[vc_row][vc_column][vc_column_text]Carola Böhm hat Plastikmüll den Kampf angesagt. Mit ihrem Laden in der Passauer Innenstadt bietet sie Umweltbewussten und denen die es werden wollen die Möglichkeit, ihren Müll zu reduzieren. Wunschdenken oder revolutionäres Konzept? Eine Bestandsaufnahme.
Immer mehr. Es dominiert den Alltag unserer Konsumgesellschaft. Es fängt an bei Zahnpasta, Putzmittel, Süßigkeiten. Es zieht sich durch das gesamte Obst- und Gemüsesortiment mit seinen kleinen harmlos wirkenden Aufklebern. In der Frische-Abteilung sind Bioprodukte die unangefochtenen Spitzenreiter, wenn es um fragwürdige Verpackungen geht. Die Plastikwelle schwappt durch Supermärkte auf der ganzen Welt und droht uns zu ertränken.
Befasst man sich mit Statistiken, die das pro-Kopf Müllaufkommen in Europa darstellen, ist eines unübersehbar: Die Dominanz der Deutschen. Und das beständig. 2016 belief sich die Abfallmenge in Deutschland auf 411,5 Millionen Tonnen. Das vermeintliche Selbstbild als „Recycling-Weltmeister“ basiert tatsächlich auf dem leistungssportlichen Export von Müllbergen ins Ausland. 2018 belief sich dieser auf knapp 100.000 Tonnen nach Malaysia allein. Doch sieht so die Zukunft aus? Analysiert man die exponentiell ansteigende Zahl von neu eröffneten verpackungsfreien Supermärkten, lässt sich ein Anti-Müll Trend durchaus erkennen.
Carola Böhm ist eine von diesen Gegen-den-Strom-Schwimmern. Im September 2017 übernahm die hochgewachsene, schlanke Frau mit den kurzen braunen Locken Leitung und Neuaufbau des 2016 erstmals eröffneten Unverpackt-Ladens in Passau. Von Freunden bestärkt, „hat sich das dann auch schnell entwickelt, da es eigentlich immer mein Traum war, einen eigenen Bioladen zu haben. Nur war dieser Traum ein bisschen verschüttet“, lacht die Besitzerin, die davor lange auf dem Wochenmarkt tätig war. „Und ich hatte auch total Lust auf diesen Laden, einerseits diesen richtigen Tante Emma Laden und gleichzeitig den Nahversorger-Charakter“. 20 Jahre rein biologische Ernährung und die Erfahrungen vom Markt halfen ihr ausschlaggebend Tante Emmer in der Altstadt aufzubauen.
Die mit Kopfsteinpflaster ausgelegte Grabengasse ist eine von den vielen engen Straßen der Passauer Innenstadt, die man schnell übersieht, wenn man durch die geschäftige Fußgängerzone hetzt. Doch die ruhige Lage passt zum Konzept von Tante Emmer. Der Einkauf soll bewusst erfolgen. Es herrscht kein Stress an der Kasse, man schiebt sich nicht durch verstopfte Regale. Man hat Zeit sich mit Mehl und Korn auseinanderzusetzen, Zeit für ein paar Worte mit Angestellten und Kunden. Wer nicht unter Zeitdruck steht, auf den warten frische Kuchen und Bio-Kaffee. Beides kann an den kleinen Holztischen vor der großen Fensterfront verzehrt werden, während man dem Treiben vor dem Laden zusieht. Beim Interview an einem dieser Tische scherzt Böhm viel und man spürt das familiäre Verhältnis zwischen ihr und den jungen Studentinnen, die im Laden tatkräftig helfen.
Regionalität spielt für die bodenständige Passauerin eine zentrale Rolle. Knapp die Hälfte des Sortiments kommt aus der näheren Umgebung. Sie kooperiert mit vielen größeren und kleineren Betrieben nahe der Dreiflüssestadt. So präsentiert sich ein breites Sortiment in dem überschaubaren Laden: Frische Backwaren sowie bunte Obst- und Gemüsekisten finden ihren Platz neben den Reihen der typischen durchsichtigen Zapfhähnen, die unter anderem mit verschiedenen Getreidesorten, Nüssen, und Müslis gefüllt sind. Aber auch eine ganze Ecke mit ökologischen Putz- und Waschmitteln und Hygieneartikeln prägt die Auswahl. Der Grundbedarf ist damit praktisch gedeckt, wenn man vom Klopapier absieht, das aus Müll- und Platzgründen noch nicht ins Sortiment aufgenommen wurde.
Das Konzept ist ganz einfach: Jeder Kunde bringt seine eignen Taschen und Behältnisse mit, die vor Ort dann gewogen und nach Bedarf gefüllt werden. Wer möchte, kann auch Gläser in mehreren Größen im Laden kaufen.
Geliefert werden die Lebensmittel hauptsächlich in großen Säcken oder Pappkartons. Ganz plastikfrei funktioniert es jedoch nicht. „Mit Verpackung sind zum Beispiel die Gummibärchen, Nüsse oder Trockenfrüchte, weil das sind Produkte, wo die Feuchtigkeit gehalten werden muss oder die stark schimmelanfällig sind. Wenn die nicht gut im Vakuum verpackt sind, geht es nicht.“ Statt komplettem Verzicht steht also die Einsparung von Plastik im Vordergrund.
Probleme entsprechende Zulieferer zu finden, sind gering, da vor allem Großhändler bereits umschwenken und beginnen Verpackungen einzusparen. Der Gastronomiebedarf spielt hierbei eine nicht unbedeutende Rolle.
Carola Böhm schwärmt von dem Konzept eines Nusslieferanten aus Freiburg, der in wiederverwendbaren Eimern seine Produkte ausfährt. „Aber hier stellt sich eben die Frage, ob die höheren Transportkosten und die Umweltbelastung die Verpackungsersparnis aufwiegen. Da muss man immer abwägen und nach gesundem Menschenverstand handeln. Entweder schaut man auf die Gesamt-Ökobilanz oder auf das Plastik. Das ist immer eine Gratwanderung.“
Ein Trend, der von Amerika ausgehend zunehmend den europäischen Raum erobert, ist die „Zero-Waste“ Bewegung. Ziel ist es, ein Leben zu führen, bei dem so wenig Müll wie möglich anfällt und dabei Umwelt und Ressourcen geschont werden. Strikt lebt die Passauerin aber nicht nach diesem Motto, dem auch das Ladenkonzept nachkommt. „Bei mir stand das nie im Vordergrund. Das kam erst mit dem Laden.“
„Es ist auch so: Jeder der sagt, er lebe komplett müllfrei – das stimmt so nicht.“
Gibt es Grenzen beim Leben ohne Müll? Und wenn ja, wo verlaufen sie? „Grundsätzlich ist es schon möglich“, meint Böhm, während sie nachdenklich einen Schluck aus ihrer großen Teetasse trinkt. Sie verweist auf die nötige Selbstdisziplin, die mit dieser Herausforderung einhergeht. „Es ist auch so: Jeder der sagt, er lebe komplett müllfrei – das stimmt so nicht.“ Auch wenn jemand im Unverpackt Laden einkauft, gebe es trotzdem irgendwo die Verpackung, den Müll. „Das ist das, was ich auf der anderen Seite der Ladentheke eben sehe, dass wir trotzdem einfach Müll produzieren“. Es stellt die bescheidene Besitzerin regelmäßig vor die Frage, was in das gewollt breite Sortiment aufgenommen wird und was nicht.
„Käse zum Beispiel ist zu zwei bis drei Kilo zusammengeschweißt. Aber sonst könnten wir ihn nicht anbieten und wir müssen ja auch immer die wirtschaftliche Seite sehen“ erläutert die Gründerin. „Wir haben auch schon sehr oft die Rückmeldung bekommen, dass die Leute unser breites Sortiment schätzen und sie für ihren Einkauf nicht noch in fünf andere Läden gehen müssen.“
Immer mehr – auch was Umsatz und Kundschaft von Tante Emmer betrifft. „Es kommen ständig neue Leute dazu“, so Böhm. „Wir haben viele Studenten. Schüler, die sich ihre Gummibärchen holen. Junge Familien, die hier ihre Wocheneinkäufe erledigen. Aber auch Senioren und ältere Leute, die nicht mehr so viel benötigen und sich über die kleinen Mengen freuen.“
„Ich bin sehr glücklich darüber, dass es hier die Möglichkeit gibt, ohne diesen ganzen Verpackungsmüll einkaufen zu können“, meint Studentin Louisa, die regelmäßig in den Laden kommt. „In Passau landet der meiste Abfall im Restmüll, weil es keine gelbe Tonne gibt und die wenigsten Studenten ein Auto besitzen, um zum Wertstoffhof zu fahren.“
Recyclinghof Auerbach Passau. Hier arbeitet Margit Muggendobler und betreut vor allem das Stadtgebiet. Sie berichtigt diese Vermutung: Stundeten prägen das Klientel deutlich. Allgemein lässt sich sagen, dass zwar immer mehr Leute zum Recyceln kommen. Aber dafür bringen diese auch immer mehr Müll mit. „Da gibt es zwei Gruppen. Die einen sind extrem umweltbedacht und trennen penibel ihren Müll. Aber dann gibt es auch noch die, die einfach nur ihre großen Säcke in irgendeinen Container werfen“, erläutert die herzliche Mitarbeiterin mit den strahlend blauen Augen. Ein altes Ehepaar erkundigt sich unschlüssig, was sie denn mit ihrer Cremedose machen sollen. „Die kommt zu den Hohlkörpern! Wieder was gelernt, gell? Schönen Tag noch!“, klärt Muggendobler geduldig auf, die Arbeit macht ihr sichtlich Spaß. Man kennt sich hier am Hof hinter dem großen Biomarkt in der Regensburgerstraße.
Im Container für die Verpackungen wühlend, demonstriert Muggendobler die größten Sünder beim Plastikmüll. „Das sind hauptsächlich Genussmittel: Schinken, Käsescheiben, Fertig-Nudeln. Und dann kommen noch die eingeschweißten Plastikflaschen dazu, die machen ganz viel aus. Könnte man ganz leicht vermeiden alles.“
Das Konzept von Tante Emmer findet sie gut, aber es spreche ein zu kleines Publikum an. „Es muss grundlegend umstrukturiert werden. Damit auch die, die bei Kaufland und Aldi alles für die ganze Woche billigst einkaufen, mitziehen können und auch wollen.“
Zurück bei Tante Emmer. Wie sieht es mit der Zukunft aus? Gibt es Pläne? „Wir werden das alles auf uns zukommen lassen“, erklärt Böhm mit einem zufriedenen Lächeln.
Auch wenn im Endeffekt nur ein kleiner Teil der Passauer Einwohner regelmäßig zum Einkaufen in den noch jungen Laden kommt: Um langfristig etwas verändern zu können, bedarf es vieler kleiner Schritte. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Carola Böhm mit Tante Emmer diesen Weg prägen wird.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]