Gestern noch auf der Zugspitze, heute in Passau. Gerade noch im Hochgebirge, jetzt in den grünen Hügeln des bayrischen Waldes. Vom Land in die Stadt, von der Kühle in die Hitze. „Das Gestern war der höchste Punkt, heute kommt der Höhepunkt,“ sagt Robert, 26, und grinst. Er und seine Freundin Jule sind gerade auf Deutschlandtour und morgen geht’s schon weiter nach Dresden. Davor lernen sie Passau aber nochmal von seiner vielleicht besten Seite kennen, und der Grund, wieso die gebürtigen Braunschweiger heute hierher gekommen sind, heißt Samy Deluxe. Robert bezeichnet sich als Fan der ersten Stunde und erzählt gut gelaunt von seinen ersten Konzerten. Auf seiner Stirn bilden sich dabei feine Schweißperlen, ab und zu nimmt er einen Schluck aus seinem noch eisgekühlten Drink. Um viertel vor sechs am frühen Abend erreichen die Temperaturen auf dem Oberdeck unseres Bootes eine Höhe von achtundzwanzig Grad; eine weiße Kameradrohne dreht über uns einsame Runden in einem makellosen blauen Himmel.
Der Name Samy Deluxe Name fällt hier sehr oft. Logisch, denn Bootspartys sind immer cool, finden Kaya und Steffi, beide 21 Jahre alt und Studentinnen an der Universität Passau, aber dieser Rapper ist schließlich nicht irgendwer und bei dem immer größeren Angebot an Bootspartys, die mittlerweile sogar schon von Studenten selber organisiert werden („Beate U-Boot“), das entscheidende Kriterium auf genau diese Party zu gehen. Samy Deluxe ist einfach der shit, verkündet auch Jonas, ebenfalls 21, Student aus München, und Hip Hop eh das Beste. Seit Jahren nimmt die Quantität, und – gemessen an der Bekanntheit der geladenen Acts – auch die Qualität der Bootspartys stetig zu. Aus der einstigen Passauer Institution ist längst ein überregional bekanntes Event geworden, für das Menschen aus ganz Deutschland anreisen. Und eben auch Künstler. Samy Sorge, wie er bürgerlich heißt, dürfte aber vielleicht der Höhepunkt dieses Sommer sein, denn spätestens seit Moneycruise mit niemand geringerem als Sebastian Meisinger aka Moneyboy als Top Act abgesagt wurde, ist die Marke Deluxe definitiv außer Konkurrenz.
Die Erwartungen sind also hoch, als das Boot pünktlich um sechs ablegt. Bis zum eigentlichen Act wird man aber noch ein bisschen warten müssen, denn traditionell vertreiben uns erst die Nachwuchskünstler aus der Entourage des Meisters vor seinem Auftritt die Zeit, bis dieser zum Micro greift. Die Nachwuchs-Hiphoper treten im Vergleich zu dem für seine kreative Wandelbarkeit gerühmten Samy Deluxe eher konventionell auf: Amir aus München, mit Goldkettchen und zurückgegeelten Haaren, verkündet musizierend, er habe „‘ne große Fresse wie ein Pelikan“. In der kurzen Pause nach seiner vollmundigen Begrüßung bleibt die Stimmung eher verhalten. Dieser Hit floppt heute zu recht. Während der Show demonstriert er nebenbei die Wahrheit seiner Behauptung und fordert sein Publikum mit zusammengekniffenen Augen auf, dem netten Dörfchen, an dem wir soeben vorbeifahren, mal den Mittelfinger zu zeigen. Mag sein, dass Passauer Hip-Hop-Crowds einfach zu gut erzogen sind, mag sein, dass es daran liegt, dass der Dampfer, der in diesem Moment langsam an uns vorbeizieht, ausgerechnet Gottvertrauen heißt – niemand scheint so recht geneigt, diesen Plattitüden Folge zu leisten. Im Anschluss gewinnt er unsere Herzen aber wieder mit einer tiefsinnigen Ballade, die von nichts geringerem als den heißesten Frauen und dem weißesten Staub erzählt. Jay-Jay nach ihm schlägt in eine ähnliche Kerbe, aber der Funke mag bisher nicht so recht überspringen. Nach einer guten halben Stunde heißt es dann auch von ihm: „Danke, München – äh, Passau!“
Unser Boot hat bereits den Umkehrpunkt seiner Fahrt erreicht, als der Top Act gegen acht Uhr plötzlich und scheinbar wie aus dem Untergrund persönlich die Bühne ersteigt, im Rücken hat er die sinkende Sonne, vor sich mehrere hundert feierwütige Jünger und im Kopf seine zahlreichen Hits. Samy Deluxe steckt in massigen roten Stiefeln, sein Kopf verschwindet hinter Sonnenbrille und gestreifter Strickmütze, und das trotz der Hitze. So ist er eine durchaus eindrückliche Erscheinung. Höflich bittet er sein Publikum, bitte keine Bierflaschen in die Donau zu werfen, dann legt er los. Die nächste Zeit hat keiner Grund sich zu beschweren, Samy Deluxe liefert eine gute Show, er ist routiniert und charmant. „Wir freestylen jetzt einfach mal“, verkündet er zwischen Haus am Meer und Stumm lässig und liefert auch gleich, immer wieder haucht die Nebelwurfanlage lange dunkle Schwaden in die ihn anfeuernde, tanzende Menge und weiter über die Donau. Die Arme bewegen sich im Takt rauf und runter, als Samy Deluxe Poesiealbum performt, und spätestens hier singt eigentlich jeder mit, soweit er mit dem selbsternannten „Henker“ Schritt halten kann. Über den Fluss und die Hügel senkt sich die Nacht, nur auf dem Boot bleiben die Lichter an, rot, weiß, blau, die Musik und der Sommer sind in der Luft. Nach einer guten Stunde hört Samy Deluxe auch schon wieder auf – auch diesen Auftritt hat er abgewickelt. Im Backstagebereich kippt man den letzten Sekt. Wer sich hier mit dem Meister und seiner Entourage, den Voracts und dem Organisationsteam, vergnügen will, muss statt 35 Euro satte 140 hinlegen. Die letzte Stunde geht es ruhiger zu, zurück zu Passauer Gestaden, es liegt ein feiner Schleier auf der Bootsgesellschaft; ist es die Musik, die Nebelanlagen oder liegt es daran, dass mittlerweile alle höllisch dicht und müde sind? Im Rückblick unmöglich, das zu sagen. Glücklich schleppt man sich von Bord und hat wieder festen Boden unter den Füßen. Wer will, kann nach Hause gehen und sich schlafen legen, der Rest feiert im Institut oder sonst wo weiter. In Passau sind es der Möglichkeiten genug, und das war für heute wohl der Höhepunkt. Was für’n geiles Leben, rappte einst jemand.