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Toxic Positivity: Good Vibes Only trotz Corona?

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Leonie Gaugigl Social Media Managerin

Als vor ungefähr einen Jahr Corona nach und nach alle Länder der Welt in Lockdowns versetzte und das Leben langsam einzufrieren schien, war die erste Reaktion Frust, vielleicht auch Wut und eine Portion Angst. Ein zweiter Blick auf die Situation und plötzlich war da Zeit, die zuvor bis auf die letzte Sekunde verplant war. Zeit, all die Dinge zu tun, für die man vor Covid-19 Raum frei schaufeln musste. Dinge, für die die fear of missing out zu groß war, um den Samstagabend zu opfern. Plötzlich war da „das Gute am Lockdown“.

Jetzt, ziemlich genau ein Jahr und einen Monat nachdem die Tagesschau zum ersten Mal über ein „neuartiges tödliches Virus in China“ berichtete, ist es schwieriger, noch „Das Gute Daran“ zu sehen. Auf Instagram, Twitter und Co. ist allerdings Verlass: Good Vibes Only – Posts fluten weiterhin die sozialen Netzwerke.

Doch was ist falsch damit? Wenn die positive Einstellung Überhand nimmt, wird sie ganz schnell schädlich für unsere Psyche. Man spricht dann von Toxic Positivity.

 

Wie kann eine positive Einstellung schlecht sein?

Nichts ist falsch mit einem positiven Blick auf das Leben. Mit einer Prise Optimismus lässt sich viel leichter das Durchhaltevermögen finden, um durch schwerere Lebensphasen zu kommen. Allerdings wird die permanente Positivität zu einem Problem, wenn sie keinen Raum mehr für andere Gefühle lässt.

Laut Psychologin Mary Hoang ist Toxic Positivity der Versuch, jedes negative Gefühl nicht nur zu minimieren, sondern auszuradieren, optimalerweise nicht nur bei sich selbst sondern bei allen anderen auch – no bad vibes.

Was oftmals gut gemeint ist, wird eher zur Last und bewirkt das Gegenteil. Jemand hat pandemiebedingt den Job verloren, die Oma ist gestorben, man ist seit 2 Wochen allein in der Wohnung isoliert und klar, irgendwer hat es immer schlimmer, aber es ist eben nicht damit getan, die unangenehmen Gefühle unter den Teppich zu kehren.

Psychologen wie Konstantin Lukin warnen sogar davor, negative Emotionen zu unterdrücken, da sie davon nicht verschwinden, sondern nur größer werden. Schwierige Gefühle zuzulassen sei wichtig für die Informationsverarbeitung und Anpassung an neue Situationen selbst bei den geringsten Einschnitten im Leben. Auch für die Überwältigung schmerzhafter Emotionen, wie beispielsweise Angst vor der Zukunft nach Corona oder Enttäuschung, wenn man den Traumjob nicht bekommen hat, ist das tatsächliche Empfinden dieser Gefühle unumgänglich.

 

Das Problem mit Toxic Positivity

Nun ist man selbst schon so weit sich einzugestehen, dass man sich miserabel fühlt und will sich bei der besten Freundin oder dem besten Freund ausheulen, aber alles, was er/sie zu sagen hat ist „Sei doch nicht so negativ! Es könnte schlimmer sein, du wirst schon darüber hinwegkommen! Du solltest dich nicht so fühlen, sei dankbar dafür was du hast. Sieh das Positive daran! Denk an was Schönes. Kein Wunder, dass du so schlecht drauf bist.“ Und jetzt fühlst Du dich irgendwie noch schlechter als davor, dabei wollte die andere Person dich doch nur aufheitern.

Phrasen wie diese sind oftmals die Reaktion des anderen darauf, dass sie nicht wissen, wie sie mit negativen Gefühlen ihres Gegenübers umgehen sollen. Jedoch ist aktives Zuhören meist hilfreicher als krampfhaft die Stimmung bessern zu wollen. Negative Emotionen werden dadurch besser verarbeitet und machen Platz, um nach einer realistischeren Lösung zu suchen als einfach nicht mehr daran zu denken.

Vermeintlich gut gemeinte Ratschläge und inspirierende Zitate auf Pinterest, die dazu auffordern nur noch positiv zu denken und „happy mind, happy life“-mäßig zu verstehen geben, dass man etwas falsch macht, wenn man sich nicht gut fühlt, erwecken vielmehr Schuldgefühle als positive vibes. Es sei doch die eigene Entscheidung, wie man sich fühlt. Man müsse sich doch einfach nur gegen das schlechte Gefühl entscheiden, dann ist alles schon viel besser.

Leider ist es vor allem in der aktuellen Situation nicht so einfach „on the bright side of life“ zu sehen. Tatsächlich erweckt negativen Emotionen ihre Validität abzusprechen, nur noch mehr das Gefühl selbst für sein eigenes Unglück verantwortlich zu sein. Deshalb sei es nicht okay, traurig, wütend oder enttäuscht zu sein. Genau das ist das Problem mit Toxic Positivity.

 

Trotzdem Optimist:in sein

Stattdessen sollten Wir umsichtig mit uns selbst und anderen in unserem Umfeld sein. Jeder hat im Moment mehr oder weniger an der Pandemie zu knabbern. Ein ungutes Gefühl als Wehwehchen abzuschreiben und als „nicht so schlimm“ abzustempeln, bringt uns nicht weiter.

Manchmal ist eben nicht alles gut und nur weil man wegsieht, löst sich ein Problem nicht in Luft auf, egal wie positiv dein Vibe ist. Was sich anhört wie die Ausrede notorischer Pessimisten, um weiter vor sich hin grummeln zu können, soll keineswegs Optimismus beiseite räumen. Vielmehr geht es darum, das Gute zu sehen, die Hoffnung nicht zu verlieren, ohne dabei vor den weniger guten Dingen die Augen zu verschließen. Es geht um ein gesundes Mittelmaß. Darum, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, aber weder sich selbst und andere unter Druck zu setzen, trotzdem immer nur gut gelaunt zu sein, noch sich im eigenen Elend gehen zu lassen und komplett die Hoffnung aufzugeben. Auch wenn im Moment nicht alles perfekt ist, kommen bestimmt auch wieder bessere Tage.

Und wenigstens hat Corona auch etwas Gutes: wenn man sich mal nicht nach Lächeln fühlt, sieht man das unter der Maske sowieso nicht und jemandem „Sei positiv“ zu wünschen hat irgendwie die Bedeutung gewandelt.