„Mario Gomez ist ein Hurensohn!“ hallt es vom Sonnendeck. Der kleine Mann mit dem ordentlichen Scheitel und der noch ordentlicheren Schärpe über dem adretten, dunklen Anzug hat irgendwie das Mikrofon in die Hand bekommen. Mit ausgebreiteten Armen und weit geöffnetem Mund steht er am Bug des Bootes und grölt. Es ist fast zehn Uhr abends, das Budissa Riverboat wird in Kürze anlegen, große Teile der Passauer Altstadt lauschen dem Schmähgesang auf den Fußballprofi, vom Eliteboot.
Knapp vier Stunden vorher: Gemütlicher Fahrstuhljazz umhüllt die Anlegestelle an der Donau. Im warmen Licht der Junisonne haben sich hier dutzendweise Studenten mächtig in Schale geworfen. Viele bunte Abendkleider und moderne Anzüge, atemberaubend hohe Highheels, edle Anzugschuhe, Frisuren wie vom Hochzeitsfriseur. Es glitzert und funkelt überall.
Der Live-Saxophonist trägt ein mutiges Hemd mit Ananas-Muster. So darf er heute nicht aufs Boot. Angemessene Abendgarderobe fordert der Corps Budissa zu Leipzig von seinen Passagieren. Immerhin gab es ein Designer-Armband für alle Teilnehmer zur Karte dazu. Ein vollmundiges Willkommensgeschenk, das man gleichzeitig als Hinweis verstehen kann: 35 Euro kostet der Bootseintritt die Gäste, 30 Euro das Armband den Corps. Man scheint über das nötige Kleingeld zu verfügen.
Am Anleger wird noch schnell der letzte Begrüßungssekt heruntergespült, dann geht es im Gedränge der neuesten Sonnenbrillenkollektion aufs Boot. Es ist schon fast sechs Uhr, bald wird abgelegt.
An Bord bilden sich Grüppchen. Schnell sind alle Tische auf dem Oberdeck besetzt. Der Großteil steht. Wilde Gesprächsfetzen fliegen umher. „Ich hätte lieber Krebs als die Uhr“, erlauscht man von rechts „Konfirmationsanzug auf 12 Uhr“ wird ein anderer Partygast belächelt. Ansonsten viel Smalltalk. Ein leichter Ruck unterbricht das angespannte Getuschel: Das Boot hat abgelegt und nimmt auf der im Abendlicht glänzenden Donau langsam Fahrt auf. „Noch wilder, noch härter! Halt wie immer, nur schlimmer!“ So steht es in der Willkommensmail des Corps, so soll es werden, das Riverboat 2017.
Die Budissa-Jungs haben sich voller Stolz zwischen DJ und Boxen auf der Bühne aufgebaut und erinnern an Animateure auf einem überfüllten Kreuzfahrtschiff. „Das Boot ist voll!“grölt ihr Betrunkenster zur Begrüßung. Ihre blau-gelb-weißen Schärpen tragen die Verbindungsstudenten heute offen über dem Sakko. Manche haben ihre gelbe Corps-Mütze aufgesetzt. Dünne Narben zieren viele Gesichter. Relikte alter Fechtkämpfe der schlagenden Verbindung, Heldentaten für den gemeinsamen Zweck.
Für das ganze Boot sichtbar bewegen sie sich nun rhythmisch zur Musik und regen das noch etwas lustlose Publikum an, es ihnen gleichzutun. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Innstädter Corps vor allem sich selbst feiert. Schon werden auf der Bühne die ersten Selfies mit dem vollen Boot geschossen, begleitet von gekonntem Posen: Im Herzen ist er Rockstar, der Jurist.
Langsam senkt der Alkohol die Hemmschwelle und man setzt sich in Bewegung. Immer wieder wird man dabei grob angerempelt. Wer nach vorne will muss die Ellenbogen ausfahren, das weiß man hier. So fliegt der gute Geschmack gemeinsam mit sämtlichen halbvollen Drinks oder Champagner-Flaschen schnell über Bord. Unnötiger Ballast im regen Schaulaufen der Kleinstadt-Dekadenz. Sollen ihn doch die Fische haben oder die KuWis.
Aus dem Nirgendwo taucht plötzlich ein Jetski auf und begleitet das Boot eine Weile kreischend den Fluss hinauf. Sein Pilot triumphiert, richtet immer wieder obszöne Gesten gen Oberdeck. Er zeigt was er hat und stiehlt dem Corps damit eine Weile die Show.
Er nimmt es sogar sehr wörtlich: Vermutlich durch den Fahrtwind oder die schiere Beschleunigung seines Gefährts ist ihm die bunte Badehose weit nach unten verrutscht. Und während er noch das Boot umrundet bieten sich Einblicke, die seiner spritzigen Aktion einen faden Beigeschmack verleihen.
Interessant jedoch, dass der Partygast, der das inoffizielle Motto am gelungensten umsetzt, nicht einmal auf dem Boot ist.
Denn um nichts anderes geht es auf dieser frühelitären Zusammenkunft: Nirgendwo anders kann man sich genüsslich seine Zigarre anzünden ohne belächelt zu werden, nirgendwo anders kommt es gut an offensiv zu zeigen, dass man nicht auf das Becherpfand angewiesen ist und nirgendwo anders kann man seinen Kollegen präsentieren, was für ein verrückter Hund doch unter dem ordentlichen Scheitel steckt.
Es wird langsam dunkel. Neben dem DJ und den Corps-Studenten steht tapfer ein Sicherheitsmann. Die Arme stämmig verschränkt, an den Musikboxen. Er muss heute keinen Anzug tragen. Abwechselnd wird er von den bunten Scheinwerfern angeleuchtet und ändert seine Farbe. Mal ist er Hulk, mal Homer Simpson. Ein komisches Schauspiel, das Hulk aber nicht wahrnimmt, viel zu konzentriert beaufsichtigt er das Geschehen. Was er wohl von dieser Veranstaltung denkt?
Ein mutiger Verbindungsstudent schiebt seine gebundene Krawatte auf die Stirn. Seine Corpsbrüder johlen. Der DJ trägt T-Shirt und untermalt das Schauspiel mit unaufgeregtem Mainstream.
Der Sicherheitsmann ist kaum älter als die meisten Teilnehmer. Manchmal geht ein Lächeln über sein Gesicht. Rund 300 schick gemachte Gestalten, die zum großen Teil auf fremden Kosten Oberklasse spielen und Getränke im Wert seines Wochengehalts über die Reling schütten.
Da stockt sein Blick: Ein Partygast hat sich wohl danebenbenommen. Er eilt von der Bühne, nicht ohne eine Spur Genugtuung.
Das Riverboat nähert sich dem rettenden Ufer. Unter der Hängebrücke hindurch kann man die Anlegestelle sehen. Brav, aber etwas halbherzig, dankt der DJ den Corps-Matrosen und überlässt dann das Mikrofon einem von ihnen. Ein Fehler. Der Vorturner in Schärpe, dessen Kopf erst vor wenigen Sekunden aus dem Sangria-Eimer aufgetaucht ist, lässt seiner guten Laune freien Lauf.
Und schon beschallt seine Stimme Passaus Altstadt mit dem Erstbesten, das ihm einfällt. „Mario Gomez ist ein Hurensohn“ eben.
Nach Brecht lebt es sich sehr ungeniert als Corps-Mitglied, wobei man auch nicht wirklich an einem guten Ruf arbeitet. Merkwürdig aber, wie bei einer Veranstaltung, die den bösen Pöbel ausschließt dessen Verhalten bis in die Unverkennbarkeit nachgeahmt wird. Nur besser angezogen eben.
An der Kaimauer wartet ein kleines Empfangskomitee: Ein gutes Dutzend Studenten hat es sich mit Wein und Snacks unmittelbar vor dem Anleger gemütlich gemacht und beobachtet genüsslich den torkelnden Abgang der Bourgeoisie. Voller Häme sind ihre Gesichter, als wüssten sie, was sich auf dem Boot abgespielt hat.