Studium in Bayern – Zwei Neuankömmlinge berichten von ihren Erfahrungen in einem fremden Land

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Freiheit, Selbstständigkeit, Selbstverwirklichung: Während des Studiums wollen wir das Leben in vollen Zügen genießen, neue Erfahrungen sammeln, uns sowohl sprachlich, als auch kulturell breiter aufstellen und uns fachlich für die Zukunft wappnen. Und das in Bayern. Zwei Zugezogene berichten über ihre ersten Erfahrungen im Freistaat:

 

Ben Hindrichs (Staatswissenschaften)

Willkommen in Bayern. Der Teil Deutschlands, in dem die Welt angeblich noch in Ordnung ist. In dem man als Bediensteter im Öffentlichen Dienst kein Mitglied der Partei „Die Linke“ sein darf und das Recht auf Naturgenuss in der Landesverfassung verankert ist (Art. 26 BayNatschG).

In freier Entscheidung habe ich beschlossen, hier die nächsten drei Jahre meines Lebens zu verbringen – trotz eindringlicher Warnungen vieler Bekannter vor den ungemein konservativen, Lederhosentragenden CSU-Stammtischtrinkern. Am Ende überwiegt die Neugier.

Ein sehr plakatives und sich großer Beliebtheit erfreuendes Modell zur Veranschaulichung unserer Wahrnehmung fremder Kulturen ist das Bild eines Eisbergs: Ohne es genauer zu wissen nehmen wir auf den ersten Blick nur den den Teil wahr, der über der Meeresoberfläche sichtbar ist – ein Bruchteil seines eigentlichen Ausmaßes. Ich habe mich also aufgemacht, die mir bisher unbekannten Sphären der bayrischen Kultur zu entdecken.

Meine ganz persönliche, kulturelle Entdeckungsreise beginnt bereits am ersten verregneten Morgen in Passau. Nach sieben Stunden nervenzehrender Fahrt versuche ich einen Kaffee und zwei „Brötchen“ zu bestellen. Ausladende Blicke und vorwurfsvolle Stille füllen den Raum. Schnell korrigiere ich meinen Fehler und bestelle mit schuldbewusst gesenktem Kopf ein paar „Semmeln“. Na „Grias God“.

Beim traditionellen Kneipenbummel wird meine Herkunft nach der ein oder anderen Maß (Achtung Aussprache!) dann erst einmal im bayerischen Weltbild eingeordnet. Dafür wird das Konzept des sogenannten „Weißwurschtäquators“ herangezogen: Nach traditioneller Handhabung sind alle Bewohner nördlich der Donau grundsätzlich „(Sau) Preissn“ (Preußen). „Die kömma schon net so gut leidn“. Nur die neuen Bundesländer liegen im Osten und das ist praktisch noch schlimmer. Eine heikle Streitfrage jeder ergiebigen Stammtischdiskussion bleibt dabei, ob „Preissn“ tatsächlich schon nördlich der Donau beginnt, oder erst außerhalb Bayerns. Denn obwohl die Franken „koa Bayern san“, sondern nur in Bayern leben, fühlt man sich ihnen doch noch einigermaßen verbunden. Zumindest ein bisschen.

Ein Ort, mit dessen soziokulturellen Gegebenheiten man sich als Neuankömmling ebenfalls erst einmal vertraut machen muss: Der Biergarten. Gottes Krone der Schöpfung. Unter freiem Himmel, zwischen frischen Bretzn, süffigem Hacklberg und sanfter Volksmusik fühlt der Bayer sich wohl. Die Bedienung ist hier allerdings grundsätzlich nur zum „guad ausschaun“ da. Sein Essen holt man sich in manchen Biergärten selbst oder der darf es sogar mitbringen. Punkt für Bayern.

Während es an anderen Universitäten praktisch Teil der Hochschulkultur ist, dass studentische Hochschulgruppen zu Semesterbeginn massenhaft Freibier an Erstsemester ausschenken, um sich sowohl deren Wohlwollen, als auch ihr langfristig halbherziges Engagement zu sichern, wirbt man in Passau diszipliniert um „Quietschies“. Hier herrscht noch Zucht und Ordnung.

Das (zumindest eine) Freibier gibt es dann aber noch – mit einer Woche Verzögerung beim traditionellen „Leberkäsempfang“. Kein anderer Anlass fasst die Prioritätensetzung hier so süffisant zusammen. Für rustikale Hausmannskost und ein paar warme Worte setzt man hier auch mal den Bildungsauftrag aus. Da kann man sich durchaus dran gewöhnen.

 

 Ben Balzereit (Medien und Kommunikation)

Es ist kaum zwei Monate her, da hatte ich keine Ahnung, wo Passau liegt. Ich bin mir sogar ziemlich sicher den Stadtnamen das erste Mal im Zeit-Studienführer bewusst gelesen zu haben.

Aber nicht nur Passau war für mich Neuland, sondern auch der gesamte Freistaat Bayern, den ich bis auf wenige flüchtige Raststättenaufenthalte auf der Durchreise ins alpine Nachbarland nie zuvor betreten hatte. Somit waren es wilde Klischees, die meine Vorstellung vom bajuwarische Volk regierten:

Bei uns in Niedersachsen kennt man den Bayern vor allem als weißbiertrinkenden, lokalpatriotischen Lederhosenträger mit Vorliebe für Volksmusik und Abneigung gegen den Länderfinanzausgleich. Man erzählt sich auch viele Gruselgeschichten über Sauerkraut, Fußballmonopolismus, den Mythos CSU und den schaurig-unverständlichen Dialekt.

Allerdings wird auch oft neidisch hinabgeschaut aus dem Norden, jeden Abend um 20:14 um genau zu sein, beim Wetterbericht der Tagessachau: Während es in Bayern mit 30°C im Sommer und reichlich Schnee im Winter Jahreszeiten aus dem Bilderbuch gibt, ist man bei uns oft zum Blick auf den Kalender gezwungen, um die ganzjährigen 10-15°C einzuordnen. Ein weiterer naturbedingter Neidfaktor: Denkt man an Bayern, denkt man an abwechslungsreiche Landschaften, an tiefgrüne Wiesen, dunkle Wälder und mittenendrin noch ein bisschen hochalpines Gebirge. Im Vergleich dazu erinnert die Topographie Niedersachsens eher an einen frisch planierten Supermarktparkplatz und versprüht auch ungefähr dessen Charme.

Mit diesem Mix aus Hoffnungen und Vorurteilen kam ich dann nach einer sehr langen Autofahrt und einer mittelschweren Familienkrise („Weiter weg ging‘s nicht?“) hier an. In Passau: Dem niederbayrischen Rentnerparadies mit drei Flüssen, unzähligen Kirchen, sowie einer Polizeipräsenz und einem Shoppingangebot, die sämtliche ostdeutschen Großstädte vor Neid erblassen lässt. Eine letzte Oase des deutschen Erzkatholizismus, auch dezent „Bayerisch Venedig“ genannt. Der Ort, an dem die Supermärkte schon um 20 Uhr schließen.

In der O-Woche kam es dann zum Erstkontakt mit dem Bayer. Überraschenderweise traf ich direkt auf einige unerwartet reflektierte Exemplare: Ja, sie seien FC-Bayern-Fans, aber so langsam werde es langweilig in der Bundesliga, wurde mir in brüchigem Hochdeutsch erklärt. Blasmusik sei auch nicht so ihres, außer beim Oktoberfest, wo das zum Bierzelt-Flair einfach dazugehört. So weit, so gut, damit hatte ich gerechnet, ebenso wie damit, dass hier nicht ausschließlich stolze Trachten-tragende CSU-Hardliner herumlaufen und es in der Mensa ausschließlich Schweinshaxen mit Brezen und süßem Senf gibt.

Auch der bayrische Dialekt hat sich als nicht allzu schlimm herausgestellt: Klar, es gibt Schöneres, Vieles sogar, aber solange der Gesprächspartner nüchtern ist und sich Mühe gibt, ist Kommunikation grundsätzlich möglich.

Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn Alkohol im Spiel ist: Tagtäglich trifft man Beispiele für die These, dass sich der Alkoholpegel des Bayerns und dessen Verständlichkeit für Nicht-Freistaatler antiproportional zueinander verhalten. Umso erstaunlicher ist es, wie die artinterne Verständigung weiterhin fehlerfrei funktioniert, wenn für den ungeübten Zuhörer nur noch vereinzelte Silbenfetzen zu verstehen sind. In solchen (häufigen) Situationen fühle ich mich wie ein Urwaldanthropologe, der versucht mit einem gerade entdeckten, indigenen Stamm zu kommunizieren und dessen Gewohnheiten zu erforschen. Irgendwie hilflos, auf eine masochistische Art auch amüsiert, mit dem innigen Wunsch irgendwann einmal alles verstehen zu können, gepaart mit der Sehnsucht nach einem bekannten, heimischen Ort und der beständigen Frage warum man das eigentlich macht im Hinterkopf.

Der bayerische Sprachgebrauch im alkoholisierten Zustand ist aber auch so ziemlich die einzige größere Hürde, die es zu überwinden gilt. Zugegeben, so groß sind die Unterschiede sonst nicht und  wenn überhaupt, dann im positiven Sinne. Wenn ich zum Beispiel die High-Tech-Designer-Uni hier mit der in Hannover vergleiche oder das Wetter (Minusgrade im November!) genieße. Die werden staunen zuhause, wenn ich das erzähle!

Beitragsbild: Lea May[/vc_column_text][vc_column_text][/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]