Nach 12 Stunden im Flugzeug und insgesamt 17 Stunden Reisezeit begrüßt mich ein sprechender Comic-Hund auf einer Reklametafel, der mir auf Japanisch vermitteln will, dass man keine Fleischwaren einführen darf. Das ist Tokyo, überall bunte Werbetafeln auf grauem Beton, die mit japanischen Schriftzeichen versuchen den Passanten von ihrem Inhalt zu überzeugen.
Es sind immer unfassbar viele Menschen auf der Straße, was bei ca. 39 Millionen Einwohnern auch kein Wunder ist. Bei so vielen Personen sollte eigentlich alles im Chaos versinken, doch in der größten Metropolenstadt der Welt folgt alles einer unglaublichen Ordnung. Auf der Rolltreppe wird links gestanden und rechts überholt, wagt man es sich auf die rechte Seite zu stellen und die allzeit gehetzten Japaner zu blockieren, wird man mit komischen Blicken gestraft. So läuft es überall. Man folgt dem Strom, hat auf der richtigen Straßenseite zu laufen und rempelt man jemanden an, wird sich tausendmal verbeugt und genauso oft „sumimasen“ gesagt, was so viel bedeutet wie „Entschuldigung“.
Für einen Europäer ist das alles etwas deprimierend, für die Japaner wohl auch, wenn man bedenkt, dass das Land bis heute eine der höchsten Selbstmordraten der Welt hat. Allerdings wird der Selbstmord in Japan ganz anders angesehen als in Europa. Im Christentum ist er ja, wie überall bekannt, eine Sünde. In Japan waren der Shintoismus und der Buddhismus vor der Säkularisierung lange Staatsreligion. Diese glauben daran, dass man nach seinem Tod wiedergeboren wird, allerdings erleidet man die Qualen aus dem vorherigen Leben erneut, weswegen der Selbstmord akzeptiert wird, allerdings trotzdem wenig Sinn macht.
Die Japaner sind nicht wirklich gläubig, in der Hinsicht ähneln sie Europa. Die Alten glauben noch daran und die jüngere Generation geht nur zu den hohen Feiertagen in die Tempel, wie z.B. an Neujahr.
An Neujahr oder kurz darauf in einen Tempel zu gehen, empfehle ich niemandem. Es ist unglaublich voll, denn die Japaner lassen sich dort für das neue Jahr Segnen. Wenn man denkt das sei eine schöne Zeremonie, irrt man sich, die Tempel sind überlaufen, man muss anstehen um überhaupt aufs Gelände zu kommen und alle die Imbissbuden und Polizisten, die durch Megaphone brüllen, nehmen jegliche Spiritualität, die man dabei vielleicht spüren könnte.
Nach so einem Erlebnis will man lieber raus aus der Stadt, gute Gelegenheit eine japanische Familie zu besuchen, die mich und meine Freundin eingeladen hat mit ihnen gemeinsam einen Tag zu verbringen.
Zwei Stunden von Tokyo entfernt wohnt die Familie Shimazaki. Hier ist es ganz anders als im Großstadtdschungel. Es gibt Bäume, Felder und Wiesen und in Deutschland fände ich das im Januar vielleicht eher unspektakulär. Es ist ja immer noch trist und dunkel, aber nach einer Woche in Tokyo ist das, wie Urlaub für meine Augen.
Die ganze Familie ist zusammengekommen und auch wenn ich sie nur mit Übersetzung von meiner Freundin verstehen kann, merke ich wie glücklich sie sind und die wahre Begeisterung über den weitgereisten Besuch. Es ist ein schönes Gefühl einmal wirkliche Freude und Wärme zu spüren und nicht die aufgesetzte Freundlichkeit, die ein Kellner einem zusammen mit seinem Kaffee entgegenbringt.
Die Shimazakis unterscheiden sich nicht von einer deutschen Familie, abgesehen von dem leckeren japanischen Essen, läuft alles genau so, wie bei einer Familie in Deutschland. Die Eltern kochen oder grillen, die Kinder müssen helfen und haben keine Lust. Es wird viel gegessen und alle unterhalten sich.
Nach dieser schönen Abwechslung geht es wieder nach Tokyo und wir machen einen großen Fehler und fahren zur Stoßzeit mit der U-Bahn.
Morgens und abends, trifft man in der U-Bahn, auf die schwarze Armee. Männer und Frauen, die in ihr Anzügen und Blusen in die Bahn steigen, um von ihren kleinen Häusern in die großen Bürogebäude zu marschieren, damit sie dort ihren Job antreten können.
Ein durchschnittlicher Japaner Arbeitet oft bis zu 12 Stunden am Tag. Schlafen am Arbeitsplatz ist erlaubt und ein Zeichen für Produktivität, denn wer seine Arbeit auch noch nach einem so langen Arbeitstag mit nach Hause nimmt, muss ja irgendwann schlafen.
Ich bin froh, dass wir endlich an unsere Heimathaltestelle „Matsubaradanshi“ angekommen sind, denn in den Stoßzeiten U-Bahn zu fahren ist eine Tortur.
Körperkontakt in der Öffentlichkeit ist verpönt, Küssen oder Händchenhalten sieht man auf japanischen Straßen nie, aber dafür hat man zu den Stoßzeiten viel zu viel Kontakt mit seinen Mitmenschen in der U-Bahn.
Tokyo ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert, doch wenn man mal nach Japan reist, empfehle ich etwas Geld in die Hand zu nehmen und nicht nur die Großstadt zu erkunden, denn Tokyo ist und bleibt eine Großstadt. Diese bietet zwar häufig und auch genug Kulturschock, doch wer einen kompletten Eindruck von Japan will, empfehle ich das ganze Land zu erkunden. Nicht nur die Touristenaktionen, wie Hiroshima und Nagasaki, sondern vielleicht auch mal einen Abstecher zu einem Pilgerweg zu machen, denn an solchen Plätzen spürt man wie es in Japan wirklich ist und kann hinter die Fassade des Betons und der Reklametafeln blicken.