blank Onlinemagazin

Im Garten des Grauens – Filmkritik zu „Annihilation“

Diese Stille des Lebens hatte ganz und gar nichts Friedliches an sich. Es war die Stille einer unversöhnlichen Macht, die über einer unergründlichen Absicht brütete. Und sie blickte uns voller Feindseligkeit an.

– Joseph Conrad: Herz der Finsternis, 1902

Annihilation ist die Verfilmung des gleichnamigen Buches aus dem Jahre 2014. Regie führt Alex Garland, der sich bereits mit Ex Machina (2015) einen Namen unter Science-Fiction-Fans gemacht hat. Die Handlung ist auf den ersten Blick überschaubar, fast klassisch: durch den Einschlag eines Meteoriten verwandelt sich ein Sumpfgebiet in Nordamerika in eine seltsam schillernde Zone, die von nun an nicht mehr betreten werden darf. Fünf Forscherinnen, unter ihnen die Biologin und Ex-Soldatin Lena (Natalie Portmann) werden  losgeschickt, die Quelle des sich ausbreitenden Übels aufzusuchen und unschädlich zu machen.  Lena verrät ihren Mitstreiterinnen dabei nicht, dass sie die Ehefrau eines Elitesoldaten (Oscar Isaac) ist, der bereits vor ihr im Team die Zone untersuchte und als einziger schwerverletzt zurückkehrte, bevor er ins Koma fiel.

Das Subgenre des „Bio-Sci-Fi“, dem Annihilation zuzuordnen ist, spielt sich auf Ebene des Mikrokosmos, also in unserer DNA, und nicht in den Dimensionen von Zeitreisen und schwarzen Löchern ab.  Hier passieren  die Dinge langsam und schleichend. Und bekanntermaßen ist nichts furchteinflößender als das, was wir nicht sehen können.  Bald erfahren die fünf Frauen aus Annihilation dass sie als Menschen nur Zwerge im Riesenreich der Natur darstellen und deren Mechanismen schutzlos ausgeliefert sind. Sie sind nichts Besonderes.

So rührt dieser Film tiefste Urängste in uns, denn die Einzigartigkeit unserer Genetik macht uns zu dem,  was wir sind. Dieser Umstand macht Annihilation auch zu einem Horrorfilm, denn eine gängige Theorie des Horrorfilms besagt, dass dessen Schrecken durch jene Dinge entstehen, die die Gesellschaft aus sich verdrängt hat; es sind all die dunklen Triebe und Begierden, die in der Zivilisation keinen Platz finden und deshalb verschwinden mussten. Im Laufe des Horrorfilms wird diese Trennung aufgehoben und das Unheil nimmt seinen Lauf. Auf einer höheren Ebene ist es also eigentlich das Fremde, was uns verstört: es kommt durch das Eindringen unbekannter Mächte in vertraute Räume zustande. Das, was uns umgibt, nämlich die Natur, ist uns so vertraut, dass wir sie kaum noch wahrnehmen, und deswegen spielen sich die Katastrophen in ihr ab, aber nicht mit ihr. Die totalste Fremdheit käme also dann zustande, wenn man noch einen Schritt weiter geht und diese allerletzte Instanz  selber beginnen würde, sich zu verändern und sich in Prozessen verlöre, die wir nicht mehr verstehen.

Und was, bitteschön, ist uns vertrauter, als die eigene Haut, in der wir stecken?

Die düstere Macht der Natur, deren Manifestation der Wald ist, wurde im Laufe der Zeit häufig Thema künstlerischer Bearbeitung.  In den Werken der Schriftsteller Joseph Conrad oder Walter Moers (Ensel und Krete, 2000) finden sich bedrängte Charaktere in alptraumhaften Wäldern wieder,  die düsteren Vorgänge spiegeln, die in ihnen ablaufen. Totgeborene Rehkitze und Füchse, die sich selber verspeisen,  demonstrieren in Lars von Triers Antichrist (2006) die verdrängte Gnadenlosigkeit eines oft nur romantisierten „grünen Raumes“.

Im Film hat jede der Frauen hat andere Beweggründe, sich auf diese Mission zu bewegen, und bald erfahren wir, dass manche den Tod nicht fürchten und sich vielleicht sogar danach sehnen. So, wie ihnen jetzt ihre Umgebung fremd wird, ist ihnen zuvor das Leben fremd geworden. Die Natur ist hier kein Schutzraum mehr, sondern eine unbarmherzige Kreationsmaschine, die sich selber ungebremste Mutation, „sinnlose Kreuzung“ wie es im Film selber heißt, verordnet hat. Alles wächst um des Wachstums willen. Und alle genetischen Fremdkörper machen mit oder werden vernichtet.

So ist es auch kein Zufall, dass gängige Interpretationen des Films im „Schimmer“ und der Zone darin eine Metapher auf den Krebs oder die Depression lesen, Krankheitsbilder, in denen der Körper beginnt, sich selbst zu zerstören. Was aber für uns die Auslöschung bedeutet, ist für die Biologie nur ein weiterer ihrer unzählbaren Prozesse.

Was lässt sich sonst aber sicher über den Film sagen? Je tiefer seine Protagonistinnen in den Wald vordringen, desto atemloser wird seine Spannung. Seine optische Kraft speist sich aus zahlreichen filmischen Vorbildern wie Stanley Kubricks  2001 oder Zeitgenossen wie Avatar. Die Palette ist dabei raffiniert gemischt: durch den flirrenden Filter einer matten Sonne bekommt der Look des Films zu Beginn eine unglaubliche Künstlichkeit verliehen; er ähnelt den computergenerierten Studien eines Architekturbüros. Genial ist die Szene, in denen mutierte Springböcke synchron durch die grüne Hölle hüpfen und dabei in ihrer Anmut den Eindruck erwecken, man sähe die psychedelisch verdüsterte Variante eines Disney-Films. Wie in der Erzählung des Films kommt hier alles zusammen und verbindet sich zu neuen Bildern, die immer verstörend sind. Die karzinogenen Wucherungen der gestorbenen Körper erinnern stark an die organischen Absurditäten eines H.R. Giger (Alien, 1979) und die kristallenen Bäume zu Ende des Films, quasi die letzte Stufe der Mutation, leuchten wie die Installationen moderner Großstadtkünstler. Wenn man der Lesart  der Krebs-Metapher folgt, fügt dieser kleine Aspekt diesem Streifen zu all den Schrecken noch einen Schuss Ironie hinzu. Life imitates art.

 

Ansehen könnt ihr Euch Annihilation seit dem 24. Februar auf Netflix.

Die mobile Version verlassen