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Lootboxen, Lügen und Lichtblicke – Gaming 2017

Offensichtliche Profitgier, bezahlte Betatests und ein nie dagewesener Aufschrei der genervten Kundschaft – mit Ruhm bekleckert hat sich die Videospielindustrie 2017 beim besten Willen nicht. Ein Rückblick auf die schlimmsten Fails, die geldhungrigsten Games und auf neue Hoffnungsträger.

Wenn ich mich aus dem nasskalten Sauwetter eines durchschnittschlichen Passauer Wintersemesters zurückziehe, um in virtuellen Welten vor meinen studentischen Verpflichtungen wegzulaufen, habe ich durchaus meine Ansprüche. Schließlich will ich meine Zukunft nicht einfach irgendwie verspielen, sondern qualitativ hochwertig! Blicke ich zu diesem Zweck jedoch auf die Releaseliste des vergangenen Jahres zurück, kommt mir bei so einigen Titeln der kalte Kaffee hoch – hauptsächlich aber erst in der zweiten Jahreshälfte.

Eingeläutet wurde das Jahr – vor allem für Rollenspielfans – nämlich durchaus vielversprechend:

Cat Content

Nioh ist ein sehr kompetent gemachter Action-RPG-Mix aus Diablo, Ninja Gaiden und Dark Souls. Also wie Zuckerbrot und Peitsche (Peitsche überwiegt). Soll heißen: In großen, frei begehbaren Levels stellt ihr euch mit dem reflexbasierten Kampfsystem Banditen, Samurai und Monstern aus der japanischen und buddhistischen Mythologie in beinharten Duellen und sammelt hinterher massenhaft Beute ein.

Zwischendurch erledigt ihr beeindruckend inszenierte Bossgegner, lernt über das Japan des 17. Jahrhunderts und lacht über den erfahrenen Ninja-Sensei, der euch seine Hilfe anbietet und während des Dialogs mit ernster Miene plötzlich eine flauschige Katze aus seiner Tasche zieht. Durch und durch japanisch und für Fans des Szenarios und Dark Souls-Veteranen absolut empfehlenswert!

Eine Woche nach Nioh schickte Ubisoft (seit Assassin´s Creed vor allem bekannt für Open-World-Sammelorgien, in denen man auf Türme klettert und die daraufhin auf der Weltkarte erscheinenden Markierungen abklappert) mit For Honor einen wahrgewordenen Nerd-Traum ins Rennen: Wikinger, Ritter und Samurai geben sich in brutalen Nahkämpfen ordentlich auf die Mütze. Genau wie Nioh mit komplexem Kampfsystem, das erst nach langem Üben seine Finessen entfaltet – im Gegensatz zu Nioh leider insgesamt ziemlich bescheiden.

Es war nie unsere Absicht, euch nur um 70€ zu erleichtern.

For Honor war zu Beginn eine Shitshow, die ihresgleichen suchte: das komplexe Kampfsystem wurde dadurch ausgehebelt, dass man den Gegner auch einfach von einer hohen Kante schubsen konnte, Charaktere waren schlecht ausbalanciert, Verbindungsfehler in jeder zweiten Runde und wenn die Server mal nicht zusammenbrachen, liefen sie ungefähr so gut wie eduroam in einem vollen Hörsaal. Mit einem Patch kurz nach Release verschwand auf mysteriöse Weise der Playercount aus dem Spiel – aber ganz sicher nicht um die rapide sinkende Nutzerzahl zu vertuschen, das würde Ubisoft nicht machen. Und dass die (auch mit Echtgeld kaufbare) InGame-Währung extrem spärlich verteilt wurde, soll dem Spieler bestimmt nur das Gefühl vermitteln, sich mit harter Arbeit etwas wirklich Seltenes verdient zu haben…was? Es dauert mehrere Jahre, für die Basishelden sämtliche Basisausrüstung freizuschalten? Oder ich bezahle über 700$ dafür? In einem 70€-Spiel?

„We never had an intention for you to unlock everything in the game.“Damien Kieken, Ubisoft Montreal

Aha.

Fairerweise muss man sagen, dass die Entwickler trotz Massenflucht der Playerbase und einigen enormen Shitstorms, zum Beispiel nach Aussagen wie der vorherigen, dem Spiel treugeblieben sind und bis heute daran schrauben. Man hat also nicht den  Francesco Schettino abgezogen und ist wenigstens mit dem sinkenden Schiff ersoffen. Alle weiteren Ubisoft-Blockbuster 2017 waren übrigens wieder Open-World-Spiele von der Stange, schneller und uninspirierter zusammengeschustert, als irgendjemand „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ sagen konnte.

Mein Vater ist tot. *grins*

Im März startete jedermanns Lieblingspublisher Electronic Arts seinen beispiellosen Siegeszug in die Herzen des Gamervolks mit dem Grimassen-Simulator 2017, Mass Effect Andromeda. Als Teilnehmer der Andromeda-Initiative sollt ihr ferne Welten erkunden und neue Lebensräume für die Menschheit finden. Dabei erledigt ihr Unmengen langweiliger „Sammle das, töte dies“-Quests, lauscht einschläfernden Dialogen und versucht das Spiel inmitten der ganzen Gesichtsentgleisungen noch irgendwie ernst zu nehmen – wem zumindest das Kampfsystem gefällt, der stürzt sich in den draufgeklatschten Multiplayer und kauft am besten jede Menge „Andromeda-Points“, damit Entwickler BioWare nicht wie die Kollegen von Visceral (Dead Space, Dante´s Inferno) und viele andere von EA dichtgemacht wird! Dass zumindest die Gesichtsanimationen per Patch nachträglich verbessert wurden, hat das Spiel leider nicht vor der Resterampe gerettet, wo es mittlerweile für knapp 20€ zu finden ist. Weitere Updates oder Erweiterungen wird’s nicht geben. Ups.

Während Electronic Arts lustige Gesichter geradebügelt, spuckt die Activision-Recyclingfabrik zwei Shooter aus, die ihren Vorgängern gleichen wie ein Ei dem anderen: Call of Duty: WW2 bietet das gewohnte Gameplay und erfüllt zumindest die von Fans oft gestellte Forderung, auf Laser und Jetpacks zu verzichten – zuvor hatte man diverse Zukunftsszenarien dermaßen durchgenudelt, dass man jetzt den verzweifelten Spielern sogar den fucking Zweiten Weltkrieg als innovatives Setting für einen Shooter verkaufen konnte. Am hart umkämpften Strand der Normandie landen hier nicht nur die Alliierten, sondern auch die Lootboxen (Zufallsbasierte Belohnungskisten, die meistens Schrott enthalten), welche ihr euch entweder mühsam erspielt oder mit Geld kauft. Authentisches Erlebnis!

Unterdessen ballern sich Science-Fiction-Fans durch Destiny 2 und fragen sich nach anfänglicher Begeisterung über die tatsächlich vorhandene Story (!), ob es denn eine knapp siebenstündige Kampagne voller platter Charaktere und peinlicher Dialoge wert war, sämtliche Fortschritte aus dem ersten Teil wieder über den Haufen zu werfen – nicht nur eure Ausrüstung verliert ihr, sondern auch einen Großteil der im Vorgänger für insgesamt knapp 110€ durch Addons hinzugefügten Features. Zwar sind Grafik und Musikuntermalung wieder fantastisch, das tröstet jedoch nicht über das Gefühl hinweg, nach all den Updates und Verbesserungen wieder ungefähr das Niveau des ersten Destiny zu Release „erreicht“ zu haben. Und dieses Niveau liegt ziemlich weit unten.

Mampf der Giganten

Derweil liefern sich die beiden Könige des Franchise-Melkens eine Schlammschlacht, wer den treuen Fans effektiver die Moneten aus der Tasche ziehen kann:

In der einen Ecke hätten wir Mittelerde: Schatten des Krieges, den Nachfolger zu (dem bei Fans und Kritikern durchaus beliebten) Mordors Schatten! Mit genialen Features wie: den komplett gleichen Animationen wie im drei Jahre alten Vorgänger! Einem InGame-Shop, in dem ihr durch Lootboxen zufällige Ork-Mitstreiter erlangen könnt (was ihr auch machen müsst, außer ihr wollt stundenlang grinden, um das Ende des Spiels zu sehen)! Mikrotransaktionen in einem Singleplayer-Vollpreisspiel!

Auf der anderen Seite führt Star Wars Battlefront 2 das Motto des Vorgängers „Weniger fürs Geld!“ mit seiner vier Stunden langen Kampagne und einem Multiplayer, dessen Fortschrittssystem komplett auf zufälligen Upgrades (natürlich per Lootbox) basiert, ruhmreich fort. So ruhmreich, dass Electronic Arts nach monumentalem Kundenprotest und einer Nachfrage von Markeninhaber Disney, was man da bitteschön mit der Star Wars-Lizenz veranstaltet, kurzerhand den Echtgeldshop aus dem Spiel entfernte und sich jetzt mit einem Glücksspiel-Untersuchungsausschuss in mehreren Ländern konfrontiert sieht. Ja, richtig gelesen. EA hat es mit der Geldgier dermaßen übertrieben, dass nun Behörden unter anderem in Australien, Belgien, den Niederlanden und auf Hawaii untersuchen, ob kaufbare Zufallskisten in Videospielen wie digitale Casinos reglementiert werden sollten. Fail des Jahres! Außer das Battlefront 2-Fiasko führt in Zukunft zu einem Umdenken in der Industrie, vielleicht nicht mehr ganz so aggressiv geldgeil zu sein. In diesem unwahrscheinlichen Fall: Danke, EA. Und mein Beileid an alle Star Wars-Fans. Immerhin ist der neue Film gut…oder?

Aus- und Lichtblicke

Fazit: die großen Drei (Ubisoft, Activision und EA) haben ziemlich Mist gebaut. Trotzdem hat es sich auch im Jahr des Herrn 2017 gelohnt, ein Gamer zu sein. Denn während sich riesige Blockbuster-Produktionen zum Großteil als bestenfalls ideenlos, schlechtestenfalls als hingerotzte Abzocke entpuppten, erfreuen sich Titel wie Horizon: Zero Dawn, The Legend of Zelda – Breath of the Wild, Resident Evil 7 und Playerunknowns Battlegrounds großer Beliebtheit und millionenfacher Verkäufe. In wenigen Tagen stehen mit Monster Hunter World, Dissidia Final Fantasy NT und dem No-Fantasy-Mittelalter-RPG Kingdom Come – Deliverance interessante, neue Titel in den Läden, das neue God of War wird im April 2018 erscheinen und ganz weit hinten am Horizont reitet uns Red Dead Redemption 2 entgegen (bitte, bitte ohne Lootboxen)!

Noch ist das Gaming nicht ganz durch den bösen Kapitalismus zerstört worden. Also nehmt die Alu-Hüte runter, steckt die Kisten wieder an und spielt mit schlechtem Gewissen, weil ihr eigentlich lernen solltet, bis tief in die Nacht. Und hier noch drei Meisterwerke, die ihr bis jetzt vielleicht verpasst habt:

Die hochoffiziellen Blank-Game of the Year Awards 2017!

Platz 3: Dark Souls 3 – The Ringed City

Nach dem eher enttäuschenden, weil kurzen Ashes of Ariandel kehrt FromSoftware pünktlich zum Ende der Dark Souls – Trilogie mit The Ringed City zur alten Topform zurück und zieht nochmal alle Register: riesige, verzweigte Gebiete, bockschwere Bossgegner, latent wahnsinnige Nebencharaktere und eine perfekt eingefangene Weltuntergangs-Atmosphäre machen diese Erweiterung zum Pflichtprogramm.

Ich zücke nebenbei den Zerbrochenen-Controller-Award für Darkeater Midir, den schwersten Boss der mir dieses Jahr begegnet ist!

Platz 2: Hellblade – Senuas Sacrifice

Die Macher von Heavenly Sword und DmC – Devil May Cry schicken euch als schizophrene Piktenkriegerin Senua in die nordische Hölle. In Zusammenarbeit mit Psychologen und Patienten entwickelt, entfaltet Hellblade seine bedrohliche Atmosphäre mit Halluzinationen, einer von Verlust und Hoffnung gekennzeichneten Geschichte und den Unmengen an Stimmen, die Senua (und somit euch) das gesamte Spiel über im Kopf herumschwirren. Neben einem starken Statement für die Darstellung psychischer Krankheiten in Videospielen steht Hellblade auch für ein ehrliches Entwicklerteam, das bei seinem Projekt reinen Tisch gemacht hat: hohe Produktionsqualität in einem  Spiel mit kleinerem Fokus, dafür auch nur zum halben Preis. Nichts von dem Bullshit, den große Publisher gerne von sich geben.

Für diese Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit gibt’s den Good Boy-Award und einen Schulterklopfer.

Platz 1: NieR Automata

Wo soll ich anfangen? Bei dem extrem flüssigen Gameplay, das mittendrin in perfekten Übergängen vom Hack and Slay zum Bullet-Hell-Shooter wird? Dem fantastischen Soundtrack, der sich ans Spielgeschehen anpasst, von ruhig über emotional bis episch die ganze Bandbreite abdeckt und trotzdem wie aus einem Guss wirkt? Der komplexen Story, die euch durch sämtliche Gefühlslagen zieht und Stoff für stundenlange YouTube-Analysevideos bietet? Der Tatsache, dass ihr in diesem knapp 60 Stunden langen Spiel nie wirklich wisst, was als nächstes passiert, weil wirklich alles passieren kann? Hätte mir jemand gesagt, dass dieses seltsame Japano-Spiel mit Riesenschwertern und leicht bekleideten Frauen ein derart mitreißendes Erlebnis werden würde, das mit seinen philosophischen Themen zum Nachdenken anregt und gleichzeitig auch als übertriebenes Actionspiel perfekt funktioniert, hätte ich es beim besten Willen nicht geglaubt. Hab ich auch nicht. Ich habe das Spiel ohne viel Vorwissen als Freund der absurden Action-Unterhaltung gekauft und wurde komplett umgehauen.

Für diesen Verdienst verleihe ich das goldene Riesen-Überraschungsei und den Einzug in die Liste der besten Games aller Zeiten!

Und jetzt bitte weiterspielen.

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