„Someone said a long time ago: Rock ´N´ Roll will never grow old“
Rockmusik wird wahrscheinlich niemals aussterben, genauso wenig wie Kritik am Establishment. Vor allem wenn man eine im Punk verwurzelte Band aus Kanada ist und das ganze politische Schlamassel im südlichen Nachbarland aus nächster Nähe miterleben muss, kann man ja quasi nur noch protest-rocken. Nach vier Jahren Abstinenz melden sich die Jungs von Billy Talent mit ihrem fünften Studioalbum zurück, um mal wieder für etwas Gegenwind zu sorgen. BLANK hat die rote Flagge ausgepackt und sich für euch reingehört.
Knarren statt Fahnen
Wie jetzt? Doch keine Red Flag mehr? Der Opener verlangt stattdessen nach der „Big Red Gun“ und von Sekunde eins an, wenn Gitarrist Ian D´Sa die ersten Riffs erklingen lässt, ist eines klar: Billy Talent sind ihrem unverkennbaren Sound treu geblieben und auch die Stimme von Frontmann Benjamin Kowalewicz ist markant wie immer. Es geht um neue, problematische Ideale und die Freiheit des kleinen Mannes, die der, notfalls mit Waffengewalt, bereit ist zu verteidigen – sehr amerikanisch, ziemlich kritisch. Die NRA (National Rifle Association) wird den Song jedenfalls nicht mögen, akustisch gefällt er aber durch den eingängigen Refrain mit Ohrwurm-Chorus. Etwas sperriger und langsamer folgt der Titeltrack, der auch aufgrund seiner sehr metaphorischen Lyrics etwas an Einarbeitungszeit benötigt, bis der dritte Song „Ghost Ship of Cannibal Rats“ die Aggressivität und das Tempo wieder angenehm erhöht.
Immer zwei Mal lauter als ihr
Song Nummer vier, „Louder Than The DJ“, ist ein Highlight des Albums und garantiert ein Hit auf allen zukünftigen Konzerten. Vom Ohrwurm-Faktor ganz oben mit dabei handelt der Titel von der Unsterblichkeit des Rock und wie sich Bands, wie eben Billy Talent, daran beteiligen diese musikalische „alte Lady“ noch aktuell und attraktiv zu halten – in einer Generation von DJs und Selfies.
Weiter gehts mit zwei Songs die beide verflossene und komplizierte Beziehungen thematisieren, soundtechnisch jedoch kaum unterschiedlicher sein könnten: „The Crutch“ ist einer der härtesten Songs des Albums und überzeugt mit seinem wütenden Chorus. „Rabbit Down the Hole“ hingegen startet unerwartet mit Akustikgitarre und entpuppt sich als sechsminütige Ballade, die einen sehr willkommenen Kontrast zu den bisherigen Songs darstellt. Trotzdem bietet auch einer der bisher längsten Songs der Band starke Gitarrenriffs im Refrain und fällt somit nicht zu sehr aus dem Rahmen.
Soundtrack für die Krise
Es folgen mit „Time-Bomb Ticking Away“ und „Leave Them All Behind“ zwei Nummern, die mehr Billy Talent kaum sein könnten. Der erste mit zum Inhalt passend hohem Tempo und sehr eingängigem Chorus, der zweite im Kontrast zu den bisherigen Songs sehr optimistisch und motivierend.
Der nächste Song beginnt ungewohnt mit atmosphärischen Synthesizer-Sounds und schlägt nach der vorherigen Gute-Laune-Nummer wieder eine sehr düstere und kritische Richtung ein. Es geht um Zäune und Mauern, (vermeintliche) Engel und Heilige, Soldaten und Sklaven, Führer und Geführte. „Horses and Chariots“ ist inhaltlich einer der relevantesten und aktuellsten Songs des Albums, regt zum Nachdenken an und überzeugt durch den ungewohnten Sound auf ganzer Linie. Neben „Louder Than the DJ “ das Highlight der Platte.
JETZT ist es ein Krieg
„This Is Our War“, der vorletzte reguläre Titel, ist ein schmissiger Ruf zu den (metaphorischen) Waffen, um gegen Intoleranz, Ausgrenzung und die konservative ältere Generation mit ihren Idealen von Vorgestern zu kämpfen. Die Kritik am Nationalismus, der in den vergangenen Monaten in vielen Ländern eine Renaissance erlebt hat, ist hier unverkennbar und wird mit einem klassischen und eingängigen Alternative-Rocksong zum Ausdruck gebracht.
Den Abschluss bildet mit February Winds ein Plädoyer für Menschlichkeit und Nächstenliebe in Zeiten der Flüchtlingskrise das mit melodischen Gitarrenriffs und einer starken Message sowohl Denkern, als auch Rockliebhabern gefällt. Der letzte Song ist eine veränderte Version des Titeltracks „Afraid of Heights“, die jedoch anders genug klingt um die Wiederholung zu rechtfertigen und einen gelungenen Bogen zum Anfang zu spannen.
„The message that we send will come back in the end“
Fazit: Billy Talent klingen auch nach geschlagenen vier Jahren noch genauso wie man es von ihnen erwartet. Dennoch werden auf „Afraid of Heights“ genug Experimente gewagt und brandaktuelle Themen besungen, sodass die Platte nicht einfach nur mehr vom gleichen ist. Den Kanadiern ist es gelungen ihrem Stil treu zu bleiben und ein sehr abwechslungsreiches Album abzuliefern das durch feine Nuancen und starke Texte mit wiederholtem Anhören immer besser wird, auch wenn sich hier weniger Instant Classics finden als auf den vorigen Werken der Band.