„Jeder lügt so gut er kann – Alternativen für Wahrheitssucher“ Eindrücke einer Lesung

Es ist 45 Minuten nach Ladenschluss, die stöbernden und lesenden Kunden haben die Buchhandlung Rupprecht in der Passauer Innenstadt längst verlassen. Licht aus und Ruhe? Nicht heute – im hinteren Teil des Ladens sitzen rund 40 Personen auf Klappstühlen, ihr angeregtes Gemurmel erfüllt den Raum. Um 20.15 Uhr wird es langsam still als ein Mann mit schulterlangen Haaren, leicht ergrautem Bart und Hornbrille hereinkommt. Harald Martenstein ist ZEIT und Tagesspiegel Kolumnist und veröffentlichte im Oktober letzten Jahres seinen neusten Kolumnenband „Jeder lügt so gut er kann“. Heute Abend wird er aus seinem Buch den versammelten Zuhörern vorlesen.

Seit 2002 sind Marteinsteins Kolumnen in der ZEIT zu verfolgen, alle unter dem umfassenden Motto „Leben“. So vielschichtig wie der Begriff selbst, sind auch seine Glossen. Denn von witzigen Alltagsgeschichten und absurden Malheurs aus seinem Privatleben, über Sitten und Bräuche der Deutschen, bis hin zu politischer Satire und nachdenklichen Themen findet sich wahrscheinlich jeglicher denkbare Lebensbereich in seinen Kolumnen wieder. Der Titel seines neusten Bandes „Jeder lügt so gut er kann“ ist abgekupfert von Udo Jürgens. „Wenn ich nach Buchtiteln für meine Werke suche, schaue ich oft nach Songtiteln, die passen könnten“ erzählt er, noch bevor er den ersten seiner kurzen Texte dem Publikum Preis gibt.

In Udo Jürgens Lied heißt es: „Selten ist die Wahrheit schmeichelhaft, sie zu sagen erfordert Seelenkraft“. Und diese Seelenkraft hat Martenstein scheinbar. Denn so kurios die Geschichten seiner Kolumnen oft sind, keine davon, so betont er immer wieder, ist erfunden. Selbst nachdem er den Zuhörern seine Story zum Besten gibt, wie er sich während einer Tournee durch Bayern eines nachts in Unterhosen auf dem Hotelflur wiederfindet, deshalb im Wäschelager auf alten Handtüchern übernachtet und am nächsten Morgen nur spärlich bekleidet den Frühstückssaal durchqueren muss, bleibt er dabei: „Selbstverständlich ist das tatsächlich so passiert, das könnte ich gar nicht erfinden!“

Die meisten der Kolumnentexte, die Harald Martenstein an diesem Abend liest, sind humorvoll. Vom leisen Schmunzeln bis hin zum lauten Lacher findet sich im Publikum im Laufe der Lesung alles wieder. Doch eines ist sicher, der Großteil hat sich durchaus gut unterhalten gefühlt. Ein sehr zentrales Thema bei Martensteins Werken ist das Wesen der Deutschen. Es fallen des Öfteren Begriffe wie „Automobilbau“, „Will-Nackt-Sein-Kultur“ und „Berliner Flughafen“, die im Rahmen seiner gutverfassten und amüsanten Texte sicherlich hier und da dabei helfen können, den gar so unlustigen Alltag mal weniger ernst zu nehmen. Eine ideale Lektüre für zwischendurch meinten einige Zuschauer. Am Ende der Lesung standen einige Schlange, um sich ihren frisch erworbenen Band von Martenstein signieren zu lassen.

 

Warum nicht öfters mal eine Buchlesung?

Stimmen verleihen Charakter und das funktioniert auch mit Büchern. Wenn Autoren ihre Werke selbst verlesen, bekommen die niedergeschriebenen Worte eine ganz andere Wirkung. Je nach Betonung und Pausen steuert der Verlesende seine Texte, hebt das hervor, was ihm wichtig ist und kann durch seine Stimme Ironie, Sarkasmus und Wortwitz erst so richtig zur Geltung bringen. Eine Bücherlesung könnte man auch als Märchenstunde für Erwachsene bezeichnen. Gebannt lauschen die Zuhörer den Worten des Vorlesers und bekommen ein ganz persönliches Bild von den Autoren. Es lohnt sich also, mal eine Lesung zu besuchen und Literatur zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis werden zu lassen.

Wenn ihr nun Lust auf mehr bekommen habt, findet ihr hier einige Lesungen, die demnächst noch in Passau anstehen:

 

  • Freitag, 17. Mai 2019:

Passauer Literaturnacht

Die Besucher der ersten Literaturnacht in Passau am Freitag, 17. Mai 2019, können ab 18.00 Uhr an dreizehn ausgewählten Veranstaltungsorten in der Stadt verteilt, Literatur auf unterschiedlichste Art und Weise erleben. Bücher, Gedichte und Texte für jeden Geschmack werden gelesen, vorgetragen und inszeniert.

 

  • Mittwoch, 05. Juni. 2019

Astrid Jacob liest Gedichte von Mascha Kaléko

Die Schauspielerin und literarische Interpretin Astrid Jacob liest Texte der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko. Zu hören gibt es Lyrik aus dem Berlin der 30er Jahre.

Mi., 5. Juni 2019, 20:00 Uhr

Bücher Pustet, Nibelungenplatz 1

Eintritt: 10,- EUR / 7,- EUR

 

  • Freitag, 26. Juli. 2019

Christian Torkler liest aus „Der Platz an der Sonne“

„Der Autor Christian Torkler entwirft in seinem Roman „Der Platz an der Sonne“ eine Vision der europäischen Geschichte, in der der Kontinent in eine Ansammlung totalitärer Kleinstaaten zerfallen ist, in denen Korruption, Gewalt und Armut regieren. Von hier will der Held des Romans nur noch weg – fort in den reichen Süden, nach Afrika.

Fr., 26. Juli. 2019, 19:00 Uhr

St. Anna-Kapelle

Heiliggeistgasse 4

94032 Passau

Tickets ab 13,20,- EUR