„Die Haltung des Nein macht uns autonom: Wer in einer Kultur des Überangebots, der ewigen Ablenkung und der Selbsttäuschung ein selbst bestimmtes Leben führen will, muss viel öfter „Nein“ als „Ja“ sagen. Mit anderen Worten: „Ich möchte lieber nicht“.“
Dies behauptet die deutsche Journalistin und Politologin Juliane Marie Schreiber in ihrem gleichnamigen Buch „Ich möchte lieber nicht.“
Es bildet eine Opposition zur sog. „Ideologie des Positiven“. Schreiber meint damit eine dauerhaft positive Einstellung, die stets aufrecht erhalten werden muss. Gerade in den Zeiten einer Pandemie, eines Krieges, die die Menschheit extrem belasten, ist es natürlich wichtig, sich auch auf schöne Dinge zu konzentrieren, um daraus Hoffnung zu schöpfen. Dennoch sollte auch jeder Mensch das Recht haben, seiner Trauer oder schlechten Laune freien Lauf zu lassen. Eben ganz nach dem Motto „not only good vibes“.
Der Aufruf zum „positiven Denken“ ist allgegenwärtig. Egal ob in den Supermärkten, Kleidungsgeschäften oder auf Social Media Plattformen wie Instagram wird man mit Sprüchen wie „good vibes only“, „positivity is a choice“ oder „focus on the good“ konfrontiert. Wichtig ist dabei aber, Negatives nicht einfach schön zu reden. Sinnvoller ist es, darauf aufmerksam zu machen, um etwas zu verändern. Die Grundlage der Demokratie sind doch die mündigen Bürger, die für sich selbst einstehen, Missstände ansprechen, sodass diese beseitigt werden können.
Schreibers Buch ist also kein Aufruf dazu, sich vom Positiven abzuwenden und ausschließlich schlecht gelaunt durchs Leben zu gehen. Es zeigt vielmehr, dass der ausschließliche Fokus auf das Schöne zu einer Verdrängung der negativen Erfahrungen führt. Das Individuum unterdrückt seine Sorgen und wird damit alleine gelassen. Dies hat zum Einen enorme Auswirkungen auf die Psyche des Einzelnen und zum Anderen bleiben Probleme, die nicht angesprochen werden, weiterhin bestehen. „Denn die Welt wurde nicht von den Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen“, stellt Schreiber überzeugend fest.
Die Autorin spricht in „Ich möchte lieber nicht“ zudem über die Entstehung der positiven Psychologie von Martin Seeligmann und ihre Folgen. Zudem gibt sie immer wieder private Einblicke. Ihr Schreibstil ist dabei leicht verständlich, witzig und wirklich gut recherchiert. Vor allem ist das Buch aber eines: Ehrlich.
Es zeigt, dass es in Ordnung ist, nicht zu funktionieren und eben nicht perfekt zu sein. Die Fassade des fröhlichen und starken Menschen muss nicht immer aufrecht erhalten werden und jeder Mensch kann und sollte seine Stimme nutzen, um auf Fehler hinzuweisen. Doch wo wir schon beim Thema sind, den Fokus nicht nur auf das Positive zu lenken… Schreiber neigt an manchen Stellen zu Verallgemeinerungen und könnte bestimmte Situationen von verschiedenen Standpunkten aus umfangreicher beleuchten. Dennoch ist dieses Buch eine Empfehlung für alle, denen Aussagen wie „sei doch mal ein bisschen positiver“ oder „man kann alles schaffen, wenn man es auch will“ ein bisschen auf die Nerven gehen.