Über ein Jahr schlagen wir uns bereits mit dem Coronavirus herum. Seit bald einem Jahr ist es ein Hin und Her zwischen harten und weichen Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Uni at home. Während dieser Lockdown-Phasen haben viele immer wieder das Gefühl, nicht genug zu tun, und stattdessen mehr und dauerhaft produktiv sein zu müssen. Aber warum ist das so? Woran erkennst Du toxische Verhaltensweisen? Und was kannst Du im Zweifel dagegen tun?
Was ist eigentlich toxic productivity?
Die Psychologin und Bloggerin Dr. Julie Smith definiert toxic productivity als „obsession with radical self-improvement above all else”, also einer Besessenheit zur radikalen Selbstoptimierung, die über allen anderen Dingen steht. Anhand folgender Merkmale erkennst Du, ob auch Du toxische Verhaltensweisen an den Tag legst:
- Du arbeitest so viel, dass es Deinem Wohlbefinden, Deiner Gesundheit und Deinen persönlichen Beziehungen schadet. Das zeigt sich zum Beispiel dadurch, dass Du Deine natürlichen Bedürfnisse wie essen, trinken und schlafen hintenanstellst, weil Deine Arbeit Priorität ist.
- Du hast unrealistische Erwartungen an Dich selbst und hast dauerhaft das Gefühl nicht gut genug zu sein. Du erwartest von Dir selbst, trotz der Auswirkungen der Pandemie genauso oder sogar noch besser zu funktionieren als vorher.
- Es fällt dir schwer, Dich in Ruhephasen wirklich zu entspannen. Wenn Du dir einmal einen freien Tag gönnst, fühlst Du dich schuldig, weil Du nicht arbeitest.
- Du hast das Gefühl, weniger Wert zu sein als andere, wenn Du nicht in irgendeiner Weise produktiv bist. Du denkst alle um Dich herum sind viel produktiver als Du.
Solch toxische Verhaltensweisen sind für Dich, Deine Ziele und Dein alltägliches Leben schädlich. Wenn Du selbst solch ein Verhalten bei Dir festgestellt hast, gibt es keinen Grund zur Verzweiflung, denn Du bist nicht allein! Viele Menschen machen gerade genau dasselbe durch wie Du.
Woher kommt toxic productivity überhaupt?
Toxische Verhaltensweisen hinsichtlich der eigenen Produktivität kommen zum einen durch die eigene verquere Erwartungshaltung an sich selbst zustande. Andererseits haben aber auch gesellschaftliche Faktoren einen Einfluss darauf. Unsere Kultur bringt auf verschiedensten Ebenen Wertschätzung für produktives Verhalten zum Ausdruck.
Zum Beispiel sind wir beeindruckt, wenn jemand jeden Tag acht bis zehn Stunden für sein Studium lernt, oder wenn junge Start-Up-Unternehmer mit ihrer Arbeitsmoral und durchgearbeiteten Nächten prahlen. Wenn Menschen sich ausruhen und nicht dauerhaft produktiv sind, beeindruckt das deutlich weniger.
Außerdem spielt die dauerhafte Präsenz von Social Media eine maßgebliche Rolle für eine schädliche Wahrnehmung von Produktivität. Gerade jetzt während der Quarantänephasen sieht man vermehrt Leute, die auf Instagram oder TikTok ihre Fortschritte und ihr neu erworbenes Wissen präsentieren. Wer die „zusätzliche Zeit“ nicht dafür genutzt hat, eine neue Sprache zu lernen oder sich anderweitig weiterzubilden, bekommt das Gefühl, im Vergleich zu allen anderen seine Zeit nicht sinnvoll genutzt zu haben.
Was kannst Du gegen toxic productivity tun?
Plane Dir feste Pausen ein!
Du hast das Gefühl, in Pausen unproduktiv zu sein und würdest am liebsten gar keine Pausen machen? Das ist definitiv nicht gut für Dich und Deinen Körper. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig Pausen machen, schlussendlich effektiver arbeiten als solche, die durcharbeiten. Es ist wichtig zu verinnerlichen, dass Pausen keine Form der Schwäche sind, sondern ein wichtiges Werkzeug, um überhaupt produktiv sein zu können.
Oft hilft es sich die Pausen über den Tag verteilt fest einzuplanen und in diesen wirklich zur Ruhe zu kommen. Du kannst zum Beispiel die Pomodoro-Methode probieren. Dabei stellst Du Dir einen Wecker auf 25 Minuten, in denen Du konzentriert an einer Aufgabe arbeitest. Danach machst Du 5 Minuten Pause. Diesen Ablauf wiederholst Du. Nach dem vierten Lernblock machst Du 20 bis 30 Minuten Pause.
Definiere klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit!
Im Home Office fallen Arbeit und Privatleben auf einen Ort zusammen und es ist oftmals schwierig, diese klar voneinander zu trennen. Ziehe Dir hierfür zunächst klare Basisgrenzen, die Du bei Bedarf verfeinern kannst. Basisgrenzen könnten zum Beispiel sein:
- Kein Smartphone oder Laptop beim Essen
- Täglich mindestens sechs Stunden Schlaf
- Täglich mindestens zwei Mahlzeiten
- Täglich mindestens eine halbe Stunde spazieren gehen
Solche Grenzen können Dir dabei helfen, Arbeit und Privatleben besser voneinander zu trennen und Deinem Tag eine geregeltere Struktur zu geben. Überlege Dir selbst, welche Grenzen Du für Dich ziehen kannst.
Erstelle Dir realistische To-Do-Listen für den Tag!
To-Do-Listen helfen, Deinen Tag zu strukturieren und den Überblick über anfallende Arbeiten nicht zu verlieren. Wichtig ist aber, dass Du Dir für den Tag realistische Ziele setzt und Dir nicht 10 Sachen auf einmal vornimmst. Versuche Dich, je nach Arbeitsaufwand der einzelnen Punkte, auf zwei bis drei Arbeiten festzulegen. Füge Deiner To-Do-Liste zusätzlich Dinge hinzu, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Führe zum Beispiel auch Dinge auf wie „Spazieren gehen“ oder „Yoga machen“.
Überdenke Deine Selbstwahrnehmung!
Definierst Du Deinen Selbstwert darüber, wie produktiv Du bist? Wenn dem so ist, befindest Du Dich vielleicht in einem Kreislauf, indem Du Zielen nachjagst, die vorübergehend Dein Selbstwertgefühl steigern, bis es nachlässt und Du ein neues Ziel erreichen musst, um Dich wertvoll zu fühlen.
Fange an zu verstehen, dass Dein Wert nicht darin liegt, wie produktiv Du bist und was Du erreichst, sondern darin, wer Du bist. Stelle Dir selbst die Frage: „Würde ich dieselben Erwartungen an meinen besten Freund/an meine beste Freundin stellen?“. Übe Dich darin, mit Dir selbst zu sprechen und Dich selbst zu behandeln, wie Du es mit einem Freund/einer Freundin tun würdest.