In einer Zeit, in der die Kinolandschaft zunehmend von Superheldenfilmen überflutet wird, wirkt „Joker“ von Todd Philips wie ein düsterer Gegenentwurf dazu. Dabei stellte sich im Vorhinein die Frage, wie nötig ein Film war, der die Vorgeschichte einer Figur erzählt, dessen Vergangenheit bisher immer ein Mysterium war. Auch die Wahl des Regisseurs, der primär für die Hangover-Trilogie bekannt ist, brachte einiges an Kritik mit sich. So schien der Film schon vor dem eigentlichen Dreh zum Scheitern verurteilt, doch nun bekamen wir die vermutlich beste Comicverfilmung seit „The Dark Knight“.
Arthur Fleck lebt mit seiner Mutter in einem heruntergekommenen Stadtteil außerhalb von Gotham City, wo er als Clown für Geburtstage oder Kinderkrankenhäuser arbeitet. Schon früh zeichnet der Film ein Bild von einem Mann, der nicht recht in sein soziales Umfeld passt. In Comedy-Clubs lacht er während der Auftritte stets an den falschen Stellen und er selbst scheint, trotz angestrebter Stand-Up Comedy Karriere, keine Witze schreiben zu können. Aber auch außerhalb des Clubs wird er, falls seine Mitmenschen ihn beachten, wie ein Außenseiter behandelt. Dafür ist in erster Linie seine psychische Krankheit verantwortlich, die dafür sorgt, dass Arthur in den unpassendsten Situationen lachen muss. Das ist die Ausgangssituation und über zwei Stunden wird uns gezeigt, was einen eigentlich harmlosen Menschen zu einem der furchtbarsten Antagonisten der Filmgeschichte werden lässt.
Joaquin Phoenix spielt die Rolle fantastisch. Er lässt jede Entwicklung der Figur glaubhaft erscheinen und macht sich mit seiner Neuinterpretation den Joker zu eigen und präsentiert ihn, wie er noch nie zuvor gesehen wurde. Schon lange vor der Veröffentlichung von „Joker“ wurde spekuliert, ob er an die Darstellung des Jokers von Heath Ledger herankommen könnte. Dabei lassen sich Phoenix‘ und Ledgers Joker kaum miteinander vergleichen, was in erster Linie an den Vorgeschichten der beiden Interpretationen liegt. Die Vergangenheit des Jokers in „The Dark Knight“ sowie die Motivation für seine Taten bleibt ein Mysterium; „Joker“ legt diese offen. Der Protagonist wirkt berechenbarer, jedoch nicht weniger grausam und erinnert an eine Mischung aus Travis Bickle aus „Taxi Driver“ und Rupert Pupkin aus „The King of Comedy“ mit Clown Make-Up.
Diese Parallelen und Referenzen werden gezielt von Regisseur Todd Philips aufgebaut und lassen sich in „Joker“ immer wieder auffinden. Umso ironischer ist, dass Robert De Niro, der in den beiden Filmen den Protagonisten verkörperte, jetzt in „Joker“ mit einer solchen Figur erstmals konfrontiert wird. Trotz der teilweise „entliehenen“ Handlungselemente, wird der Film nicht in seiner Originalität und Genialität geschmälert.
Gerade wegen diesen Referenzen auf die kleineren, unbekannteren Filme des New Hollywood Kinos und dem Fakt, dass es hier nicht um die Zerstörung der Erde geht, wie in anderen Comicverfilmungen, sondern um den realitätsnahen Abstieg eines Mannes, wirkt „Joker“ eher wie ein Arthouse-, als ein Superhelden-Film. Zu keinem Zeitpunkt liegt der Schauwert bei einer CGI-Schlacht, sondern auf dem Spiel Phoenix‘ und der Stimmung des Films. Selten, besonders in den letzten Jahren, kam ein Film mit einer solch beklemmenden Stimmung in die Kinos. Daher hat man es hier, trotz massivem Erfolg am Box Office, primär mit einem künstlerischen als einem 0815-Mainstream-Film, trotz Blockbustercharakter, zu tun.
Der Erfolg von „Joker“ an den Kinokassen könnte daher eine Wende des Superheldenfilms einläuten, denn sämtliche Hollywoodproduzenten müssten jetzt erkennen, dass man mit kleinen, weniger kostspieligen, dafür aber künstlerischen und durchdachten Filmen, die den Fokus auf ihre Figuren legen, hohe Summen einfahren kann. Und davon würden sämtliche Kinogänger, die sich an der ermüdenden Marvel-Massenware sattgesehen haben, profitieren.
Denn „Joker“ stellt, wie die darin oftmals zitierte New Hollywood Bewegung, einen Gegenentwurf zu der populären Kinolandschaft dar, die wir, als Kinobesucher, die durch die Dekade des Marvel-Monopols scheinbar anspruchslos geworden sind, finanziell unterstützen. Damit ist „Joker“ ein Film, den wir durch diese Unterstützung nicht verdienen, aber ganz dringend brauchen.