Harry Potter und seine Erben

„Feinde des Erben, nehmt euch in Acht!“ – wer kennt sie nicht, jene mit Blut geschriebenen Worte, die in Harry Potters zweitem  Jahr in Hogwarts, an die Wand des Schulklos geschmiert werden, jene Worte, bei denen uns ein feines Gruseln den Rücken herabläuft?

Erbe – das ist ein zentraler, ein schwieriger Begriff, denn nicht nur in der Zaubererwelt zieht er Verwerfungen mit sich. Als der letzte Band der Harry-Potter-Reihe im Jahre 2007 veröffentlicht wurde, schien das Märchen auserzählt und eine Ära zu Ende gegangen. Joanne K. Rowling, die mit ihr schwer reich gewordenen Autorin, hatte das Erbe dieser genialen Buchreihe nun zu verwalten, und nicht jedem gefiel ihr Umgang damit: nach einem Exkurs mit mäßig erfolgreichen Veröffentlichungen (ein Sozialdrama, drei Krimis) wandte sie sich als Drehbuchautorin und Theaterschriftstellerin endgültig wieder der Zaubererwelt zu, und heraus kamen dabei ein Theaterstück namens Harry Potter and the Cursed Child sowie ein Hollywood-Mega-Streifen namens Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind mit Riesen-Budget und prominenter Besetzung. Sie schien einen Kompromiss gefunden zu haben, mit dem sie jenes Erbe verwaltete, ohne es gleichzeitig zu beschädigen.

Doch in dieser Vorsicht liegt auch die Crux – ich für meinen Teil muss sagen, dass weder Phantastische Tierwesen noch The Cursed Child sonderlich mitreißen konnten, ersterer, weil er zu bombastisch geriet und seinen Charme verspielte, letzteres, weil die Idee, Harry Potter als biederen Generationenkonflikt zu inszenieren, schlicht langweilig ist.

Was meine Aufmerksamkeit schon eher weckte war ein Trailer, der in den letzten Monaten recht häufig auf Facebook auftauchte und so authentisch und gut aussah, dass man meinen konnte, J.K. Rowling habe schon das nächste Projekt aus ihrer magischen Feder laufen lassen: Origins of the Heir ist ein etwa einstündiger Prequel-Film, der aber, und das ist seine Besonderheit, von keinem mächtigen Hollywood-Studio produziert, sondern in liebevoller Kleinarbeit durch ein Kickstarter-Projekt finanziert wurde – welches ebenjene Hollywood-Giganten übrigens schleunigst durch Rechtsmittel einstellen ließen, da das Ganze aber nachweislich ein Non-Profit-Projekt ist, konnte der Film doch gedreht werden. Die Produzenten sind die Italiener Gianmaria Pezzato und Stefano Prestia, waschechte Fans und damit vielleicht genau die richtigen, um der Reihe ein paar neue Impulse zu geben, so die Erwartungen.

Mit seinen 52 Minuten ist der Film überschaubar lang, hat sich dafür aber ein spannendes Thema ausgesucht: im Mittelpunkt steht das Geheimnis um Lord Voldemorts Vergangenheit und die ersten Schritte des schwarzen Magiers auf seinem Weg in die Dunkelheit, ein Thema, das ja bereits im 6. Band der Reihe angetastet wurde. Pezzato und Prestia erzählen die Geschichte aus Sicht der Aurorin Grisha McLaggen, Nachfahre des Legendären Godric Griffindor, welche sich in ihrer Schulzeit einer Schwärmerei für einen gewissen Tom Marvolo(!) Riddle nicht erwehren konnte, auch wenn dieser ehrgeizige Bücherwurm in bester Slytherin-Manier eher arrogant und feindselig auftritt (selbst in der magischsten aller Welten, so scheint der Film uns hier sagen zu wollen, stehen Mädchen ganz trivial auf die bösen Buben). Ihre besten Freunde sind Lazarus Smith und Wiglaf Sigurdsson, genau wie Grisha und Tom ebenfalls Nachfahren der legendären Gründer der Schule, nämlich Hufflepuff und Ravenclaw, wenn auch von ungleich edleren Motiven getrieben.

Im Laufe der Zeit kann aber nicht mal mehr Grisha ihre Augen vor dem verschließen, was Tom in seinen Sommerferien so treibt, und als sie sich endlich dazu durchringen kann, ihn aufhalten zu wollen, gab es schon den ersten Toten…

Soviel sei zur Handlung verraten, wer sich den Film ansieht, bei dem stellt sich schnell das altbekannte Potter-Feeling ein: nette magische Gimmicks und herrlich antiquiertes Kostümdesign sowie ein gekonntes Händchen für altbekannte Schauplätze weisen die Produzenten als selbstsichere Kenner der Materie aus, die die mal heimelige, mal schaurig-düstere Atmosphäre, welche diese Serie so einzigartig machte, gut einzufangen vermögen. Und das alles für wohl nicht einmal 15.000 Dollar. Hier kann man wirklich nur den Hut ziehen, fünfzig Punkte für Gryffindor!

Könnerschaft zeichnet sich in einem solchen Sonderfall allerdings in letzter Konsequenz dadurch aus, dass es gelingt, auch eigene Impulse stimmig in den Gesamtkontext einzubetten – den Handlungsrahmen bildet eine Verhörsituation durch pelzmützige Sowjet-Zauberer, das ist schon ziemlich cool und auch gut gemacht. So weit, so gut, möchte man sagen, wäre da nicht diese entlarvende Dramaturgie, die den zuerst  glaubwürdigen Film dann halt doch als das offenbart, was er ist – ein Fanprojekt. Denn was der Film auf der optischen Schiene toll hinkriegt, das verspielt er  auf Handlungsebene – Glaubwürdigkeit. Die Dialoge sind ziemlich flach und vorhersehbar: die Momente, die Grisha als zwischen dem attraktiven Badboy, den sie eigentlich mag, und dem gutherzigen Tollpatsch, den sie mögen sollte, hin- und hergerissen zeigen, haben in ihrer Klischeehaftigkeit schon einen gewissen Fremdschamfaktor. Eine Teenie-Rivalität in den Film einzubauen tut ihm  überhaupt nicht gut – Lord Voldemorts Größenwahn als Gegenmodell zu den weltverbesserischen Ambitionen der anderen drei Erben kann so letztendlich als übersteigerter Streber-Komplex gedeutet werden. Und das ist tragischerweise schon das einzige, was der Film an dieser Stelle an Originalität beisteuern kann – der Rest ist nämlich eine Wiederverwertung bereits bekannten Materials aus dem sechsten Buch, genauer gesagt der Vorgänge um Voldemorts Jagd nach Gegenständen der Gründer, also Hufflepuffs Becher und dem Slytherin-Medaillon, welchen hier etwas mehr Platz eingeräumt wird als im Hauptfilm. Spätestens zur Mitte des Films hat man dann sehr deutlich das Gefühl, das man das alles hier doch schon kennt.  Zum Schluss gibt’s dann noch den obligatorischen Twist, der eigentlich nur überrascht, da er im Grunde genommen überhaupt keinen Sinn macht – lediglich die Frage, wieso von wir den drei anderen Erben in der Hauptreihe eigentlich nie ein Sterbenswörtchen gehört haben, beantwortet er ziemlich ehrlich, aber seht selber…

Abschließende Diagnose? Der Film leidet ganz klar unter dem Dilemma, das jegliche Art von Fan- beziehungsweise Fremdarbeit so problematisch macht: auf der einen Seite besteht Innovationsdruck, auf der anderen Seite würde sich kein Liebhaber welchen Werkes auch immer jemals trauen, auf irgend eine Art und Weise so in das originäre Werk einzugreifen, dass das Material am Ende verfremdet wird und bekannte und geliebte Größen neu gezeichnet werden, auch wenn es nötig wäre, um Spannung zu erzeugen. Wer dies tut, hat teilweise mit heftigster Gegenwehr zu rechnen – ein anschauliches Beispiel dafür ist wohl die heftige Kontroverse um die aktuellen Star-Wars-Filme, dessen ursprüngliches Charakterpersonal von den Regisseuren der neuen Reihe nach und nach dezimiert wird, um Platz für eine neue Generation von Helden zu schaffen und die teilweise alberne Jedi-Esoterik demontiert – und sich dafür heftigster Shitstorms von Seiten der erzkonservativen Fancommunity ausgesetzt sieht.

Als Fans und Regisseure ohne kommerzielle Interessen stecken Pezzato und Prestia tief in diesem Dilemma, und so ist es wohl kein Wunder, dass dieser Film letztendlich nur teilweise geglückt ist – als Liebeserklärung an die Harry-Potter-Reihe und vor allem den Charakter des Lord Voldemort. Neue Facetten kann er dem Franchise leider nicht hinzufügen, dazu traut er sich einfach zu wenig. Wer aber nochmal in alten Erinnerungen schwelgen möchte und die Reihe Revue passieren lassen will, dem sei der Film wärmstens empfohlen, und selbst wenn er Euch nicht gefallen sollte, wäre er mit seinen 52 Minuten Laufzeit letztendlich nicht viel verlorene Zeit. Und Respekt hat das Projekt allemal verdient.

Ansehen könnt Ihr Euch Origins of the Heir kostenlos auf YouTube.