Denken“ sowie ein ,,Entweder-Oder-Denken“. Zentral ist die Frage nach Ursachen und die Sensibilisierung von Wechselwirkungen in der Gesellschaft. So besteht ein Spannungsverhältnis von Politikern und Bürgern, das sich in Politik(er)Verdrossenheit auf der einen Seite und Bürgerverdrossenheit auf der anderen seitens der Bürger äußert.
Dr. Christian Boeser-Schnebel präsentiert den Teilnehmer eine konkrete Technik für einen offenen Dialog. Wichtig sei demnach, nicht zu argumentieren, sondern anhand offener W-Fragen das Gespräch am laufen zu halten und darauf zu zielen, den anderen zu verstehen. „Es geht eher um die Haltung der Gesprächspartner als um die Technik“, findet er. Ein Distanzieren sei dabei unbedingt notwendig. Dies kann durch Wiederholungen, Ausdrücken der Gefühle sowie dem Äußern von Wünschen realisiert werden.
„Stellen sie sich vor, sie sitzen an einer Kaffeetafel mit 20 Leuten und Tante Erna schimpft über Juden“, sagt er zu den rund 40 Teilnehmern auf.
Anhand dieses alltäglichen Beispiels erklärt er das ideelle Vorgehen mit Stammtischparolen, wie mit dieser antisemitischen Äußerung. Zunächst sei eine ruhige Gesprächsatmosphäre wichtig. „Gehen Sie in einer ruhigen Minute auf Tante Erna zu und bitten Sie mit offenen Fragen ihnen ihre Haltung zu erläutern. Gemeinsam sollten sie nach Wechselwirkungen und Dilemmata suchen.“
„Mit anderen zu streiten ist eine Form der Liebeserklärung“
Die zentrale Irritation für die Teilnehmer ist vor allem festzustellen, dass jeder seine eigene Arroganz überwinden muss, um mit anderen ins Gespräch zu kommen, denn ein selbstgerechter Absolutheitsanspruch mache eine Diskussion unmöglich. Das Einnehmen eines „Belehrmodus“ muss durch eine Offenheit gegenüber anderen Positionen ersetzt werden. „Wir müssen auch mit Trump-Wählern reden und in einen offenen Streit gehen“, sagt der Workshopleiter.
Erst kürzlich war die Universität Passau Schauplatz einer Konfrontation zwischen politischen Gegnern. Bei der Podiumsdiskussion ,,Die vierte Gewalt. Die Macht der Medien“ wurde Stefan Möller, Landessprecher AfD Thüringen mit lautem Klatschen einiger weniger Personen das Wort unterbunden worden. Auf die Frage, wie Boeser-Schnebel das Verhalten fand, entgegnet er „Mit dem Verhalten haben sie eigentlich das Gegenteil bewirkt. So haben sie die Strategie der AfD, das Einnehmen der Opferrolle, nur bestärkt.“ Für die kommende Bundestagswahl wünscht er sich politischen Streit, der die Verbreitung populistischer Haltungen verhindern kann.
Fotos Max Barnewitz