„Momentune“ ist ein 23-jähriger Psytrance-DJ aus Berlin. In einem Interview erzählt er uns, wie er zu der Musik gekommen ist und wie sich seine musikalische Karriere über das letzte Jahr immens entwickelt hat. Auch die Corona-Krise und Prognosen für die Clubszene Berlins sind angesprochen worden.
Andreas oder „Andi“ Weiershaus, alias „Momentune“, wurde 1996 in Berlin geboren und hat sein ganzes Leben bisher dort gelebt. Als er noch ein Kind war, wollte ihn seine Mutter zur Musik bewegen. Sie kaufte ihm ein Keyboard und eine Flöte, doch Interesse und Spaß daran hatte er nie. Wie viele Jungs in seinem Alter war er eher sportlich unterwegs, spielte Fußball und Tennis.
Der Weg von EDM zu Psytrance
Einige Jahre später, als er in der Oberstufe war, hatte er seine erste Begegnung mit dem Auflegen. Ein Freund von ihm hatte einen kleinen Controller, den Andi cool fand und sich kurzerhand einen eigenen zulegte, um sich an elektronischer Musik zu üben. Beim Psytrance war er zu dem Zeitpunkt aber noch lange nicht angekommen. Er legte Main EDM, Big Room House und Progressive House auf, und dass auch bislang nur auf privaten Feiern wie beispielsweise seine eigenen Geburtstags-Partys oder die von Kollegen. Über einige Jahre hinweg hat sich aber auch das wieder verlaufen. Er verlor die Lust daran, sich weiter damit zu beschäftigen, bis er im Jahre 2018 den Musikstil Goa, also Psytrance und Progressive Trance kennen und lieben lernte. Er fing an das ein oder andere Lied zuhause zu hören und wollte dann unbedingt auch mal in einen Club, wo diese Musik lief. „Seit dem ersten Abend geh ich zu keiner anderen Musik mehr feiern“, erzählt er im Interview. Vorher war er nicht nur zu ganz anderer Musik feiern, sondern auch viel seltener. Wenn seine Freunde zu Hip Hop oder Deutschrap Partys wollten, ging er natürlich auch mal mit, seit er aber Goa hört, ist das Feiern zu einer Regelmäßigkeit geworden.
„Das Feiern zu Goa hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich dachte, du hast ja noch deinen Controller zuhause, probierst dus doch auch mal“
So hat Momentune dann im Dezember 2018 angefangen bei sich zuhause ein bisschen zu üben. Seine musikalische Karriere entwickelte sich dann im Handumdrehen: Sein allererster Gig in einem Club war letztes Jahr im März im Aseven Club in Berlin. Er nahm an einem Newcomer Voting teil, das der Club über Facebook gestartet hatte und hat darüber eine Playtime in dem Club gewonnen. Die Veranstalter waren mit ihm so zufrieden, dass er dann auch für darauffolgende Veranstaltungen gebucht wurde. Zwei Monate später hatte er seinen zweiten Auftritt, wieder einen Monat später den dritten, und dann kamen alle zwei, drei Wochen regelmäßig Bookings rein. Auf einmal war er einer von den Psytrance-DJs, für den die Gäste in den Club kommen.
Über die Zeit hinweg bekam er auch immer bessere Spielzeiten: die Zeiten, zu denen er „nur“ das Opening oder Closing spielen durfte und selbstverständlich viel weniger Besucher im Club waren, sind vorbei. Mittlerweile rückt er immer weiter in die Mitte des Abends und hat auch schon einige Male direkt vor dem Headliner spielen dürfen, wie zum Beispiel vor Omiki. Dass mittlerweile auch Besucher speziell in den Club gehen, um ihn zu sehen, und nicht einen der anderen DJs aus dem Lineup, kriegt der Veranstalter natürlich auch mit, so dass man Momentune eben immer öfter zur „Primetime“ zu sehen bekommt.
„Wenn ich auflege, bin ich in meinem Moment drin und versuche die Leute in meinen Moment mit reinzubringen.“
Unter dem Namen Momentune legt Andi erst seit einem Jahr auf. Letztes Jahr im Juni musste er seinen DJ-Namen ändern. Er hieß zuerst Inkognito, „aber den gab es blöderweise schon“, lacht er. Der „erste“ Inkognito hatte ihn irgendwann angeschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass er schon seit über 10 Jahren mit dem Namen unterwegs sei, ebenfalls im Norden Deutschlands und auch ab und zu mal in Berlin und bat ihn, wegen der Verwechslungsgefahr seinen Namen zu ändern. Dann musste sich Andi schnell was neues überlegen: „Wenn ich auflege, bin ich in meinem Moment drin und versuche die Leute in meinen Moment mit reinzubringen. Das versuche ich halt mit der Musik, also mit den Tunes rüberzubringen. Dann habe ich das beides verbunden und seitdem heiße ich Momentune“. Ein kurzer, verständlicher Name mit Wiedererkennungswert – und dazu noch eine witzige Hintergrundgeschichte.
„Wenn ich im Club gefragt werde, was ich denn hauptberuflich so mache und ich antworte, ich bin bei der Kripo, gucken mich alle immer total entgeistert an“
Hauptberuflich arbeitet Momentune bei der Polizei. Er ist ausgelernter Kriminalkomissar. Er erzählt lachend, dass er eigentlich immer Pilot werden wollte, ihm war aber recht schnell klar gewesen sei, dass daraus nichts wird. Nach dem Abitur hatte er dann dasselbe Problem wie viele Abiturienten: keine Ahnung was man machen möchte. Seine Schwester stellte ihm daraufhin einen Bekannten bei der Kriminalpolizei vor, mit dem er sich dann mal ein bisschen über seinen Beruf unterhalten hat und das, was er ihm so erzählte, fand er ganz interessant. Daraufhin absolvierte er ein dreijähriges, duales Studium und arbeitet jetzt im Landeskriminalamt Berlin.
‚Psytrance-DJ und Kriminalkommissar – wie soll das denn gehen?‘ Das wird er im Club oft gefragt, wenn er erzählt, was er im „normalen Leben“ so macht. Er sagt selber, die Reaktion der Partygäste sei oftmals wirklich witzig. Er ist aber der Meinung, wenn man Beruf und Privates trennen kann, ist das gar kein Problem. Schließlich muss man ja nicht immer alles bei der Arbeit erzählen, was man im Club gesehen hat, und die Arbeit nicht mit in den Club nehmen.
„Mein bedeutendster Auftritt war mein allererstes Mal im Mbia, weil ich auch dort erste Mal zu Goa dort feiern war“
Nicht mal ein dreiviertel Jahr, nachdem er das erste Mal im Mbia zu Goa feiern war, stand er in dem Club selbst hinterm DJ-Pult und durfte auflegen. Das hätte er sich nie träumen lassen, schwärmt er, das sei was ganz besonderes gewesen. Er hatte damals bei der Aftershow-Party vom Zug der Liebe dort aufgelegt.
Innerhalb eines Jahres hat er neben dem Mbia und dem Aseven auch schon im Polygon, im Void und in der „Magda“ (Magdalena Club) aufgelegt, welche auch so ziemlich die einzigen bekannten Anlaufstellen für Goa-Parties in Berlin sind. In der „Magda“ wird er auch regelmäßig gebucht werden, wenn die Corona-Krise vorbei ist und die Clubs wieder öffnen dürfen, erklärt er. Während der Corona-Zeit hatte er auch schon ein paar Livestreams für den Club gemacht.
Die Livestreams von dem Club, im Rahmen der „Goanautika“-Events, liefen im Gegensatz zu vielen anderen Streams ohne Spenden und auch ohne Gagen. Im Vordergrund stand immer, die Veranstaltungsreihe im Gedächtnis zu behalten und auch den DJs die Möglichkeit zu geben im Gespräch zu bleiben. An unserem Blank Heimfestival Wochenende hatten wir ebenfalls die Ehre, ihn am Sonntag als unser Closing in einem Livestream auflegen lassen zu dürfen. Er selbst sagt aber auch, dass er das nicht mehr zu oft machen wolle. Zum einen, weil die Sets ja auch im Internet gespeichert werden und irgendwann der „Überraschungsmoment“ mit den Tracks, die man spielt, einfach weg ist. Aus dem Grund habe er auch vor Corona kaum Sets hochgeladen. Zum anderen ist es einfach ein komisches Gefühl in einem Club zu stehen, in dem dann fünf, sechs Personen stehen um sich um den Stream kümmern, die Lichter sind an und man selbst muss dann vor der Webcam alleine Stimmung machen, ohne jegliches Feedback der Crowd: „Als DJ ist die Crowd das Wichtigste, dass man die Crowd mitnimmt, bei denen irgendwas auslöst, wenn du aber kein Feedback hast, weißt du nicht, ob die Leute das zuhause gut finden oder nicht“.
„Ich kann mir aber gut vorstellen, dass nochmal ein paar Open Airs stattfinden werden“
Auch wenn der „normale“ Alltag nach und nach wieder zur Normalität zurückkehrt, gibt es für Clubs sowie für Großveranstaltungen aufgrund der Corona-Krise immer noch keine Angaben zur Öffnung beziehungsweise zur Aufhebung des Verbots. Auch wenn für Großveranstaltungen aktuell das Verbot nur bis Ende Oktober gilt, denkt wohl aktuell niemand daran, dieses Jahr noch auf ein großes Festival zu gehen. Momentune geht selbst davon aus, dass sich mindestens bis Oktober auch bezüglich der Cluböffnung nichts tun wird, obwohl die aktuelle Regelung das Schließen aller Kulturstätten nur bis Ende Juli vorsieht. In Berlin haben mittlerweile viele Clubs ihre Außenbereiche mit Tischen und Stühlen ausgestattet, um „Sit-ins“ zu veranstalten. DJs legen also auf, aber getanzt werden darf nicht. Das wird wohl den Sommer aber auch so bleiben.
Am vergangenen Wochenende legte Momentune beim „An der frischen Luft“ Festival auf, das seine Tickets nach Beschluss der Teilnehmerobergrenze für Veranstaltungen auf 1000 limitierte. Normalerweise hätte man schon mit zwei bis drei tausend Besuchern rechnen können. Trotzdem war dieser Auftritt Momentunes größter bisher! Er legte am Samstag schon als dritter auf. Das Festival hatte um 12 Uhr begonnen, nach einer kleinen Mittagspause aufgrund von Anwohnerbeschwerden legte Momentune dann um 16:30 Uhr auf. Diese Playtime wirkt im ersten Moment vielleicht nicht wie die attraktivste, aber in Anbetracht der aktuellen Situation war davon auszugehen, dass sich die Menschen keine Minute der kurzen Feierzeit nehmen lassen würden. Außerdem war Andi selbst froh, nach seinem Auftritt endlich mal wieder selber feiern zu können. Bei bestem Sommerwetter war das Open Air natürlich ein großer Erfolg.
„Ich sehe das wie einen Bonus, mit meinem Hobby auch noch Geld zu verdienen“
Momentune legt nicht auf, um großes Geld zu machen. Seine Künstler-Gagen rechnet er auch nie fest in sein monatliches Budget mit ein, er sieht sie einfach wie ein „Zusatz-Verdienst“. Das Geld, das er durch seine Auftritte verdient, investiert er oftmals in neue Tracks und neues Equipment. Er legt auf, weil es im viel Spaß macht.
Dementsprechend haben ihn die Ausfälle aufgrund der Corona-Krise glücklicherweise auch gar nicht getroffen. Allerdings bleibt die Angst, dass viele Berliner Clubs, auch die, in denen er unterwegs ist, die Krise nicht überstehen werden, gerade weil es vom Senat und vom Staat so wenig Fördergelder gegeben hat. Schließlich haben auch Clubs laufende Kosten, ob sie geöffnet sind oder nicht. Andi findet es einfach nur schade zu sehen, in wie viele Branchen der Staat Geld pumpt, während der Kultursektor „verwahrlost“. Auch an Clubs und anderen Kulturstätten hängen etliche Existenzen, tausende von Menschen haben seit Monaten keinen Job und kein Einkommen mehr. Außerdem müsse bedacht werden, erklärt Andi, dass das Ausgehen, das Besuchen von Clubs und anderen Kultur- und Freizeiteinrichtungen wie Theatern oder Opern auch die Lebensqualität eines jeden Einzelnen steigere: „Viele Menschen gehen fünf Tage die Woche arbeiten, um dann auch am Wochenende mal feiern gehen und den Kopf abschalten zu können“.
Im Verlauf der letzten Jahre hat man vor allem in Berlin gemerkt, dass der Politik an den Clubs nicht viel liegt: steigende Mieten, Investoren, die die Clubs aufkaufen wollen, befristete Pachtverträge, bei denen immer bis zum Schluss gehofft werden muss, dass diese verlängert werden.
Momentune wird schon bald wieder live zu sehen sein
Wer mal wieder Lust hat ordentlich feiern zu gehen und Momentune gerne mal live sehen möchte, hat schon nächstes Wochenende die Chance dazu: am Samstag legt Momentune auf dem ersten Goanautika Open Air in Berlin auf.
Wem es gerade wegen dem Klausurenstress nicht passt, der hat im August bei einem Umsonst & Draußen Festival erneut die Chance. Einige DJs aus Norddeutschland haben sich in einer Facebookgruppe zusammengetan, um in Ostfriesland ein gratis Festival auf die Beine zu stellen und den Leuten ein bisschen Musik schenken. „Ich find die Idee super, gerade in der jetzigen Zeit den Leuten mal wieder was zurückzugeben“, meint Andi. Das Event wird auch das erste, mehrtägige Festival sein, auf dem Momentune auflegt.