Das mediale Echo war groß, als Anfang vergangener Woche 26 Schutzsuchende Afghanen im Zuge der zweiten Sammelabschiebung in ihr Heimatland abgeschoben wurden. Wie nun bekannt wurde traf die Abschiebung auch den 23 Jahre alten Shamsullah „Shams“ Ahmadi aus Passau, der nach einem überlebten Bombenanschlag und der Ermordung seines Vaters durch die Taliban aus Afghanistan geflohen war und seit Jahren unter einem attestierten posttraumatischen Belastungssyndrom leidet. Seit vergangenem Mittwoch fehlt jede Spur des Abgeschobenen.
Shams Geschichte rückt die Praxis der Abschiebungen in ein immer wieder von Terror und Krieg heimgesuchtes Land in ein neues Licht und wirft zahlreiche Fragen auf. Nach der Ermordung seines Vaters durch die Taliban sieht auch er sich einer konstanten Bedrohung ausgesetzt. Der junge Polizeirekrut, dessen Mutter und Geschwister inzwischen in den Iran geflohen sind, überlebt nur knapp einen Bombenanschlag und trägt Verwundungen am ganzen Körper davon. Mit gerade einmal 16 Jahren beschließt er nach Deutschland zu fliehen.
Nach zwei Jahren der Flucht über den Iran und die Türkei kommt er 2011 schließlich in Passau an. Doch vor dem starken Flüchtlingszustrom im Jahr 2015 mangelt es an Unterstützung, die nötigen Strukturen zur intensiven Begleitung von Geflüchteten sind noch nicht vorhanden. So kommt es, dass Shams sowohl die Ermordung seines Vaters, als auch die eigenen Todesängste und Verletzungen durch den Bombenanschlag bei der Befragung durch das Bundesamt für Migration aus Scham nicht überzeugend genug darstellt. Wie viele andere weiß er aufgrund fehlender Beratung und Vorbereitung nicht, wie bedeutend diese Befragung für seine Zukunft ist. Als er schließlich den Klagetermin gegen die Ablehnung seines Asylantrags in Regensburg wahrnehmen möchte, steigt er in seiner orientierungslosen Situation in den falschen Zug.
Jahrelang leidet er unter Schmerzen und Schlaflosigkeit in Folge seiner Erlebnisse in Afghanistan. Erst im vergangenen Jahr öffnete er sich gegenüber dem „Freundeskreis Firmiangut“. Der ehrenamtliche Helferkreis für die Gemeinschaftsunterkunft Grubweg in Passau, in der der junge Mann wohnt, organisiert diverse Angebote für Asylbewerber und wurde über die vergangenen Monate zu einer tragenden Stütze. Über den Helferkreis bekommt Shams einen engen Kontakt zu Pfarrer K.P. Metzger, dem evangelischen Dekanatsbeauftragten für Passau.
Nach einer ersten Untersuchung im Sommer wird Shams ein Posttraumatisches Belastungssyndrom attestiert. Doch trotz der Gewissheit, nicht zurück in ein Land gehen zu können, dessen Alltag von Gewalt und Terror geprägt wird, befürchtet Shams auf Grund seines abgelehnten Asylantrags, möglicherweise zu einer Rückkehr gezwungen zu werden. Die Ausweglosigkeit seiner Situation und die Ungewissheit seiner Zukunft nimmt den jungen Mann stark mit. Im Schatten einer möglichen Abschiebung kommt es zu einer Retraumatisierung.
Schließlich begibt er sich im Dezember 2016 für mehrere Wochen in stationäre Behandlung. Anfang Dezember wird von seiner Anwältin ein Asyl-Folgeantrag auf Grund seiner Erkrankung gestellt. Erstmals scheint danach die Bewältigung seines Traumas im Bereich des Möglichen zu sein, gemeinsam mit seinen Betreuern plant Shams unter anderem den Besuch eines weiteren Deutschkurses.
Ohne Ankündigung steht am Morgen des 23. Januars dann die Polizei vor Shams Zimmer. Gemeinsam mit 25 anderen abgelehnten Asylbewerbern, darunter 18 aus Bayern, wird er im Verlauf des Tages nach Frankfurt gebracht. Dort muss er jene Maschine besteigen, die ihn zurück nach Kabul bringt. Es bleibt ihm nicht einmal die Zeit, all seine persönlichen Sachen mitzunehmen, den Großteil muss er zurücklassen. Sofort bittet Pfarrer Metzger darum, Shams im Polizeigewahrsam besuchen zu können. Er macht sich große Sorgen um den Zustand seines Schützlings, befürchtet eine Verstärkung des Traumas und möchte ihm in diesen Momenten seelsorgerisch zur Seite stehen. Doch seine Bitte wird mit der Begründung abgelehnt, ein solcher Besuch sei in jenen Situationen unüblich. Shams Anwältin versucht, die Abschiebung durch einen Eilantrag und, nach dessen Ablehnung, ein paar Stunden später noch durch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu verhindern. Doch auch diese wird abgelehnt, der junge traumatisierte Mann wird nach Kabul abgeschoben.
In einem ersten Anruf aus Kabul berichtete Shams Pfarrer Metzger verzweifelt, dass er vor Ort weder finanzielle Mittel, noch eine Unterkunft oder Ansprechpartner habe und seine gesamte Familie inzwischen in den Iran geflohen sei. Daraufhin vereinbart dieser mit ihm, Ansprechpartner in Kabul zu suchen, Unterstützung zu organisieren und dann wieder zu telefonieren. Beides steht mittlerweile vor Ort bereit, seit vergangenem Mittwoch fehlt jedoch jede Spur des sonst so zuverlässigen Afghanen. Sowohl sein Aufenthaltsort, als auch sein persönlicher Zustand sind ungewiss.
Pfarrer Metzger, der sich bereits seit dem Balkankonflikt in der Flüchtlingshilfe engagiert, geht diese Abschiebung besonders nah. Für die letzten Tage waren drei wichtige Termine zur Rehabilitation angesetzt, die in Folge der Abschiebung nicht mehr wahrgenommen werden konnten. Da die Heilung eines posttraumatischen Belastungssyndroms an jenem Ort, an dem das Trauma ausgelöst wurde, keine Aussicht auf Erfolg hat, muss davon ausgegangen werden, dass Shams‘ Trauma durch die Abschiebung weiter verstärkt wurde. Das ist besonders besorgniserregend, da man ihn seit mehreren Tagen trotz vereinbarten Telefonaten nicht mehr erreichen kann.
Shams gesundheitlicher Zustand war den Behörden durchaus bekannt, ihnen lagen zwei ärztliche Atteste vor. Warum wurde er trotzdem abgeschoben? Anscheinend genügen solche Atteste nicht den nötigen Anforderungen, ihre Glaubwürdigkeit wird in Zweifel gezogen. Nur ein umfassendes Gutachten sei letztlich überzeugend. Das jedoch, so Metzger, koste eine Menge Geld, Zeit und entsprechende Kontakte. Auf Nachfragen, wer die Abschiebung angeordnet habe, wurde Herr Metzger immer wieder auf eine nicht zu nennende Person des Innenministeriums verwiesen.
Die Abschiebung eines traumatisierten Geflüchteten, der Schutz in unserem Land sucht, bezeichnet der engagierte Pfarrer im Ruhestand als einen „Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren.“ Doch nicht nur die besonderen Umstände von Shams Abschiebung, sondern die Rückführung eines jeden Einzelnen in ein Land, in dem jedes Jahr Tausende Opfer von Krieg und Gewalt werden, sei zutiefst unmenschlich und widerspreche den christlichen Werten unseres Landes. „Gott steht auf der Seite der Geflüchteten“, bemerkt er und zieht Parallelen zum Ende der biblischen Weihnachtsgeschichte, als Josef im Traum ein Engel erscheint und sie vor der drohenden Gewalt des König Herodes nach Ägypten fliehen müssen. Mit tiefer Überzeugung beschreibt er jene christlichen Werte, die „sich manche Parteien sogar in den Namen schreiben, in der Praxis jedoch mit den Füßen treten, nur um Wählerstimmen am rechten Rand zu sammeln.“
Der Einstufung Afghanistans als sogenanntes „sicheres Herkunftsland“ widersprach bereits der im Dezember veröffentlichte Bericht des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen. Auch Jörg Armbruster, langjähriger ARD-Korrespondent im Nahen Osten, gab vergangene Woche bei einer Lesung in Passau an, Abschiebungen nach Afghanistan für „zutiefst problematisch“ zu halten. Die Bundesregierung will trotzdem an den Abschiebungen festhalten.
Der „Freundeskreis Firmiangut“ sammelt Spenden für den Fall, dass Shams wieder auftaucht. Falls dies nicht der Fall ist, kommt das Geld anderen Schutzsuchenden zugute.
Kontoinhaber: Katholische Pfarrkirchenstiftung
IBAN: DE07 7509 0300 0104 3335 86
BIC: GENODEF1M05
Stichwort: „Freundeskreis Firmiangut Nothilfe“
Diese Online Petition zu Shams Fall hat bereits über 40.000 Unterstützer gefunden.