Wie ein Schreibfehler ein Rockfestival lahmlegte und einen Hochzeitsfotografen zum Revolutionskönig machte.
Gewitterstürme, Blitzschlagtote und millionenschwere Umzüge: Fans und Ruf der größten deutschen Rockerparty mussten in den letzten Jahren viel einstecken. Doch trotz Pleiten, Pech und Pannen, in diesem Jahr hat das Warten ein Ende: Zirkus Lieberberg will seinem eigentlichen Namen gerecht werden und kehrt zurück in seine Heimat, um endlich wieder die Tore des sagenumwobenen Nürburgrings für seine knapp 90.000 Fans zu öffnen.
Herzlich Willkommen in der Manege des Wahnsinns, herzlich Willkommen bei Rock am Ring. Endlich darf das Festival wieder seinen echten Namen tragen. Rock am Ring ist zu Hause. Auch unsere Blank-Redakteurin ist mit Zelt, Klappstuhl und Dosenbier durch ganz Deutschland in die Eifel gepilgert. Die Mission an diesem Wochenende: Die verrücktesten Festivalbesucher finden und für die Nachwelt festhalten. Doch dann kam – wie immer – alles ganz anders.
Freitag 2. Juni – Tag 1
11:42 Uhr: Ich sitze in meinem Campingstuhl, einen pinken Glitzerzylinder auf dem Kopf, unser Maskottchen Gustav, den aufblasbare Flamingo, auf meinem Schoß. Der Weg hier hin war lang, steinig und schwer. Eine Freundin und ich sind später angereist, haben unser Auto, wie alle anderen, direkt hinter dem „Parken verboten“-Schild im Graben am Straßenrand geparkt und sind dann mit Sackkarre und Wanderrucksack über einen Schotterweg gezogen, der durch das unendliche Heer aus Zelten führt, auf der Suche nach dem Camp unserer Freunde („Die mit dem weißen Pavillon“). Doch jetzt sitzen wir endlich hier, mittendrin im riesigen Affenstall namens Zeltplatz und haben endlich unser erstes Dosenbier in der Hand. Nichts kann uns mehr stoppen, es ist der erste Tag der Konzerte beim diesjährigen Rock am Ring.
12:00 Uhr: Um uns herum herrscht das übliche Maß an Eskalation: Trashmusik, Flunkyballturniere und Feierwütigen in fragwürdigen Kostümen und noch fragwürdigeren Zuständen. Die, deren einziges Problem am heimischen Schreibtisch ein voller Bleistiftspitzer ist, nutzen die Gelegenheit um an einem Wochenende den gesamten Alkoholvorrat, der sonst für ein ganzes Jahr reichen würde, zu leeren. Ein Bier nach dem anderen wird getrichtert. Die Nachbarn überbieten sich gegenseitig mit den peinlichsten Partysongs und das Camp nebenan sieht aus wie nach einem Pavianüberfall. Oben auf dem Gehweg sitzt eine Gruppe aufgereiht in ihren Klappstühlen und hält Schilder mit Punktzahlen von eins bis zehn hoch, jedes Mal wenn eine Frau vorbeikommt. Es riecht nach verbrannten Grillwürstchen, Sonnencreme und billigem Dosenbier.
12:04 Uhr: Der linke Nachbar hat nach einer halben Stunde Cantina Band in Dauerschleife eine Erleuchtung und wechselt zu „Barbie-Girl“. Ich lehne mich zurück in meine Nylonlehne, den Kopf in der Sonne. Der Sonnenbrand für morgen ist garantiert – Alles ist wie jedes Jahr. Nur die Toiletten nicht.
12:07 Uhr: Die klassischen vollgekotztend Dixiklos wurden teilweise ausgetauscht durch echte Toiletten in einem fest installierten Wagen, bewacht von einem grimmig schauenden Putzkönig, der für Ordnung im Scheißhaus sorgen soll. Premiumklos für die harten Rocker – ein rührendes Willkommensgeschenk.
Vielleicht hat die Sauerei der letzten Jahre aber auch so große finanzielle Löcher gefressen, dass sich die Investition in richtige Toilettenwagen und eine Servicekraft mehr gelohnt hat. Der Toilettenmann, der nach jedem Betrunkenen die Klokabinen mit ein- und demselben Lappen auswischt, tut mir jedenfalls sehr leid.
12:15 Uhr: „Wir müssen noch überlegen, was wir auf das Schild für die Konzerte schreiben.“, sagt eine Freundin. Sie lugt wie eine Ertrinkende mit dem Kopf aus dem Zelt, um sich eine Zigarette anzuzünden. Zur Feier der Rückkehr begrüßt der Veranstalter Marek Lieberberg die treuen Fans mit einem besonders fetten Line-Up: die Toten Hosen, Marteria, Bastille, Beginner, System of a Down und viele mehr. Doch keiner wird so sehr von den Ringrockern erwartet wie der der heutige Headliner: Rammstein. Heute Abend spielt die berühmt-berüchtigte Truppe mit Frontmann Till Lindemann höchstpersönlich auf der Mainstage. Es ist es ein bisschen wie mit dem mysteriösen Einhornboom: Keiner will’s wirklich zugeben, aber alle sind ein bisschen Fan. Ich überlege welcher Spruch es wohl wert wäre, auf ein Fanschild für das meist ersehnteste Konzert des Festivals zu kommen.
12:20 Uhr: Eine verkrachte Existenz im Borat-Badeanzug läuft an der Jury in Klappstühlen vorbei und zeigt seinen mit Edding bekritzelten Rücken: Penisse und Einhörner.
12:21 Uhr: Ich habe mich entschieden: „Eigentlich wollte ich zu Justin Bieber“. Konter geht immer. Borat bekommt volle Punktzahl. Der Nachbar spielt „Zehn kleine Jägermeister.“
16:30 Uhr: Wir erreichen den Eingang, jetzt trennen uns nur noch ein paar Meter von unserem Ziel. Letzte Hürde: Die Sicherheitskontrolle. Neuster Streich der Veranstalter: Nichts kommt rein. Keine Jutebeutel, Umhängetaschen und schon gar keine ausgefallenen Tetrapack-Panzertape-Umhängekonstruktionen. Das einzige was erlaubt ist, sind faltbare Wasserflaschen. Ja, genau die. Als ich die verzweifelten Gesichter derer sehe, die ihre mitgeschmuggelten Dosen und Flaschen in den Müllcontainer werfen müssen, weiß ich, dass ich nicht die einzige war, die eine Stunde lang im Rewe vor dem Getränkeregal stand und sich bei der Frage nach einer faltbaren JA!-Flasche einen bösen Blick eingefangen hat. Die Sicherheitsfrau tastet jeden Zentimeter meines Körpers ab, kurz habe ich Angst um den Müsliriegel in meiner Jackentasche, am Ende wirft sie sogar einen prüfenden Blick unter meinen Zylinder, als ob sie Handgranaten darunter entlarven wollte.
18:00: Endlich sind wir durch. Vor uns liegt das ultimative Spieleparadies für Erwachsene: Drei riesige Stages, in der Mitte ein überdimensionaler Hirsch, der sich als zweistöckige Jägermeister-Bar entpuppt. Drumherum Fressbuden und Merchandisestände so weit das Auge reicht und so viele Menschen, wie ich noch nie auf einem Haufen gesehen habe. Entfernte Gitarrenklänge und wummernder Bässe wabern uns entgegen und verwandeln das Bild vor uns für einen Moment in eine eindrucksvolle Fantasiewelt. Wir versammeln die Gruppe und machen uns auf den Weg, um uns die Mainstage anzusehen. Das Schild über dem Eingang leuchtet uns freundlich entgegen: Willkommen zu Hause.
Vor dem XXL-Hirsch machen wir dann doch eine kurze Fotosession mit einer Gruppe Weihnachtsmänner, ehe wir den Weg zur zweiten Bühne einschlagen. Alle sind immer aufgedrehter, die Erkenntnis, dass uns nur noch wenige Stunden zu den Mainacts des Abends trennen, ist endlich durchgesickert. Ich habe langsam das Gefühl, vor Vorfreude zu platzen: Der Spaß kann losgehen. Wie Florian alias Till sagen würde: Freunde der Rockmusik, jetzt geht’s richtig los.
Fortsetzung folgt…