Erst vor kurzem haben sich die Blank-Redakteurinnen Kyra Iglesias und Sarah Koschinski mit der Pressefreiheit in Deutschland beschäftigt und Interviews mit Prof. Dr. Ralf Hohlfeld und Thomas Eckerl geführt. Nicht nur auf die Situation in Deutschland, sondern auch auf die anderer europäischer Länder wurde hier eingegangen. Beunruhigend empfindet Prof. Dr. Ralf Hohlfeld beispielsweise die gefährdete Pressefreiheit bei unseren direkten Nachbarn in Österreich:
„Sebastian Kurz macht sich nicht nur die drei Gewalten langsam untertan. Er versucht auch, getrieben von den sogenannten „Freiheitlichen“, die Unabhängigkeit der Presse und vor allem die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Schritt für Schritt einzuschränken. Das Mediensystem und viele Medienvertreter werden zunehmend unter Druck gesetzt, das macht mir Angst.“
Mit einem Blick auf das Ranking der Reporter ohne Grenzen, welche die Pressefreiheit in 180 Staaten analysieren und einstufen, sind diese Bedenken mehr als gerechtfertigt. Im Jahr 2018 wurde die Pressefreiheit in Österreich noch als gut eingeschätzt. Das Land befand sich auf Platz 11 und war somit Teil der „weißen Gruppe“. Innerhalb eines Jahres rutschte Österreich jedoch auf Platz 16, und im darauffolgenden Jahr 2020 sogar auf Platz 18, ab. Das Land befindet sich nun im gelben Bereich, das bedeutet die Pressefreiheit wird nur noch als zufriedenstellend bewertet.
Auslöser dieses Negativtrend war das von der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel veröffentlichte Video des Vizepräsidenten Heinz-Christian Strache der damals regierenden FPÖ-ÖVP-Koalition. Auf besagtem Video lassen sich Szenen eines Ibiza-Aufenthalts erkennen, bei welchem Strache einer vermeidlich russischen Oligarchin diverse Vorteile anbietet. Im Austausch solle sie die österreichische Zeitung Krone aufkaufen, wodurch die FPÖ direkte Kontrolle über die mediale Berichterstattung hätte. Die Krone ist zwar eine Boulevardzeitschrift, jedoch haben diese in Österreich eine nicht zu unterschätzende große Leserschaft und einen deutlich höheren Stellenwert, als es beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Dieser Skandal legte die Korruption Österreichs auf eine derart peinliche Art und Weise offen, dass der rechtspopulistischen FPÖ nichts anderes übrig blieb, als aus der Regierung auszutreten.
Die türkis-blaue Politik erwies sich jedoch auch schon vor der Ibiza-Affäre als problematisch, vor allem in Bezug auf die Medienfreiheit. Bundeskanzler Sebastian Kurz steuerte zusammen mit Strache einen, wie sie es nannten „neuen Stil“ an. Dieser „neue Stil“ setzte auf eine perfekte Harmonie zwischen den Koalitionspartnern und vermied Zerwürfnisse um jeden Preis. Strategieteams sorgten dafür, dass öffentliche Auftritte bis ins letzte Detail geplant und kontrolliert wurden. Das ging sogar so weit, dass die PR-Stäbe der Regierung fast doppelt so viele Mitarbeiter:innen, wie die größten Nachrichtenmagazine des Landes hatten, was zu einem großen Ungleichgewicht führte.
Diese sogenannte Message-Control-Strategie ist typisch für die Kurz-Regierung und steht vor allem seit der Coronakrise wieder stark in der Kritik. Unter anderem lässt sich der Umgang mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) als problematisch beschreiben, da dieser von der Regierung zeitweise, wie ein Staatssender genutzt wurde. Oft wurden nur Statements der Politiker:innen, jedoch keine anschließenden Fragen der Journalist:innen ausgestrahlt. Zudem ist die Auseinandersetzung der Medien mit der Coronapolitik, verglichen mit Deutschland, sehr viel weniger kritisch. Ein Grund dafür ist, dass die Medien in Österreich in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis mit der Politik stehen. Vor allem in Zeiten von Corona sind die Zeitungen stark von den Fördergeldern der Regierung abhängig. Die staatliche Presseförderung ist jedoch chronisch unterfinanziert, während die Ausgaben für Regierungsinserate stetig steigen. Allein im Jahr 2020 wurden 4,3 Millionen Euro pro Monat für Inserate ausgegeben. Die intransparente Verteilung dieser Inserate wurde unter anderem schon von der EU-Kommission kritisiert, denn es lässt sich nicht abstreiten, dass diese Regierungswerbung als eine versteckte Medienförderung fungiert. Hierbei werden eindeutig die Boulevardzeitschriften wie die Krone, Oe24 und Heute bevorzugt, die im Jahr 2020 ca. 39% des gesamten Werbeetats zugesprochen bekamen. Gleichzeitig steht seit mehreren Wochen eine Abschaffung der Pflichtinserate für die Wiener Zeitung im Raum. Dies würde das Ende der ältesten Tageszeitung der Welt bedeuten und die Meinungspluralität weiter einschränken.
Die Medien stehen jedoch nicht nur unter indirektem, finanziellen Druck, sondern werden auch vom Bundeskanzler selbst unmittelbar bedrängt. Beispielsweise wurde der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer, persönlich von Kurz angerufen, welcher sich über die negative Berichterstattung zu seiner Person empörte. Auslöser dieses Anrufs war ein Artikel über einen Besuch des Kanzlers außerhalb von Wiens zu Beginn der Coronakrise, bei dem es zu massiven Missachtungen der Coronaverordnungen kam. Chefredakteur Patterer veröffentlichte wenige Tage nach dem Anruf ein Statement, in dem er Kurz folgendermaßen beschrieb: „manisch darauf fixiert, wie er in den Medien ankommt, wie er wahrgenommen, abgelichtet und beurteilt wird“. Auch wenn man die in Österreich schon immer bestehende Nähe zwischen Medien und Politik in Betracht zieht, ist das Verhalten von Sebastian Kurz nicht angemessen für einen Bundeskanzler. Umso paradoxer ist es, dass gerade Kurz vor einigen Wochen den Freiheitspreis für Medien erhielt. Bei Lichte betrachtet war dies aber wohl eher ein PR-Coup als eine seriöse Preisvergabe.
Fazit ist: Die Einflussnahme der Politik auf die Medienlandschaft Österreichs sollte auch in Zukunft weiterhin kritisch beobachtet werden. Ob Sebastian Kurz das politische Wunderkind bleiben wird, für das ihn viele halten, wird sich mit der Zeit zeigen. In den kommenden Wochen muss er sich erst einmal vor Gericht behaupten, da er wegen diverser Falschaussagen in der Ibiza-Affäre angeklagt ist.
Quellen:
https://www.rog.at/press-freedom-index-2021/, https://www.rog.at/wp-content/uploads/2021/04/Index_2021.pdf, https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/medien/die-ibiza-affaere-in-der-podcast-serie-going-to-ibiza-e370761/?reduced=true, https://helsinki.at/podcast/50000