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Wenn sie dürften, würden sie weinen | Blankziehen

Totgeglaubte Geschlechterbilder prägen uns nach wie vor. Gerade unter Männern mag jedoch nicht so recht Revolutionsstimmung aufkommen. Zeit, sich zu emanzipieren – von toxischer Männlichkeit.

Im August 2018 stellt die APA, der weltgrößte Psychologenverband, fest, dass Männer leiden. Sie leiden unter Männlichkeit. Auf dieses Krankheitsbild bereitet die APA Therapeuten nun vor. Ihr erklärtes Ziel: Toxische Männlichkeit heilen.

Wer toxische Männlichkeit liest, denkt an hemmungslos prügelnde oder grapschende Testosteronbolzen. Doch der Begriff meint noch mehr. Wir haben ein überholtes Bild davon, was Männlichkeit ist. Ja wirklich, wir. Dafür sind Erziehung, Medien und Rollenvorbilder verantwortlich. Wir glauben, Männer wären der menschgewordene Notfallplan, wenn es brennt. Ohne dabei eine Träne zu vergießen. Sie spielen dauernd Fußball und saufen dann mit ihren Jungs. Es ist Männersache, den ersten Schritt zu wagen und sie anzusprechen. Und ja auch das, Männer streifen Hemmungen ab und schlagen zu. Laut APA leiden sie darunter, wie wir glauben, wie sie sind: Rational, kompetitiv, dominant und aggressiv. Denn sie spüren den Druck von außen, genau so sein zu müssen.

Ne, oder? Und wenn, betrifft das doch nicht jeden!

Kein Junge wird erwachsen, ohne damit konfrontiert zu sein, muskulöser zu werden. Gewichte auf und ab zu bewegen, mag aussehen wie das harmlose Hobby, das verblüffender Weise nahezu alle unter 25 packt. Es ist jedoch symptomatisch für den Druck, dem stereotypen Mann zumindest zu ähneln. Wer nicht mitzieht, ist ein „Lauch“.

Unser Bild vom tough guy ist toxisch

„Lauch“ nennt man den, der körperlich, aber auch sozial unterlegen ist. Der, der eben nicht dem Ideal des traditionellen Mannes entspricht. Wer bei Badewetter am Ilzstausee einen Kumpel „Lauch“ nennt, der möchte ihn damit aufziehen und meint das ja nicht so. Aber sind vielleicht die beiden Schubladen bereits abwertend und sinnlos? Muskulös versus untrainiert. Solche Neckereien haben wir längst verinnerlicht. Folgender Selbsttest: Denkt man bei einem Schlaks intuitiv an Stärke? Das Bild vom durchtrainierten, starken Mann ist toxisch.

Na und? Bei meinen Freunden und mir ist Pumpen längst passé!

Ein Mann geht nicht in Therapie – er macht das mit sich selbst aus. Männer quatschen über Sport, Politik, Alkohol, messen sich intellektuell. Ja, es geht auch um Sexualität – solange sie glatt läuft. Und der Streit mit den Eltern? Eine überraschend schlechte Note? Der jüngste, kleine Nervenzusammenbruch? Das ist bestenfalls Thema beim nächsten nächtlichen Gespräch unter vier Augen. Mentale Krisen werden so geräuschlos umschifft, dass man sich ungläubig fragt: Leiden Männer überhaupt?

Suchscheinwerfer und Rampenlicht

Diese Härte ist unangebracht und macht krank. Sie ist toxisch. Reden wir einfach! Derjenige, der auch seine Sorgen teilt, trainiert die Psyche. Denn die Blickwinkel derer, denen man sich anvertraut, schließen sich zusammen. Sie umzingeln den mentalen Übeltäter und fangen ihn schließlich ein. Dem eigenen Blick allein entwischt er jedoch leicht und treibt weiter unbemerkt sein Unwesen. Mit der Zeit merkt man, dass die helfenden Suchscheinwerfer genauso Rampenlicht können. Sie erhellen auch die ausgelassenen Seiten des Lebens. Werden zu treuen Begleitern.

Toxische Männlichkeit mündet in Sexismus. Während sich die Gesellschaft mittlerweile dagegen auflehnt, fordert sie gleichzeitig männliche Opfer. Opfer eines verstaubten Bildes, das eigentlich keinem gefällt.

 

Gemieden und verschwiegen. Noch immer sind bestimmte Themen in unserer Gesellschaft tabuisiert. In unserer Rubrik „Blankziehen“ lassen wir die Hüllen rund um einige Tabus fallen. Denn wir sind der Meinung: Jedes Thema hat eine Stimme verdient.

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