Mit hängenden Schultern und unbewegten Gesichtsausdruck schlurft Nico Semsrott am vergangenen Donnerstagabend auf die Bühne des Redoute Veranstaltungssaals in Passau. Die Kapuze seines dicken Pullovers hat er sich tief ins Gesicht gezogen, als wolle er sich vor den Zuschauern verstecken. Nico Semsrott tourt zurzeit mit seinem Programm „Freude ist nur ein Mangel an Information 3.0“ durch Deutschland. Als einziger Demotivationstrainer der Welt versteht er sich darauf, mit nur wenigen Sätzen ganze Weltbilder zu zerstören. Bei seinem Auftritt in Passau hat er einmal mehr bewiesen, dass er zu den allerbesten deutschen Kabarettisten und Comedy Slammern gehört. Der Satiriker, den man auch aus der heute-show kennt, ist nämlich nicht nur ungemein komisch, sondern auch ein gekonnter Gesellschaftskritiker.
Es gibt so viele Probleme in Deutschland, lamentiert er. Der Mangel an Pflegekräften, Sorgen um die Rentenversicherung, das Bienensterben. Wie nur sollen all diese Probleme gelöst werden? Der kreative Lösungsansatz der Regierung in Nordreinwestfalen lautet, ein Kopftuchverbot im Kindergarten einzuführen. Das sei doch mal ein Vorschlag, der uns allen ganz konkret im Alltag weiterhelfen könne, spöttelt Semsrott.
Auch zu vielen anderen politischen Themen bezieht der Kabarettist gekonnt Stellung. Dabei nimmt er von der CSU, über die SPD, bis hin zur AfD alle Parteien auseinander, die einfache Lösungen für komplexe Probleme fordern. Nico Semsrotts Unmut geht sogar so weit, dass er sich 2017 selbst als Berliner Spitzenkandidat der Satirepartei DIE PARTEI am Wahlkampf beteilig hat. In seinem ironischen Wahlspot auf YouTube spricht er die Nichtwähler an: „Wenn´s euch egal ist, wer im Bundestag sitzt, wäre es dann nicht schön, von jemandem vertreten zu werden, dem´s egal ist, dass er im Bundestag sitzt?“ Eine bestechende Logik.
In der zweiten Hälfte des Auftrittes lässt sich Nico Semsrott über furchtbar kitschige Hochzeiten, sein abgebrochenes Studium („ein Soziologiestudium ist nichts anderes als Depression mit Büchern“) und seine mangelhaften sozialen Kompetenzen aus. Indem er Widersprüche und Heucheleien des alltäglichen Lebens entlarvt, trifft Semsrott einen Nerv. Er spricht aus, was manch einer insgeheim denkt, aber aus Höflichkeit zurückhält. Wer wäre schon nicht in Versuchung, sofort das Gespräch abzubrechen, wenn sich herausstellt, dass das Gegenüber einem öden Job bei der Deutschen Bank nachgeht? Obwohl Nico Semsrott auch unbequeme Wahrheiten ausspricht und ständig politisiert, schafft er es immer unterhaltsam zu bleiben. Anders als viele anderer Slammer zeigt er sich nicht übertrieben gut gelaunt und aufgedreht, sondern glänzt mit seiner Ehrlichkeit und konsequenten Negativität.
Allerding muss er selbstkritisch feststellen, dass er in letzter Zeit während seinen Auftritten zu oft lacht. Das sei schlecht für sein Image. Man muss ihm Recht geben, schließlich ist er der Leiter eines Demotivationsseminares und nicht etwa des Passauer Uni- Seminares für Spirituelle Persönlichkeitsentwicklung. Darum hat er beschlossen für jeden Lacher fünf Euro an die verruchteste Organisation zu geben, die er sich vorstellen kann: die Junge Union. Die Organisation darf sich nach Nicos Auftritt in Passau auf eine Spende von über 200 Euro freuen.
Man merkt, dass der Comedian bei weitem nicht so deprimiert ist, wie er sich gibt. Zwischendurch kann er mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören und muss viel improvisieren, um sich durch das Programm zu retten. Doch dass seine Maske fällt, stört nicht weiter, sondern macht ihn sympathischer. Am Ende des Abends hat ihn das Publikum so sehr liebgewonnen, dass es ihn am liebsten gar nicht mehr gehen lassen will. Trotzdem stellt Nico Semsrott mit einem Augenzwinkern fest, dass er nie wieder nach Passau zurückkehren wird.