„I swear I’m never gonna be brokenhearted, ever again.“ Eine Zeile, die sich nach naivem Wunschdenken, romantisiertem Tagträumen und einem unmöglichen Versprechen anhört. Eine Zeile, die aus dem Tagebuch eines verblendeten Teenagers stammen könnte, träumend von der großen, ewig anhaltenden Liebe. Doch diese Zeile entspringt nicht den Mündern eines frisch verliebten Pärchens, es ist eine Frau mittleren Alters, blond, kurze Haare, die ein glitzerndes, silbernes Kleid trägt und mantraartig beteuert, nie wieder ein gebrochenes Herz zu haben. Es ist Robyn, die es eigentlich besser wissen müsste.
Riesige, weiße Laken sind an den Rändern der Bühne aufgespannt und ineinander verschlungen, Säulen aus Stoff, die gen Himmel ragen. An der Decke laufen die Laken in geschwungener Form zusammen, die Bühne mutet einem überdimensional großem Himmelbett an, dessen leicht durchsichtiger Vorhang ätherisch über den Köpfen der Musiker schwebt. Der Keyboarder, der mit seinem roten Vollbart dem Idealbild eines Wikingers gleicht, trägt ein rosafarbenes Jacket mit glitzernden Steinen besetzt, der Bassist ist mit einem türkisen Schweißband ausgestattet. Der normalerweise schwarze Boden der Bühne ist weiß und fügt sich nahtlos in das Bild des Himmelbetts ein.
Ein Ort zum Träumen, zum illusorischen Träumen, wenn man den ersten Liedern Robyns lauscht, die am 6. April im Velodrom in Berlin spielt. Eine sanfte Kickdrum schlängelt sich durch die ersten Songs hindurch, weiche elektronische Klänge wabern im Raum und formen eine Melodie, die gepaart mit Robyns klarer Stimme das Gefühl vermittelt, diesmal könnte es klappen, diesmal könnte der Satz „Never gonna be brokenhearted ever again“ wirklich wahr werden. „I’m gonna love you like I never been hurt before“, singt die Schwedin inbrünstig, während sie ihre freie Hand nach dem Publikum ausstreckt. Die Zeichen stehen gut, Robyn bekundet zu Beginn des Konzertes ihre Liebe zu diesem jemanden, an den sie ihre Lieder geschrieben hat. Doch irgendetwas stimmt nicht. Die Laken des Himmelbetts sind mehr oder weniger zerrissen, muten fast schon einem Spinnennetz an. Nach fünf Songs wird der Sound härter, der Beat aggressiver, der Bassist haut stärker in seine Saiten. Plötzlich steht die Liebe auf dem Scheideweg, das bittere Realisieren setzt ein, wenn Robyn davon singt, wie ihr Liebhaber jemand Neuen gefunden hat und im Refrain gesteht: „No you never were and you never will be mine.“ Während sie mit vorwurfsvollem Blick ins Publikum schaut und dabei fragt, wer dieses neue Mädchen sei, greift sie nach dem Vorhang, der über ihrem Kopf schwebt und reist ihn mit einem Ruck herunter. Der Traum ist geplatzt. Denn Robyn hätte es besser wissen müssen.
Auch wenn Robyn noch immer für viele als Underground-Tipp im Bereich der Synth-Pop-Szene zählt, ist die Sängerin im Musikgeschäft schon seit mehreren Jahrzehnten dabei. Ihren ersten internationalen Durchbruch hatte sie mit 18 Jahren, als 1997 ihre Single Show Me Love erschien. Drei Alben folgten, hauptsächlich geprägt von R&B – lastigen Sounds. Das Jahr 2004 stellte für Robyns weitere Musikkarriere dann den entscheidenden Neubeginn dar, denn sie trennte sich von ihrem bisherigen Plattenlabel, das mit der Ausrichtung ihrer Musik hin zu Elektropop nicht einverstanden war. Mit der nun erhaltenen kreativen Kontrolle gründete Robyn ihr eigenes Label, Konichiwa Records, und implizierte mit der Veröffentlichung ihres 2005 erschiendenden Albums Robyn einen Neustart ihrer Musiklaufbahn. Der Sound war ab nun an etwas sperriger, immer noch einem typischen Pop-Schema folgend, aber auch genreübergreifend.
Nun, nach einer achtjährigen Pause, erscheint das neue Solo-Album. Nach dem Tod ihres Vertrauten und gelegentlicher Musikpartners Christian Falk sowie der Trennung von dem Videokünstler Max Vitali, verfiel die in Interviews so lebensfroh und quicklebendig wirkende Sängerin in eine schwere Depression. Eine jahrelange Neujustierung geprägt von Therapie-Sitzungen, anfänglichen Schreibblockaden und sogar den Gedanken, komplett der Musik abzuschwören, haben wohl Robyns sensibelstes Album hervorgebracht. Honey ist der Titel der neuen Platte. Honig, eine schon in der ägyptischen Mythologie verankerte Substanz, denn Bienen galten als die Tränen des Sonnengotts Ra. Der von den Insekten produzierte Honig war für die alten Ägypter somit eine Speise der Götter und diente zur spirituellen Selbsterkenntnis. Wahrscheinlich hatte auch Robyn durch die Produktion ihres neuesten Werkes genau diese Erkenntnis und Neuentdeckung ihrer selbst, denn musikalisch sind zwar noch Spuren ihrer vorangegangen Alben zu erkennen, doch Honey besticht nicht mehr durch Pop-Hymnen wie Dancing On My Own, sondern mit behutsamen Rhythmen, die nicht wie bei Pop-Songs so üblich nach einem großen Finale in ihrer Songstruktur streben, sondern im Aufbau eher an Clubmusik erinnern.
Zum Clubkonzert wandelt sich auch Robyns Auftritt nach dem einschneidenden Moment durch den Song Be Mine um. Ein schneller Kostümwechsel und Robyn trägt eine elegante, rote Schlaghose und Jacket, die Haare trägt sie nicht mehr offen, sondern sind mit einer Mozartschleife zusammengebunden. Umso eleganter Robyn in ihrem neuen Outfit wirkt, desto treibender werden die folgenden Stücke. Plötzlich befindet man sich auf einem Techno-Konzert, die Übergänge zwischen den Liedern sind fließend, Pop-Strukturen werden aufgelöst und durch sich immer mehr aufbauende Arrangements ersetzt. Den Höhepunkt erreicht das Konzert wohl, als Robyn ihren größten Hit spielt: Dancing On My Own. Wummernd setzen die kalten Synth-Klänge ein, das Publikum grölt laut auf und Robyn singt die erste Strophe bis zum Refrain. Dann hört sie und ihre Band abrupt auf zu spielen, die Sängerin reißt die Arme auseinander, schließt die Augen und vertraut ganz und gar der Textsicherheit ihrer Anhänger:
„I’m in the corner
Watching you kiss her
Oh oh oh
I’m right over here
Why can’t you see me?
Oh oh oh
I’m giving it my all
But I’m not the girl you’re taking home
Ooh ooh ooh
I keep dancing on my own
Jeder singt in diesem Moment mit, sei es die Partyqueen, die sich mit zu viel Make-Up zugekleistert hat, der etwas zugezogene ältere Herr, der den ganzen Abend stockstill sich nicht von all den Tanzwütigen hat mitreißen lassen können oder das frisch verliebte Pärchen, das sich ein paar Momente zuvor noch etwas zu oft geküsst hat. Es bildet sich ein Konglomerat der gebrochenen Herzen, manche wie das Pärchen mögen in diesem Moment nicht davon betroffen sein, doch alle scheinen das Gefühl zu kennen, alleine weitertanzen zu müssen. Hätten sie und Robyn es doch bloß besser gewusst.
Robyn erzählt auf ihrer Honey-Tour eine Geschichte, die hoffnungsvoll beginnt und immer mehr in Wut, Verspieltheit, Melancholie, aber auch Sehnsucht umschlägt. Die Sehnsucht nach dem Schaffen einer Verbindung, wenn sie auf dem letzten Lied des Abends fragt: „How do you make a connection?“ Eine zweite Frage knüpft sich an, doch Robyn scheint diese weniger an sich selbst zu stellen, vielmehr an all die Menschen, die ihr an diesem Abend zuhören. „Who do you love?“, lautet sie. Vielleicht ist es als Einladung zum Träumen zu verstehen, auch wenn die Laken zerrissen sind, auch wenn es davor schief gelaufen ist. Und vielleicht gehört das Ringen um die unerwiderten Gefühle des anderen, das Gefühl des Verlorenseins in all der Liebessehnsucht auch unumgänglich zum Prozess der Liebe dazu. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, negiert Robyn die Textzeile „Never gonna be brokenharted ever again“ gleich im nächsten Satz des Liedes wieder, wenn sie singt: „Only gonna sing about love ever again.“ Denn Robyn hat es eben besser gewusst.