Take it back now, y’all
Frisch aus der Uni, altersmäßig irgendwo in den frühen bis späten 20ern und keinen Plan von der Zukunft. Ein nicht unbeliebtes Sub-Genre an Film, in dem sich auch Cha Cha Real Smooth ohne weitere Probleme glatt eingliedern kann. Mitunter persönliche Favoriten sind Noah Baumbachs Frances Ha (2012) oder der gerade im Kino laufende Überraschungserfolg The Worst Person in the World (2021) von norwegischem Regietalent Joachim Trier. Mit Cooper Raiffs neuestem und zweitem Film hat sich ein neues Werk in den Canon meiner liebsten leicht ängstlich, viel mehr hoffnungsvollen „Ich bin jetzt erwachsen, aber weiß nichts mit mir anzufangen“-Filme geschlichen.
Nach einer vielversprechenden Rezeption auf dem berüchtigten Sundance Film Festival beschloss der Technik-Konzern Apple direkt, sein eigenes Streaming-Angebot auf dem oft vergessenen AppleTV+ aufzustocken. Im Gegensatz zu diversen anderen Streaming-Anbietern kauft Apple sich keine Lizenzen für alte Klassiker und jedes andere ältere Machwerk, das sich in die Finger kriegen lässt – Apple setzt exklusiv auf eigene Produktionen und Talent Scouting sowie das darauffolgende Vertreiben von vielversprechenden neuen Projekten.
Ähnliches passierte mit dem diesjährigen Oscar-Gewinner: Coda (Siân Heder, 2021). Ebenfalls auf dem Sundance Film Festival prämiert, eignete sich Apple die Vertriebsrechte am Drama. Mit 25 Jahren also screent Cooper Raiff nicht nur seinen zweiten Film auf dem renommierten Sundance Film Fest, sondern kann auch noch von sich behaupten, dass einer der größten Konzerne der bisherigen Menschheitsgeschichte genug Potenzial in seiner Vision gesehen hat, um sich für 15 Millionen Dollar die exklusiven Rechte am Vertrieb seines Filmes zu sichern. Ein Film, der es mehr als nur wert ist, angesehen zu werden.
Slide to the left
Cooper Raiff inszeniert die Geschichte von Andrew, von Raiff selbst gespielt, einem 22-Jährigen, der ohne große Versprechungen oder Vorstellungen für die Zukunft auf blankem Hintern direkt aus der Uni zurück in das Haus seiner Familie gerutscht ist. Neben dem Tagträumen von seiner (ehemaligen) Freundin aus der Uni, die ohne ihn nach Barcelona gezogen ist, bleibt Andrew nicht viel mehr übrig, als seine Zeit an eine lokale Fastfood-Kette zu verkaufen. Zu Hause warten seine liebevolle Mutter (Leslie Mann), regelmäßige angespannte Auseinandersetzungen mit seinem Stiefvater (Brad Garret) und die jugendlichen Liebesprobleme von Andrews 12-jährigem Bruder David (Evan Assante).
Auf einer Bar/Bat Mitzwa fällt Andrew der Gemeinde positiv auf. Wo vorher wenig Stimmung geherrscht hat, schafft Andrew in kürzester Zeit durch sein pures Charisma und ein paar flotte Sprüche einen Enthusiasmus, der von der Jugend sowie den Erwachsenen viel geschätzt wird. Bald ein halbwegs professioneller „Party Starter“ wird Andrew dafür bezahlt, auf den vorher drögen Veranstaltungen für Spaß zu sorgen. So lernt er die noch vergleichsweise junge Mutter Domino (Dakota Johnson) und ihre autistische Tochter (Vanessa Burghardt) kennen.
Das Skript, abermals geschrieben von Raiff, verwebt eine Vielzahl an Charakteren und Geschichten auf eine Weise, die vollkommen ungezwungen und erfrischend natürlich scheint. Man merkt wenig von gekünsteltem Drama oder erdrückender Emotionalität. Generell ist Cha Cha Real Smooth für eine Coming-of-Age Story in den Zwanzigern eines ziellosen Erwachsenen erstaunlich sensibel, ohne dabei ängstlich, depressiv und verdammend zu wirken. Ein Großteil der Handlung stützt sich auf die Komik und die natürliche Offenheit Andrews, während die dramatischeren Handlungshöhepunkte sich eher auf Dakota Johnsons Domino und ihre Tochter konzentrieren.
Tonal, was die pure Stimmung angeht, ist Cha Cha Real Smooth ziemlich einfach zu verdauen. In diesem Fall ist das etwas sehr Positives. Die Linie zwischen komfortablen und einladenden Gesprächen und ernsteren Auseinandersetzungen mit Liebe und der Ahnungslosigkeit des Lebens ist so fein gezogen, dass Raiffs Geschichte an keiner Stelle zu langweilig, zu überzogen scheint.
Slide to the right
So viel Raiff mit seinem Skript auch über eine erstaunliche Anzahl an Charakteren etwas zu sagen versucht, der Aspekt, der seine Handlung und damit seinen Film wirklich zusammenhält, sind die Charaktere. Raiffs wahre Meisterleistung bei CCRS ist die Performance als Andrew. Ein Mensch, den jeder in seinem Leben haben wollen würde, wenn es doch nur möglich wäre. Ein Mensch mit so viel Charisma, Empathie, Humor, Mut, Respekt und Ehrlichkeit wie man ihn selten in einem Coming-of-Age Film und niemals im echten Leben sehen würde.
Sein Schauspiel und sein Skript bauen einen so sympathischen Charakter, dass man sich nur wundern kann, wie Raiff es schafft, so viele Aspekte seines Films selbst zusammenzuhalten und derart überzeugend zu verwirklichen. Ohne Andrew, ohne Raiffs Performance wäre Cha Cha Real Smooth ein nur halb so guter Film. Ließe man das Skript gleich, würde alle anderen Schauspieler behalten, so würden das große Herz und die ganze warme Energie des Films einfach so verloren gehen.
Neben Andrew stechen vor allem noch Domino und ihre Tochter Lola hervor. Wenn man von Andrews Charakterbogen als Coming-of-Age Story redet, dann kann man dasselbe auch über Domino behaupten. Als noch junge Mutter sind die Zwanziger, die Andrew gerade lebt, auf gewisse Weise an ihr vorbeigezogen. Mit ihrer Tochter und einem beinahe permanent abwesenden Verlobten gibt es in ihrem Leben nicht viel mehr als die Liebe zu ihrem Kind. Dakota Johnson lässt sich ihre leise Frustration mit dem Leben ihres Charakters subtil anmerken. In jedem Gespräch, ob zur eigenen Tochter oder zu Andrew, schwingt eine gewisse zurückhaltende, unausgesprochene Ebene der Angst und Selbstzweifel mit.
Positiv anzumerken ist, dass der autistischen Tochter nie Vorwürfe, Mitleid oder sogar Reue gezollt und auch nur impliziert werden. Die Liebe zur Tochter ist real und wird nie vom Skript und damit den Charakteren infrage gestellt. Dominos Facetten entfalten sich parallel zur Freundschaft zwischen Andrew und Lola als zurückgezogene und einsame Frau, die, um ihr eigenes Glück wahrzunehmen, erst ihre Ängste überwinden muss.
Andrew und Domino sind allerdings nicht die einzigen Charaktere, die ihre eigene Entwicklung durchmachen. Raiff erzählt seinen Film mit einer derartigen Präzision, dass ein Haufen an Figuren glaubhaft gezeichnet wird und mit der Zeit auch seine eigenen Entwicklungen durchmacht. Das gilt für Charaktere innerhalb Andrews Familie als auch außerhalb. Fast jede Art Mensch in allen möglichen verschiedenen Lebensphasen kriegt genug Zuneigung vom Skript und der Regie, dass er sich entfalten und seinen eigenen Platz in Raiffs gemalter Welt einnehmen kann. Cha Cha Real Smooth handelt nicht nur von dem Irren und Wirren der Zwanziger, sondern traut sich im romantischen Zeitraum des Älterwerdens auch über den Horizont Andrews hinweg, ein paar Schritte in die Vergangenheit sowie in die Zukunft zu blicken.
Reverse, Reverse
Wenig überraschend, wo doch der Film selbst nach dem Song Cha-Cha Slide von Mr C The Slide Man benannt wurde, bezieht sich Raiff auch außerhalb der Titelgebung regulär auf Musik für das stilistische Rückgrat seines Films. Wiederholt staubt er bei der visuell sonst stark zurückhaltenden Inszenierung Songs aus seinem Musikschrank ab, um Atmosphäre und Stimmung zu vermitteln, wo es der filmeigene Soundtrack von Este Haim Christopher Stracey selten schafft.
Generell sind die technischen Aspekte auditiv sowie visuell die wohl bescheidensten Aspekte von Raiffs zweitem Film. Man merkt, dass das wahre Herzblut vor allem in den Charakteren, eben dem Schauspiel und dem Skript steckt, wohingegen die visuelle Gestaltung der Szenen und Soundtrack in den Hintergrund geraten. Raiff vermittelt viel mehr den Eindruck eines stillen Beobachters als den eines subjektiven Erzählers. Was in diesem Fall funktioniert, weil das, was sich innerhalb des Bildrahmens abspielt, immer mitreißend genug ist, um die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, aber dennoch einen schwächeren Aspekt im Gesamtwerk darstellt.
Die Kameraführung von Cristina Dunlap erfüllt also ihren Zweck und ist charakterlich nicht mehr als zurückhaltend. Die Lichtgestaltung ist an vielen Stellen leider ähnlich uninspiriert, sodass man sich schon ab der zweiten Party, einer weiteren von vielen noch kommenden, gleich aussehenden Partys an den harten rot und blau Tönen der Tanzflächenbeleuchtung satt sieht.
Generell fallen die technischen Aspekte von Cha Cha Real Smooth stellenweise als überraschend billig auf. Auch das Set von Andrews Sackgassen-Job: „Meat Sticks“ sieht so aus, als stünde es jede Sekunde vor einem Zusammenbruch. Ein Set, das zwar nicht viel verwendet, aber dadurch indirekt noch offensichtlicher eindimensional aufgestellt und günstig gemacht aussieht.
Cha Cha now y’all
Das Leben ist ein Labyrinth mit vielen Zwischenstopps. Wo Coming-of-Age Geschichten oft einen einzigen Zwischenstopp besonders stark betrachten, nimmt sich Cha Cha Real Smooth die Zeit, um zwar nicht das ganze Labyrinth zu durchqueren, aber dafür verschiedene der Stopps zu verschiedenen Lebensabschnitten zu beleuchten.
Dabei wird weder eine verherrlichende noch eine hoffnungsraubende Geschichte über das Erwachsenwerden und Erwachsensein erzählt. Das Skript und die Regie vermitteln das Bild eines Lebens – eines Lebens, das existiert hat, das immer noch existiert und das weiterexistieren wird. Keine existenziellen Ängste, sondern bloße, wahre Existenz .
Cooper Raiff beweist wahres Talent im Umgang mit Menschen und dem Menschsein. Schafft es, das Leben innerhalb einer Laufzeit von 107 Minuten nicht nur anzuschneiden, sondern von vielen verschiedenen Seiten auf so eine Weise zu durchleuchten, dass man beim Schauen das Gefühl bekommt, als wäre alles auf seinem rechten Weg. Raiff gelingt es, das Leben mit einer Schönheit zu inszenieren, wie es so ehrlich und doch geistreich selten zu sehen ist.
Ein zweiter Film, der Lust und Hoffnung auf das macht, was als Nächstes vom Regisseur kommen mag. Ein Film, der in vielen Aspekten vielversprechend, wenn nicht gar schon nah an Perfektion heranreicht und in anderen offensichtliches Entwicklungspotenzial aufzeigt. Ein Film, der repräsentativ dafür steht, was Cooper Raiff aus seiner Filmkarriere machen wird. Ein Film, der ohne Zweifel seinen Platz im Indie-Filmkanon finden wird.