Die Corona Zeit bringt trotz so einigen negativen Effekten aufgrund der zahlreichen Beschränkungen auch viel Positives mit sich – nämlich Zeit. Zeit, um beispielsweise endlich wieder zu einem guten alten Klassiker zu greifen. Auch in meinem Klassiker geht es um eine, was auch sonst, Liebesgeschichte. Jedoch ist diese Liebe keine klassische und auch das Ende dieser Beziehung ist überhaupt nicht das einer klassischen Liebesgeschichte.
„Der Große Gatsby“ – F. Scott Fitzgerald
„Der große Gatsby“ (im Original: „The Great Gatsby“) von F. Scott Fitzgerald ist vielen von euch sicherlich ein Begriff. Nicht zuletzt wegen des gleichnamigen Films mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle des Gatsby aus dem Jahr 2013. Die Geschichte spielt im New York der „Jazz Ära“, auch „die Goldenen Zwanziger“ genannt. Zu einer Zeit, als der „Amerikanische Traum“, also die Möglichkeit, dass jeder Traum in Amerika erfüllbar sei, für jeden nahezu greifbar war – auch für Jay Gatsby.
Nick Carraway ist nicht nur direkt involviert in die Geschichte, sondern agiert auch als Erzähler, der zu jeder Hauptfigur seine eigene Verbindung hat. Deshalb kann es an einigen Stellen kurzzeitig etwas unübersichtlich werden, denn oftmals schwelgt Nick in Erinnerungen, von denen der Leser bis dato noch gar nichts weiß. Er ist nämlich nicht nur Freund und Nachbar von Jay Gatsby, sondern Nicks Cousine zweiten Grades ist Daisy Buchanans Mutter. Daisys Ehemann, Tom Buchanan, kennt Nick noch aus College Tagen. Und somit ist das Chaos auch schon fast perfekt. Sie alle leben auf Longisland, einer Insel nicht weit von New York entfernt. Die Insel besteht aus zwei Buchten: West Egg und East Egg. In West Egg wohnen Leute des „neuen Geldes“, die also ihr Vermögen erst im Laufe der Zeit erarbeitet haben. In East Egg hingegen leben Leute des „alten Geldes“, also aus Familien stammend, deren Vermögen seit Jahrzehnten von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Hierzu gehört beispielsweise Tom Buchanan. Gatsby hingegen gehört eher der Sorte Mann an, die über Umwege an ihr Geld gekommen ist. Es ranken sich zahlreiche Mythen darum, wer Gatsby ist, woher er kommt und vor allem, wie er zu seinem Vermögen gekommen ist. Er selbst erzählt seinen Gästen, Geschäftspartnern und auch Daisy, dass er aus Oxford komme. Damit suggeriert er automatisch das Bild eines gebildeten und wohlhabenden Akademikers aus Oxford, England. Das ist allerdings nur zur Hälfte wahr, genauso wie sein Name Jay Gatsby auch nur zum Teil von seinem ursprünglichen Namen abstammt. Halb New York ist bei Gatsbys Partys zugegen und es gibt kaum eine vergleichbare, die pompöser und aufmerksamkeitserregender ist. Doch niemand kennt Gatsby und auch seine Gäste sind ihm zum Großteil fremd. Denn obwohl er mit seinen Partys Aufmerksamkeit erregen möchte, geht es ihm dabei nur um die Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Frau – Daisy. Dabei ist es auch kein Zufall, dass er sich das Haus gekauft hat, das direkt gegenüber von Daisys Haus steht. Gatsby und Daisy haben sich das letzte Mal vor über vier Jahren gesehen, als Daisy eine begehrte Achtzehnjährige und Gatsby ein armer Soldat war. Trotz der unterschiedlichen sozialen Schichten der beiden, schienen sie wie für einander gemacht. Doch dann haben sie sich vorerst aus den Augen verloren. Daisy entschied sich kurz nach Gatsbys Abschied dazu, Tom Buchanan zu heiraten.
„Es war ein so besonderes Lächeln, wie es einem vielleicht vier oder fünf Mal im Leben zuteilwerden mag, ein Lächeln, das einem für alle Ewigkeit Mut zusprach. Es nahm, so schien es wenigstens, für einen Moment die gesamte äußere Welt in Blick und konzentrierte sich dann mit unwiderstehlicher Voreingenommenheit ganz und gar auf einen selbst.“ – F. Scott Fitzgerald
Nicks Beschreibung nach zu urteilen ist der heutige Gatsby ein Mann, wie er sprichwörtlich im Buche steht: gebildet, eloquent, gutaussehend, wohlhabend und im Begriff, seinem Gegenüber das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein. Diese Wirkung übt er auch auf Nick Carraway aus. Obwohl Nick zuerst nur das nützliche Bindeglied zwischen Daisy und ihm zu sein scheint, entwickelt sich zwischen Gatsby und ihm im Laufe des Buches eine tiefe Freundschaft. Diese ist geprägt von Loyalität und Vertrauen. Denn Nick scheint Gatsbys einziger Freund zu sein, der ihn bis zum Schluss nicht aufgibt.
Auch Gatsby hat Daisy nie aufgegeben und als Nick endlich ein Treffen der beiden organisieren kann, scheint Gatsbys Plan aufzugehen. Gatsby hat sich in den letzten Jahren zu dem Mann gewandelt, der zu Daisys Lebensgewohnheiten passt, weshalb ihrer Liebe nichts mehr im Weg stehen sollte. Doch obwohl Daisy Gatsby liebt, liebt sie auch ihren Mann Tom. Ein Mann, der, obwohl er sie betrügt, der Vater ihrer gemeinsamen Tochter ist, mit dem sie gemeinsame Erinnerungen geschaffen hat und der in der Gesellschaft New Yorks sehr angesehen ist. Gatsby allerdings kann nicht nachvollziehen, wie Daisy beide Männer, Tom und ihn, lieben kann, wo er all die Jahre nur sie geliebt hat. Tom kann ihr zwar finanzielle Sicherheit und gesellschaftliches Ansehen bieten, jedoch gibt Gatsby ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Vielleicht, weil er selbst ein sehr besonderer Mensch ist. Nick erwähnt oft die außergewöhnliche Ausstrahlung, die Gatsby umgibt und die ihn unnahbar und mysteriös, gleichzeitig aber auch liebenswert und einzigartig wirken lässt. Nick kann außerdem bestätigen, dass er ein Mann ist, der alles für die Menschen macht, die ihm wichtig sind. Dafür ist er sogar bereit, sich selbst aufzugeben. Daisy steht also zwischen zwei Stühlen: entscheidet sie sich für Tom und damit auch für eine gewisse Sicherheit? Oder doch eher für Gatsby, der aufopferungsfähig ist und voller Überraschungen steckt?
„Der große Gatsby“ erzählt eine Liebesgeschichte, die zeigt, dass manchmal Liebe allein nicht ausreicht und dass alles für manche Menschen immer noch nicht genug ist. Obwohl Gatsby alles in seiner Macht stehende getan hat, um Daisy das Leben bieten zu können, das sie aus Kindertagen kannte, kann er im Vergleich zu Tom keinen reichen Familienstammbaum und auch keinen hohen gesellschaftlichen Stellenwert aufweisen. Gerade damals waren Geld und gesellschaftliches Ansehen allerdings ausschlaggebende Attribute, die entscheidend dafür waren, in wen sich die Leute verliebten. Auch heute sind diese Kriterien für den ein oder anderen ausschlaggebend bei der Wahl des Partners. Daisy hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Ob sich Daisy letztlich für die wahre Liebe oder doch für die sichere Alternative entschieden hat, könnt ihr selbst herausfinden.
Wer jetzt neugierig geworden ist und mehr über die Charaktere und das Ende des Buches herausfinden möchte, der findet das Buch sowohl auf englischer als auch auf deutscher Sprache. Auch wenn die Sprache auf Englisch teilweise etwas schwierig zu verstehen ist, macht es trotzdem Spaß, den originalen Wortlaut des Autors erleben zu können und mit der Zeit gewöhnt man sich auch an die etwas andere Ausdrucksweise. Für alle, die sich lieber den Film mit Leonardo di Caprio anschauen wollen, ist auch hier einiges geboten. Er gibt dem Zuschauer einen guten Einblick darin, wie das Leben im damaligen New York verlaufen ist. Auch wenn es einige Zeit braucht, um in die Geschichte einzutauchen, umso begeisterter ist man dann, wenn man den Zugang zu ihr gefunden hat. Jeder Charakter ist eine Persönlichkeit für sich und obwohl „Der Große Gatsby“ in den 1920er Jahren spielt, ist die Quintessenz der Geschichte auch auf unsere heutige Gesellschaft sehr gut zu projizieren. Nämlich, dass die Liebe nicht immer alle Hindernisse überwinden kann. Oftmals sind die Menschen unserer Gesellschaft egoistisch und gefangen in den Erwartungen, die ihnen von außen aufoktroyiert werden. Dieser Einfluss ist teilweise so stark, dass er uns zu einer Entscheidung zwingt, die wir ansonsten nicht getroffen hätten. Es ist ein Klassiker, der mich immer wieder zum Nachdenken bringt und zu dem ich alle Jahre wieder greife.
Text und Bilder: Sarah Koschinski